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Archiv-Artikel

Flucht bei Nacht und Nebel

Schlösserwechsel für Rohkunstbau: Aus dem Dorf Groß Leuthen im Spreewald zieht die sommerliche Kunstkarawane nun weiter nach Sacrow bei Potsdam. Wieder ist die Ausstellung stark dort, wo der Dialog mit dem Ort beginnt

Schäferhunde bellen im Wald, ein Mann wagt sich über einen Sumpf, ein Schiff mit deut- schen Fahnen zieht vorbei

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Ein Bild im Katalog der XIV. Ausstellung von Rohkunstbau zeigt Thomas Rentmeister beim Wäschefalten. Es ist ein schönes Foto: nicht nur, weil man sieht, wie eine großartige Skulptur aus gleichsam hausfraulich fürsorglichen Gesten entsteht. Denn am Ende hat Thomas Rentmeister eine ganze Wand in einem Wohnraum von Schloss Sacrow verdoppelt, geschichtet aus weißer Hotelbettwäsche, Zuckerwürfeln, Wattestäbchen und anderen kleinen Helfern. Schön ist das Bild auch deshalb, weil sein Motiv so gut zum Einzug der jährlich stattfindenden Ausstellung Rohkunstbau in das alte Herrenhaus in Sacrow passt. Man richtet sich her für Gäste.

Seit seiner Gründung 1994 hat sich das Projekt Rohkunstbau immer weiter entwickelt und vergrößert. Der Name stammt noch von den Anfängen in einem Rohbau in dem Dorf Groß Leuthen im Spreewald, aber schon bald konnte die Ausstellung in das Wasserschloss dort ziehen. Gegründet hat das Projekt Arvid Boellert, damals Medizinstudent, heute Arzt, der inzwischen mit dem Kurator Mark Gisbourne zusammenarbeitet. Anfangs war Rohkunstbau eines von vielen Nachwende-Projekten, die in vergessenen Schlössern und Gutshöfen mit Hilfe von Kulturprogrammen Energien der Erneuerung in die Provinz pumpen wollten. Die meisten dieser Initiativen sind inzwischen wieder verschwunden oder nie über eine regionale Rezeption hinausgekommen. Rohkunstbau dagegen gewann von Mal zu Mal, nicht zuletzt durch die internationale Bekanntheit der teilnehmenden Künstler.

In diesem Jahr aber mussten sie Groß Leuthen verlassen, und zwar sehr plötzlich, weil das Wasserschloss verkauft worden ist. Die neue Bühne für die Kunst, das kleine Schloss Sacrow, gehört seit 1993 zur Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Noch steht es leer und wurde in Vorbereitung einer Nutzung sicherheitstechnisch ausgerüstet.

Die Rohkunstbauer sind die ersten prominenten Nutzer. Am Eröffnungswochenende bildeten sich sogar Schlangen vor dem Einlass, denn mehr als 70 Besucher fasst das Haus nicht auf einmal. Für die Schlösser-Stiftung ist das vermutlich auch ein Test: Was ist vorstellbar in diesem Haus. „Machbar ist alles“, sagt Arvid Boellert, „man braucht nur den politischen Willen.“

Der Umzug brachte neuen Input: Dass einmal die Mauer, die Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland durch den Sacrower Park lief und hier die Hundestaffel der Grenztruppen trainiert wurde, bearbeitet Julian Rosefeldt in einer vierteiligen Filminstallation, die allein schon die Reise nach Sacrow lohnt. Sie ist zwischen den trüben Spiegeln eines herrschaftlichen Salons aufgebaut und beginnt ihre Erzählung genau dort, bei einem Konzert romantischer Musik. Die Kamera verlässt den Saal und folgt einer Figur an einen nebelverhangenen See. Die Bilder, die Rosefeldt nebeneinander stellt, streifen Topoi der romantischen Malerei ebenso wie die Geschichte der Grenze und der Rückkehr nationaler Symbole.

Schäferhunde bellen nachts in einem Wald, ein Mann wagt sich über einen Sumpf, ein Schiff voll mit Deutschlandfahnen kommt an. Für jedes dieser Bildmotive gibt es einen Anknüpfungspunkt in der Geschichte von Schloss Sacrow, in dem einige Jahre lang Friedrich de la Motte Fouqué heranwuchs. Er schrieb später das Märchen von der Wasserfrau „Undine“, eines der schönsten der Romantik. Das Wasser, der Wald, die Nacht und der Nebel: Sie wandern in Rosefeldts Bild-Erzählung vom romantischen in den historischen Part, verbinden Dichtung und Politik, spuken durch Klischees nationaler Identität.

Dass Rosefeldt diese Filme in Sacrow drehen konnte, verdankt sich auch der Förderung von Rohkunstbau durch das Land Brandenburg, die Kulturstiftung des Bundes und viele Sponsoren, die in Boellerts und Gisbournes Festhalten an der Provinz eine lohnenswerte Tugend sehen. Letztes Jahr wurde ein Konzept für drei Jahre beschlossen, das an die Farben der Trikolore, Blau, Weiß und Rot, anknüpft und Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit thematisieren will. Den Anspruch, sich mit der Gleichheit auseinanderzusetzen und den Titel „Drei Farben: Weiß“ nahm man von Groß Leuthen nach Sacrow mit. Er lässt sich in einigen Arbeiten wiederfinden, prägt den Gesamteindruck allerdings weniger als der sensible Umgang mit dem Ort, wie ihn Rosefeldt oder auch Ayse Erkmen üben.

Dennoch wird hier Gleichheit verhandelt, nämlich im Sinne einer allgemeinen Teilhabe an Bilder, Sprachen und Codes. So nämlich lässt sich Candice Breitz’ Arbeit interpretieren. In einem ehemaligen Schlafzimmer hat sie Spiegel aufgehängt, überklebt mit Fotos, die nahsichtig verwohnte Details zeigen, Badezimmerablagen, Stuhlbeine – was man anstarrt, wenn die Gedanken loslassen. Rausgekratzt aus den Bildern sind Buchstaben, Zitate aus Popsongs, die bewusst dort ansetzen, wo die Sprache versagt. Breitz stellt sie vor wie eine Lingua Franca, die nationale ebenso wie Klassen- und Rassenschranken überwindet.

Unter den zehn teilnehmenden Künstlern sind nur wenige noch nicht international bekannt, so wie der israelische Maler Gil Marco Shani. Seine Zeichnungen, die in kleinen Rahmen im Flur hängen, haben etwas von Tagebuchnotizen: ein Zelt, ein Mann im Krankenbett, der Angriff eines Hundes, Geier, ein Patrouillengang, Prügeleien. Das sind nicht nur Erinnerungen an die Militärzeit Shanis, sondern auch an ein Leben unter Männern, das immer größere Leerstellen und sich weitende Felder von Einsamkeit aufweist. Man muss gar keinen Bogen von dort zu den verschwundenen Grenztruppen vor Ort schlagen, um von der Melancholie und Lakonie Shanis beeindruckt zu sein.

So lebt die Ausstellung Rohkunstbau von der Stärke der einzelnen Positionen. Anziehend aber ist sie nicht zuletzt, weil der Ausflug dorthin mehr verspricht als nur die Kunst, Spaziergang im Park, Baden, Picknick. Und selbst Theater, Lesungen und Gespräche gehören dazu, denn an den Samstagabenden rücken regelmäßig Künstler aus Berlin als Programmgestalter nach Sacrow bei Potsdam aus.

Schloss Sacrow, Sa.+So. 10 bis 20 Uhr, bis 26. August. Infos zu Anfahrt und Programm unter www.rohkunstbau.de. Katalog 20 €