: Oury Jalloh – „Das bleibt Mord“
Zum zehnten Todestag veranstaltet die Linke Liste Berlin eine Podiumsdiskussion mit Aktivisten der „Initiative im Gedenken an Oury Jalloh
■ Donnerstag, 11. Dezember Wer trägt Verantwortung für den Mord an Oury Jalloh? Infoveranstaltung, 19 Uhr, Hauptgebäude der TU Berlin, Straße des 17. Juni 135
■ Freitag, 12. Dezember Infoveranstaltung mit Mouctar Bah und Komi Edzro. 19 Uhr, La Casa Hellersdorf, Wurzener Str. 6
■ Mittwoch, 7. JanuarGedenk-Demo, 14 Uhr, Hauptbahnhof Dessau-Roßlau. Abfahrt aus Berlin um 11 Uhr am Park Inn Hotel, Alexanderplatz
„Wie viele von uns müssen noch sterben?“, ruft ein Angehöriger im Prozess um Oury Jalloh, nach Verkündung des ersten Urteils. Hören kann man das im Radio-Feature von Margot Overath. Die Journalistin befasst sich seit fünf Jahren mit dem Tod von Oury Jalloh. 2005 verbrannte er im Keller einer Dessauer Polizeizelle. Zehn Jahre später bleibt die Staatsanwaltschaft bei ihrer Aussage – Jalloh muss sich selbst angezündet haben. Doch es gibt eine Kette von Ungereimtheiten, die die „Initiative im Gedenken an Oury Jalloh“ dokumentiert und aufklärt. Sie ist sich sicher: „Das war Mord.“ Beharrlich kämpfen sie für die Aufarbeitung der Ereignisse vom 7. Januar. Gutachter und Mediziner meinen jetzt: Jalloh kann den Brand nicht selbst gelegt haben.
Die Linke Liste Berlin, ein Zusammenschluss von Studierenden diverser Fakultäten der TU Berlin, möchte über die neuen Entwicklungen im Fall aufklären. „Es soll noch mal ein neues Gutachten geben, dafür wird gerade Geld gesammelt“, so der Pressesprecher. „Wir wollen die Inhalte an die Uni tragen, die Berichterstattung sollte noch nicht abgeschlossen sein.“
Denn was am Freitag, den 7. Januar 2005 passierte, ist noch immer nicht ausreichend geklärt. Findet die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“. Zwei Frauen von der Stadtreinigung hatten an diesem Tag die Polizei gerufen, weil sie sich von ihm belästigt fühlten. Danach sollen sie gesagt haben: „Dein Taxi kommt gleich.“ Gegen seine Festnahme wehrte sich Jalloh, darum wurde er im Keller des Dessauer Polizeireviers auf eine „Sicherheitsmatratze“ gefesselt. Seine Hände und Füße waren in Hand- und Fußschellen an der Wand und am Betonunterbau der Matratze fixiert. Was dann geschah, ist nach zehn Jahren, zwei Prozessen und über hundert Verhandlungstagen noch immer ungeklärt.
Für das LKA, das ein Video vom Tatort anfertigte, bestand hingegen kein Zweifel. Der Polizeivideograf kommentierte das Bild mit den Worten: „Die Zelle wurde durch einen schwarzafrikanischen Bürger belegt, und hier hat er sich auch angezündet.“ Doch was wirklich geschah, bleibt für seine Angehörigen und ihre Unterstützer ein Rätsel. Beweismittel sind verschwunden oder wurden nicht gesichert. Auf der Suche nach einem Brandbeschleuniger habe die Polizei „den Brandschutt mit den Händen durchwühlt“, schrieb der Chef der Tatortgruppe in seinem Bericht. Das ist kein gängiges Vorgehen, meint auch Dr. Peter Iten, Leiter der Abteilung für Forensische Chemie/Toxikologie am Institut für Rechtsmedizin in Zürich.
Es gibt noch mehr Versäumnisse. Oury Jalloh belegte im Keller des Polizeireviers die Zelle mit der Nummer 5. Andreas S., der Dienstgruppenleiter und Polizeihauptkommissar und an jenem Abend für Oury Jallohs Sicherheit zuständig, wurde wegen fahrlässiger Tötung zu 10.800 Euro Geldstrafe verurteilt. Er hätte die Selbstanzündung verhindern können, so der Vorwurf.
Die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ vermutet Schlimmeres. Sie bleiben bei ihrer Aussage, „das war Mord und sie wissen es.“ Um Gutachten anzufertigen, sammelten sie Spenden, nahmen an den Verhandlungen teil und kontaktierten Mediziner und Experten, die im Prozess nicht gehört wurden.
Ein Brandgutachten, von ihnen in Auftrag gegeben, brachte neue Erkenntnisse. Eine „Sicherheitsmatratze“ wie die in „Zelle 5“ ist nur schwer in Brand zu stecken. Die Initiative stellte die Szene zusammen mit einem Brandgutachter nach. Dazu wurden zehn solcher „schwer entflammbaren Sicherheitsmatratzen“ aus Deutschland geliefert. Neun von zehn Matratzen brannten nicht oder nur minimal. Auch die Rauchentwicklung stand in keinem Verhältnis zu der schwarz verrusten „Zelle 5“. Die zehnte Matratze übergossen sie mit Benzin, sie brannte lichterloh.
Auch Mediziner sehen Unstimmigkeiten, wie Recherchen von Margot Overath zeigen. Prof. Dr. Michael Tsokos, Gerichtsmediziner der Charité Berlin, wundert sich über den Kohlenmonoxidgehalt in Jallohs Herzblut. „Dass Kohlenmonoxid null ist, macht mir Bauchschmerzen“, sagt er im Interview mit der Journalistin. Normalerweise sei der Kohlenmonoxidgehalt als Vitalzeichen bei Brandopfern erhöht. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, so der Gerichtsmediziner, entweder war Jalloh zum Brandzeitpunkt bereits tot, oder er ist so schnell gestorben, dass er keine Zeit mehr zum Einatmen hatte. Das würde für den Einsatz von Brandbeschleunigern sprechen.
STEFANIE BAUMEISTER