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Archiv-Artikel

Ortstermin: Bremer strömen freiwillig ins Finanzamt Neues Erlösmodell

Schnell rein, die linke Tür bitte. Steuererklärung abgeben, möglichst schnell wieder raus. Der Bremer Bürger weiß für gewöhnlich nicht, dass er bei obligatorischen Besuchen im städtischen Finanzamt durch geschichtsträchtige Flure hetzt.

Der monströse Bau am Rudolf-Hilferding-Platz ist nicht nur Sitz der Finanzsenatorin – er ist das „Haus des Reichs“. Seit vergangenem Monat bietet die eigens dafür angestellte Museumskuratorin Gundula Rentrop Führungen durch die Räumlichkeiten an. Die Nachfrage ist riesig. Rentrop ist „überwältigt“ vom Besucheransturm der zumeist älteren Herrschaften. „Das Durchschnittsalter der Teilnehmer ist 70 plus“, sagt Rentrop. Deshalb will sie die Gruppengrößen auch möglichst klein halten. Neulich erst ist ihr eine 80-Jährige verschütt gegangen. Glücklicherweise ist die Dame wieder aufgetaucht.

Rentrop teilt die Begeisterung für die Geschichte des Hauses. Schon im Eingangsbereich gerät die 53-Jährige ins Schwärmen: „Immer, wenn ich hier die Treppe herunterlaufe, möchte ich ein Ballkleid anhaben“, sagt Rentrop der Besuchergruppe. „Und die Herren müssten Anzug tragen statt Karohemden.“ Tatsächlich ist der Raum mit der indirekten Beleuchtung an der teils vergoldeten Decke und der verspiegelten Wand über der Eingangstür einen zweiten Blick wert.

Ursprünglich war dies der Privateingang der Familie Lahusen, Herren über das einstige Garnimperium Nordwolle AG. Der Bremer Johann Carl Lahusen hatte das Familienunternehmen zu einem Global Player gemacht. Als er 1921 starb, übernahmen die drei Söhne das Geschäft. „Innerhalb von nur zehn Jahren wirtschafteten die drei Nordwolle in Grund und Boden“, sagt Rentrop. Die Lahusen-Brüder ließen das „Haus des Reichs“ als neuen Firmensitz bauen, als das Unternehmen faktisch schon pleite war. Sie verschwiegen ihren Angestellten den Bankrott und schöpften immer neue Mittel aus dem städtischen Bankenwesen. Der älteste der Gebrüder war praktischerweise mit dem damaligen Finanzsenator verschwägert.

So konnten die beauftragten Architekten auch noch im letzten Winkel des Gebäudes einen unverkennbaren Stil hinterlassen: Art Deco. Rentrop beschreibt die strengen, geradlinigen Formen als „schlicht, aber unter Verwendung allerfeinster Materialien“. Seinen Namen erhielt das Haus, als es 1933 vom Reichsfinanzministerium ersteigert wurde. „Das war vor Hitler“, sagt Rentrop. „Sie können den Namen also guten Gewissens aussprechen.“

Im zweiten Stock knarrt der Holzboden, als die Besucher auf den Raum mit der Nummer 210 zugehen. Es ist das Arbeitszimmer der grünen Bremer Finanzsenatorin Karoline Linnert. Mit ausgebreiteten Armen steht Gundula Rentrop vor dem verwaisten Monsterschreibtisch der Politikerin und sagt immer wieder: „Bitte nur bis hier hin und nicht weiter!“ und „Auf keinen Fall fotografieren!“ Die Behörde ist besorgt, dass Akten und Personalien ausspioniert werden könnten. „Nachher weiß einer über das Einkommen des Nachbarn Bescheid“, fürchtet Rentrop. Das Inventar ist aus edlem Mahagoniholz und die Farbe Grün zieht sich durch den gesamten Raum. Bittersüßer Zigarrenrauch strömt nach all den Jahren immer noch aus dem schweren Stoff der Wandbespannung. Bis auf einzelne Restaurierungsarbeiten wurde im Haus nichts verändert.

„Finanzbeamte sind eben konservativ“, sagt Rentrop. Während die Besucher durch die Hallen schlendern, drängen vereinzelt Mitarbeiter des Hauses in Richtung Ausgang und Feierabend. Manche grinsen im Vorbeigehen. Sie können sich einfach nicht daran gewöhnen, dass ihre Arbeitsstätte neuerdings gern besucht wird. Ob die 15 Euro Eintrittsgeld wohl von der Steuer absetzbar sind? LAURA KOCH