: Giftpflanze auf dem Vormarsch
NATUR Der Bärenklau sollte einst neue Futterpflanze der DDR werden. Heute verdrängt die giftige Pflanze die heimische Fauna in Heinersdorf. Zu seiner Bekämpfung fehlt das Geld
Harald Breitenstein, Heinersdorf
VON MARKUS MÄHLER
Eine gefährliche DDR-Altlast umzingelt das Dorf Heinersdorf östlich von Berlin – der Bärenklau. Weil sich die Giftpflanze dort immer weiter ausbreitet, sind mehr und mehr Menschen bedroht. Bereits eine Berührung kann auf der Haut zu schweren Verbrennungen führen. Jahrelang hielten ABM-Trupps mit Schutzkleidung und Motorsensen den Bärenklau in Schach. Doch seit diesem Sommer ist Heinersdorf auf sich allein gestellt. Die Arbeitsagentur des Landkreises Oder-Spree bezahlt die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht mehr.
Gefährlich am Bärenklau ist das Gift Kumarin. Bei Berührung tritt es aus. Bleibt es auf der Haut, führt es zusammen mit Sonnenlicht zu Verbrennungen zweiten und dritten Grades. Ingeborg Peters hat das am eigenen Leib erfahren. Sieben Jahre kämpfte sie gegen die Giftpflanze in einem der ABM-Trupps. Sie berichtet, dass bereits ihr erster Einsatz Narben hinterließ: „Wir wussten nichts über die Pflanze und hatten keine Schutzkleidung.“ Sie schnitt mit einer Gartenschere durch den Bärenklau. Dabei spritzte das Kumarin auf ihre Kleidung. Minuten später juckte ihre Haut, wurde rot, Quaddeln bildeten sich, es folgten Brandblasen, die Narben hinterließen.
Das ist einer der Gründe, warum das Jobcenter die ABM-Maßnahme eingestellt habe, erklärt Sprecher Rolf Lindemann: „Der Bärenklau ist gesundheitsgefährdend und wird damit zu einer Frage der öffentlichen Sicherheit. Für die sind die Gemeinden zuständig. Unsere Maßnahmen können immer nur zusätzlich sein.“ Auch seien die 1-Euro-Jobber überfordert gewesen: „Ein Problem von solchem Ausmaß kann nicht nebenbei gelöst werden, dafür braucht es Fachleute.“ Die erhofft sich Lindemann von privaten Firmen, mit denen das Jobcenter nicht konkurrieren wolle.
Heinersdorf kann aber keine privaten Firmen bezahlen, sagt Harald Breitenstein. Er ist stellvertretender Ortsvorsteher und vermutet, dass das Ende der ABM-Trupps finanzielle Gründe hat: „Beim Jobcenter gibt es einen allgemeinen Rückgang der Förderungsmaßnahmen. Und auch der Kreis zieht sich aus der Affäre.“ Evelyn Reich, Sprecherin des Landkreises Oder-Spree, bestätigt das: „Der Landrat vertritt die Auffassung, dass der Bärenklau ein kommunales Problem ist.“
Vor allem aber ist der Bärenklau eine Hinterlassenschaft aus DDR-Zeiten. Von 1963 bis 1969 wurde die Pflanze in einer Versuchsanlage bei Heinersdorf auf 30 Hektar als Futterpflanze getestet. Heinz Zimmermann, der das Experiment leitete und noch heute in Heinersdorf lebt, berichtet: „Der wilde Bärenklau wurde am Botanischen Institut in Leningrad gekreuzt.“ Er habe die Test mit dem veränderten Saatgut jedoch nach sechs Jahren abgebrochen. Sein Bericht an die Auftraggeber vom Institut für Bodenfruchtbarkeit in Müncheberg war ernüchternd: „Als Futterpflanze ungeeignet. Schwer in der Aussaat. Die Silage verwässerte. Er brachte nicht genug Trockenmasse. Außerdem führte das Kumarin in der Sonne zu Verätzungen.“ Nach dem Ende der Versuche blieb der Samen im Boden. Solange dort regelmäßig umgepflügt wurde, konnte er sich nicht ausbreiten. Als aber nach der Wende 1989 immer mehr Felder brachlagen, schoss der Bärenklau unkontrolliert aus dem Boden.
Und nicht nur in Heinersdorf wird die Pflanze zu einer öffentlichen Gefahr. Wie Matthias Freude, Präsident vom Brandenburger Landesumweltamt, erklärt, verdrängt der Bärenklau überall in Deutschland heimische Pflanzen – auch weil ihn Gärtner als Zierpflanzen in ihre Gärten geholt haben und er ausgewilderte. In Brandenburg sieht Freude „die Brennpunkte bei Beeskow und Heinersdorf“. Allerdings gehe er nicht davon aus, dass der Bärenklau die heimische Vegetation ganz verdrängt: „Ab einem bestimmten Punkt stoppt die Ausbreitung, wenn er die Habitate besetzt hat, die ihm geeignete Bedingungen bieten.“
In Heinersdorf halten heute Freiwillige gerade noch das Dorf und den Sportplatz frei vom Bärenklau, erzählt Ortsvorsteher Breitenstein, „doch um das Dorf herum okkupiert er immer größere Flächen“. Erst seien es Inseln gewesen, jetzt drohten ganze Wüsten. „Ich kann meine Enkel nicht einmal mehr zum Spielen schicken. Ohne Hilfe werden wir das Problem nicht mehr lösen.“