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Archiv-Artikel

Leiharbeiterinnen betreuen Kitas

Im Stellenpool des Landes sind rund 1.200 Erzieherinnen gelistet. Trotzdem heuert der städtische Eigenbetrieb Nordost Erzieherinnen von Zeitarbeitsfirmen an. Der Betrieb spart, das Land zahlt drauf. Junge Frauen bekommen eine Chance

„Das ist preiswerter, als auf die Erzieherinnen im Stellenpool zurückzugreifen“

Was in Restaurants und auf dem Bau üblich ist, wird erstmalig auch in städtischen Kindertagesstätten praktiziert: der Kita-Eigenbetrieb Nordost hat zehn Erzieherinnen von Zeitarbeitsfirmen angeheuert. Die jungen Frauen betreuen seit dem 1. Juli vorübergehend Kinder in Lichtenberg, Pankow und Marzahn. Sie ersetzen 16 Kolleginnen, die der Betrieb im Juli entlassen und an das Land zurückgegeben hat. „Das ist preiswerter, als auf die Erzieherinnen im öffentlichen Stellenpool zurückzugreifen“, erläutert die kaufmännische Leiterin des Kita-Eigenbetriebes, Karin Scheurich, den Tausch.

Der betriebswirtschaftliche Coup geht absurderweise zu Lasten der gesamtstädtischen Bilanz: Im Stellenpool, der Personalparkanlage des Landes Berlin, sind derzeit 1.173 Erzieherinnen registriert, die in Kitas vermittelt werden könnten. Das Land zahlt weiter ihr Gehalt und finanziert nun zusätzlich die Honorare für Zeitarbeitsfirmen.

Für Scheurich ist das kein Widerspruch: „Wir sind nicht das Land Berlin, sondern ein eigener Betrieb und können Geld sparen.“ Die Erzieherinnen im Stellenpool dürfen nämlich von den fünf städtischen Kita-Betrieben nur zu festen Stichtagen und für mindestens ein Vierteljahr gebucht werden. An die Leiharbeitsfirma muss Scheurich lediglich das Honorar für drei Wochen überweisen. Wie hoch das ist, verrät sie nicht.

Die Chefin des Verwaltungsrats, Bezirksbürgermeisterin Christina Emmrich (Linke), äußert Verständnis: „Die Kitas würden in die Miesen kommen, wenn sie die 16 Mitarbeiter weiter beschäftigen würden.“ Grund ist, dass den Kitas in den Monaten Juli und August die Kinder ausgehen. Sie haben weniger Einnahmen bei gleichen Ausgaben (siehe taz vom 19. 7.). Im Hause von Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) sieht man kaum Möglichkeiten, solche Deals auf Kosten Berlins zu verhindern: „Das liegt in der Eigenverantwortung der Kita-Betriebe“, sagt Sprecher Clemens Teschendorf. Dies sei ein spezieller Fall, der nur als Übergangslösung gedacht sei. Die kaufmännische Leiterin Scheurich betont allerdings, bei akutem Personalmangel jederzeit wieder auf Zeitarbeitskräfte zurückzugreifen.

„Pädagogisch ist das natürlich nicht sinnvoll“, räumt der pädagogische Leiter des Eigenbetriebs Nordost, Michael Witte, ein. Die Kitas würden lieber auf Erzieher aus der eigenen Belegschaft zurückgreifen. Doch unter den 1.700 Erzieherinnen, die in den 77 Einrichtungen des Eigenbetriebs Nordost arbeiten, habe sich für die Sommerwochen keine Vertretung gefunden, erklärt Witte. Also sei man auf Head-Hunting im Internet gegangen. Die zurzeit eingestellten Leiharbeitskräfte seien alle ausgebildete Erzieher – und zudem alle unter 25 Jahre alt. Also halb so alt wie die Durchschnittserzieherin des Eigenbetriebs. Dieser Aspekt war nicht unwichtig, meint Witte: „Wir wollen damit auch die Türen aufmachen für junge Erzieherinnen, die wir dringend benötigen.“

Wenn tatsächlich neue Stellen besetzt werden können, muss Witte zuerst Betreuerinnen aus dem Stellenpool nehmen. Deren Durchschnittsalter liegt bei 50 Jahren. Erst wenn er dort nicht fündig wird, darf Witte mit Genehmigung des Senats junge Leute auf dem freien Arbeitsmarkt rekrutieren.

Der Personalrat des Stellenpools hat die Geschäftsführung des Eigenbetriebs Nordost unterdessen gestern per Post aufgefordert, die Rochade rückgängig zu machen: dies sei eine unverantwortliche Personalpolitik auf dem Rücken der Kinder und der Beschäftigten. Auch an Finanzsenator Sarrazin und Bezirksbürgermeisterin Emmrich sandten die Personalvertreter empörte Briefe. Personalratschef Klaus Stahns fordert, die „Finanzjonglierei“ zu beenden.

ANNA LEHMANN