LESERINNENBRIEFE
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Kein Sieg des Kretschmannkurses

■ betr.: „Die Stille nach dem Beschluss“, taz vom 5. 12. 14

Ja, es ist still geworden. Wir haben auf den Parteitagen in Tuttlingen und in Hamburg gestritten und Argumente ausgetauscht. Und es ist wohl so, wie die Grünen-Politikerin Luise Amtsberg es sagt: Gegen die Große Koalition aus CDU und SPD, die in der Asylfrage einen Kurs vorgibt, ist derzeit kein Kraut gewachsen. Insofern sind und waren die Proteste gegen den ersten Asylkompromiss dieses Jahres richtig und wichtig, weil sie aufgezeigt haben, dass nicht die Partei in der Frage eingeknickt ist, sondern man unter den gegebenen Umständen das herausgeholt hat, was nach dem Stand der Dinge nach dem Dafürhalten der Akteure möglich war. Wer aber denkt, dass dies der Sieg des Kretschmannkurses war, der irrt: Bei veränderten Verhältnissen und Möglichkeiten wird der Druck sehr schnell wieder wachsen, die Beschlüsse zu ändern. JÖRG RUPP, Malsch

Deutsch ist …

■ betr.: „Alle lieben Schland“, taz vom 4. 12. 14

Oh je, wieder mal taucht die ewige Frage „Wer ist Deutsche(r)?“ auf und produziert aus einem diffusen Abgrenzungsbedürfnis merkwürdige scheinobjektive Kriterien und unerfüllbare kulturelle Forderungen.

Also: Ist die Gastarbeiterin auf dem Fünzig-Pfennig-Stück eine Deutsche oder nicht? Reicht es, wenn man das Pippi-Langstrumpf-Lied singen kann, oder muss man auch seine Inhalte glaubwürdig vertreten?

Könnten wir nicht endlich einfach und abschließend sagen, Deutsch ist, wer den richtigen Pass hat; Münchner ist, wer in München wohnt – und wen davon ich mag, mit wem davon mich ein Wir-Gefühl verbindet, das ist eine ganz andere Frage?

TOBIAS RISCHER, München

Kein Gewinn

■ betr.: „Die Welt schaut auf Thüringen“, taz vom 5. 12. 14

Ein Gewinn für die politische Kultur in Deutschland ist Thüringens neuer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei), der Westimport aus Niedersachsen, nicht.

Bleibt zu hoffen, dass dieses politische Experiment nicht von Dauer ist. Der zweite Wahlgang zeigt, dass die rot-rot-grüne Landesregierung mit ihrer Ein-Stimmen-Parlamentsmehrheit auf wackeligen Beinen steht.

Bodo Ramelows Wahl ist darüber hinaus ein Schlag ins Gesicht aller SED- und Stasi-Opfer sowie der Millionen ehemaligen DDR-Bürger, die im Herbst 1989 mit ihren mutigen Montagsdemonstrationen die SED-Diktatur nach 40 Jahren zum Einsturz brachten. ALBERT ALTEN, Wernigerode

Die Umfallerqualitäten der SPD

■ betr.: „Freie Bahn für freien Handel“, taz vom 28. 11. 14

Bis in den Juli 1914 haben sich die SPDler für Antikriegsdemonstrationen starkgemacht, um im August ohne Gegenstimme die Kriegskredite mitzutragen. Erst im Dezember dann ist Karl Liebknecht als Einziger „aufgestanden“ und wurde verhöhnt. Es sind jedenfalls nicht Mut und Standhaftigkeit, sondern Umfallerqualitäten, die den Genossen anhaften.

Den Moloch von Profit durch Ausbeutung zu bekämpfen, sind die Genossen einst angetreten. Gilt das heute auch noch? Sind die verramschten Wasserversorgungen und die Cross-Border-Leasing-Verträge, an denen manche Stadt heute noch zu knabbern hat, schon wieder vergessen? Dabei waren das nur einzelne Verträge; bei CETA und TTIP geht es um völlig neue Räume innerhalb oder außerhalb unseres Rechts-Systems. Ob der Herr Gabriel nun in guter alter Tradition einknickt oder er sich als einer der getarnten Kämpfer gegen Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit entlarven wird, das ist schwer auszumachen. Sein Auftreten und Reden jedenfalls lassen das Schlimmste befürchten. BERND GOBLIRSCH, Engen