: Der Entdecker bulgarischer Hausfrauen
Ausgerechnet im beschaulichen Bremen sitzt ein Knotenpunkt der so genannten Weltmusik: Seit 25 Jahren spürt das Label JARO MusikerInnen auf, die sich gängigen Schubladen verweigern: Vom bulgarischen Frauenchor über DDR-Jazzer bis hin zum Pan-Ethnic-Roots-Blues von „Hazmat Modine“
von TOBIAS RICHTSTEIG
Sie hat im Allgemeinen keinen guten Ruf, die Globalisierung. Sie hat Gegner und Kritiker, die engagiert protestieren. Aber sie hat auch Fans, die genauso engagiert zu ihren Sounds tanzen. Oft tanzen sogar Kritiker und Fans gemeinsam. Sicher nicht zu den gleichgeschalteten Hitparaden der multinationalen Unterhaltungskonzerne, aber gern zu der von authentischen Musikern, die längst ihr Folklore-Nischen-Dasein gegen ein globales Publikum eingetauscht haben. Manu Chao und Co. sind die coolen Neffen der guten alten Panflöten-Combos.
Ausgerechnet das beschauliche Bremen ist dabei ein Knotenpunkt im Kontinente verbindenden Netzwerk der so genannten Weltmusik. Hier sitzt eines der wichtigsten Labels in diesem Genre. Vor 25 Jahren, als Ulrich Balß seine Plattenfirma gründete, war der Begriff Weltmusik noch gar nicht geboren. Damals sprach man noch vorsichtig von Folk-Jazz, schließlich konnten Musiker wie der pakistanische Qawwali-Sänger Nusrath Fateh Ali Khan damals zuerst bei Jazzfestivals aufgeschlossene ZuhörerInnen finden.
Mit dem Jazz fing für Balß ohnehin alles an. In einem Jugendzentrum im ostwestfälischen Enger veranstaltete er Konzerte, schließlich zwei Festivals. Und weil der Kontakt zu den Musikern stimmte, organisierte er 1977 auch die ersten Europatourneen für Ali Khan, aber auch John Scofield und brachte DDR-Jazzer wie Ernst-Ludwig Petrowsky nach Westdeutschland. Die Musik aus dem europäischen Osten war in der BRD damals ebenso wenig im Laden zu kaufen, wie jene aus Asien oder Südamerika und so keimte die Idee, die Konzert-Agentur zur eigenen Plattenfirma mit Verlag und Vertrieb zu erweitern.
Schon die erste Platte setzte Maßstäbe, ein Album der finnischen Jazzband „Piirpauke“, die munter Rock mit Jazz und Folklore mischten und sich den gängigen Schubladen mit viel Energie und Spaß verweigerten. Und quer zu allen Erwartungen ging es weiter, teilweise mit schönen Erfolgen: der Frauenchor „The Bulgarian Voices Angelite“, den JARO unter dem Motto „das Mysterium Bulgarischer Stimmen“ präsentierte, wurde 1993 sogar in den USA für den Grammy nominiert. Eine schöne Bestätigung für den Labelchef, der im Magazin Jazzthetik berichtete: „Allerdings meinten viele, denen ich diese Musik vorspielte: ,Die bulgarischen Hausfrauen interessieren hier keinen‘.“ Wenn man so entgegen dem Rat selbst ernannter Experten richtig liegt, darf man auch mal einen Trend setzen. So ist JARO das Label des Pianisten Jasper van’t Hof und seiner Band „Pili-Pili“, einem der heißesten Ethno-Jazz-Acts, vom gleichnamigen Disco-Hit 1985 bis zur Zusammenarbeit mit MusikerInnen wie Angelique Kidjo, Manfred Schoof, Annie Whitehead und Dra Diarra. Auch der japanische Trompeter Toshinori Kondo veröffentlichte seine wichtigsten CDs von Bremen aus.
Im vergangenen Jahr feierte JARO dann nicht nur seine Verkaufs-Erfolge, sondern auch das 25-jährige Jubiläum – und schickte das „Bremer Stadtimmigranten-Orchester“ auf Tournee, als praktisches Anschauungsbeispiel in Sachen Welt-Musik: Zusammengetrommelt hatte das gemischte Ensemble der aus Chicago stammende Willy Schwarz, selbst Sohn jüdischer deutscher und italienischer Auswanderer. Die Mitglieder im Stadtimmigranten-Orchester sind allesamt Bremer, die aus so unterschiedlichen Ländern wie Mexiko, China, Slowakei oder auch dem Iran stammen. Und alle steuern sie Stücke ihrer „Heimat“-Kulturen zum gemeinsamen Repertoire bei. Die Rapperin Sema Mutlu zum Beispiel verbindet dabei türkische Klänge mit deutschen Texten. Das ist Weltmusik heute: kein Ausverkauf lokaler Klangfarben an ein Publikum auf der Suche nach dem Exotischen, sondern das selbstbewusste Durch- und Miteinander von Menschen, die schon so einiges von der Welt gesehen und gehört haben.
Es geht aber auch ohne großen Überbau: zum Beispiel mit dem Pan-Ethnic-Roots-Blues von „Hazmat Modine“, die gerade zum Deutschland-Debüt antreten. Modine ist eigentlich ein Markenname für Heißluftgebläse und Hazmat kürzt im amerikanischen „gefährliche Materialien“ ab – eine explosive Mischung also, die sich da in der New Yorker Downtown-Szene mit Tuba, Hawaii-Steel-Gitarre, der chinesischen Mundharmonika Sheng und noch einigen Instrumenten mehr zusammengeballt hat. Das weckt Erinnerungen an Tom Waits, aber versinkt nicht so in Melancholie. Hazmat Modine kreuzen Balkan-Brass mit jamaikanischem Calypso, Reggae mit Klezmer und Country mit mongolischem Kehlkopfknurren von „Huun-Huur Tu“. Dass dieser Mix das Feuilleton von Frankfurter Allgemeine bis WOM-Magazin begeistert, überrascht Labelchef Balß nicht. Er zählt im Live-Publikum auf die Schnittmengen von Jazzfans, Roots-Afficionados und Datscha-Parties, die hier gemeinsam die Beine schwingen werden.
Hazmat Modine spielen am Dienstag (24. 7.) in der Hamburger Fabrik, am Mittwoch (25.) im Jazzclub Hannover und am Donnerstag (26.) im Bremer Schlachthof.