: Die Passanten gehen ihren Weg
FOTOGRAFIE Am Bau des Schlosses läuft es rund. Im Vergleich zu den vielen Abbildungen anderer Baustellen in Berlin machen sich die Schlossbilder trotzdem rar. Haben sich die BerlinerInnen etwa mit dem einst umstrittensten Bauprojekt der Republik arrangiert?
ROLF LAUTENSCHLÄGER (TEXT) UND BENJAMIN RENTER (FOTOS)
Der Wiederaufbau des Berliner Schlosses als Humboldtforum ist eine durchaus komplizierte Sache. Am Ufer der Spree und auf tiefem und sumpfigem Grund errichtet der italienische Architekt Franco Stella derzeit einen riesigen Betonblock, der 180 Meter lang und 120 Meter breit ist. Unten durch wird ein Tunnel für die U-Bahn-Linie 5 gegraben. In der Nachbarschaft soll das Einheitsdenkmal zur Erinnerung an 1989 in Form einer Wippe entstehen. Schon darum muss man aufpassen, dass dort nicht mal was schwankt.
Im Rohbau ist die vierstöckige Architektur fast fertig. Ein steinerner Klops steht jetzt mitten in der Stadt, dessen barocke Fassade einmal das historische Berliner Stadtschloss aus dem 18. Jahrhundert von Andreas Schlüter vergegenwärtigen soll. Für die Fassadenrekonstruktionen mangelt es am Geld. Schwierig werden auch der Aufbau der Kuppel und der Innenausbau für die außereuropäischen Sammlungen der Staatlichen Museum sowie für weitere kulturelle Nutzungen bis zur Eröffnung 2019 werden. Denn die ZLB droht, aus dem Projekt auszusteigen. Alles Aufreger? Wohl kaum.
Das Merkwürdige ist, dass über die lange Zeit umstrittene Schlossbaustelle in der Stadt kaum mehr ein Wort verloren wird. Um die aufgeladene Großbaustelle machen die sonst so baustellensüchtigen BerlinerInnen einen Bogen. Weniger, weil ihnen die Summe von 600 Millionen Euro sowie die fehlenden Spendengelder und Mehrkosten von noch 58 Millionen auf die Nerven gingen. Sondern eher, weil sie sich sonst verlaufen würden zwischen den weiträumigen Absperrungen und Sackgassen. Dennoch: das viele Geld, der fehlende Himmel über Berlin, der abgerissene Palast der Republik, dessen temporäre kulturelle Nutzung oder die Zukunft des Schlosses als Rohbau – sei’s wohl drum.
Man könnte es zugespitzter sagen: Das Thema „Berliner Schloss“ alias Humboldtforum existiert fast nicht mehr im öffentlichen Diskurs. Nach dem Aushub der Baugrube und der Grundsteinlegung im Februar 2013 kommt das Richtfest 2015. Man redet darüber wie über einen „Arbeitssieg“ des DFB-Teams gegen das Fürstentum Liechtenstein.
Auch im Vergleich zu den vielen Abbildungen anderer Baustellen in Berlin und in der Region – siehe BER oder Staatsoper –, wo sich die Fotografie als eine notwendige voyeuristische Instanz verhält, machen sich Schlossbilder heuer rar. Der Fotograf Benjamin Renter dokumentiert die Quasi-Abwesenheiten der Schlossrekonstruktion mit und in seinen Aufnahmen sehr präzise und mit lässigem Witz: Gleichwohl der Raum in der Stadt sich zusehends durch die neue Architektur verengt, der Fernsehturm immer weiter entrückt, findet die Schlossbaustelle kaum Aufmerksamkeit bei den Passanten. Sie gehen ihren Weg und nicht einem hochstilisierten Spektakel auf den Leim.
Die Fotos vermitteln zugleich: Es wird am Schlossplatz malocht, nicht am Mythos des Schlüterbauwerks gebastelt. Höchstens die steinernen Ahnen längst vergangener Zeiten finden das alles noch spannend und schauen von ihren Postamenten herab.
Sind wir Berliner baustellenmüde geworden angesichts der vielen Termin- und Kostenexplosionen an anderer Stelle? Vielleicht. Ein bisschen pflegen wir das Phlegma und kosten eine funktionierende Baustelle aus, ja warten ab, was rauskommt. Das liegt auch daran, dass „wir voll im Zeit- und Kostenplan sind“, wie Manfred Rettig, Bauherr in der Stiftung Berliner Schloss, sagt. „Bis zum Frühjahr 2015 ist der Rohbau fertig, im Frühsommer wollen wir Richtfest feiern.“
Abgesehen von der endlosen Spendensache ist Rettig für seine stille und effektive Arbeit beim Wiederaufbau des Stadtschlosses nicht nur hoch gelobt, sondern auch schon als Chef für den Flughafen BER gehandelt worden. Wer das einst umstrittenste Bauprojekt der Republik kann, kann auch BER – mehr Fotografien inklusive.