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Archiv-Artikel

Kämpferisch gegen Abschiebungen

Panterkandidatenpaar (8): Ingrid und Ronald Vogt helfen Flüchtlingen

In der Gegend von Bad Pyrmont in der Nähe von Göttingen sieht es aus wie auf einem Postkartenidyll: Burgen und Schlösser schmiegen sich an waldreiches Mittelgebirge, dass es ein einziges Wohlgefallen ist. Mitten darin wohnt das Ehepaar Vogt in einer ehemaligen Dorfschule. Doch schon der „Atomkraft? Nein danke“-Aufkleber am Eingangsfenster verrät, dass hier Menschen wohnen, die ganz gut wissen, dass es die heile Welt so nicht gibt – und die dennoch mit großem Einsatz dafür kämpfen.

Ingrid und Ronald Vogt, beide Sonderschulpädagogen im (Un-)Ruhestand, unterstützen als ehrenamtliche MitarbeiterInnen des Niedersächsischen Flüchtlingsrates seit über zehn Jahren Flüchtlinge – und beraten sie zudem in Gesundheitsfragen. In der alten Dorfschule gibt es zum Beispiel einen Raum, der mit einer geheimen Fluchttür versehen ist: „Früher haben wir hier Flüchtlingsfamilien versteckt, die von Abschiebung bedroht waren. Das geht jetzt natürlich nicht mehr, weil die Polizei längst weiß, wo sie suchen müsste“, erzählt Ingrid Vogt mit einem kampfeslustigen Blitzen in den Augen. Es gibt auch andere Mittel, eine Abschiebung zu verhindern, und die Vogts kennen sie mittlerweile alle: 250 Familien, zumeist kurdischer Herkunft, haben sie in rund 15 Jahren betreut und doppelt so viele beraten – insgesamt wurden lediglich 15 Prozent letztendlich doch abgeschoben. Für die Vogts jedes Mal eine unannehmbare Niederlage: „Wir haben auch schon mal eine Familie mit dem VW-Bus über die schwedische Grenze gebracht – mit Kind, Kegel und Gitarre an Bord“, erzählt Ingrid Vogt.

Im Arbeitszimmer der Vogts reiht sich Aktenordner an Aktenordner, zurzeit stehen noch 50 „offene Fälle“ an, die Auseinandersetzung mit dem „Apparat“, wie die Vogts sagen, zieht sich oft über Jahre hin. „Flüchtlingsarbeit ist für mich Antifa-Arbeit“, sagt Ronald Vogt, dessen Vater „bis zur letzten Sekunde überzeugter Nazi war. Das ist für uns durchaus ein Thema: Flüchtlinge werden nicht als Menschen anerkannt. Dagegen kämpfen wir an, daraus beziehen wir unsere Kraft“, sagt er.

Kein Mensch ist illegal – für Ingrid Vogt ist das nicht nur ein Graffiti-Spruch, denn sie hat es am eigenen Leib erfahren müssen. Als Kleinkind musste sie zusammen mit ihrer Familie aus dem damaligen Westpreußen fliehen; die Sechsjährige befand sich während der Flucht zeitweise zwischen den Fronten. Und so ging es dann auch weiter: „Wir waren über ein Jahr im Lager, vegetierten in einer Scheune, Verrückte tanzten herum, einige verrichteten ihre Notdurft im Heu – dann später waren wir die Ausgestoßenen, von der Verwandtschaft haben wir gar nichts bekommen“, erinnert sich Ingrid Vogt.

So kann und darf die Welt einfach nicht sein. Wenn eine Frau, die in der Türkei vergewaltigt wurde, abgeschoben werden soll, dann sind die Vogts auf den Plan gerufen. Wenn ein Mann, der offenkundig Folterspuren aufweist und schwer traumatisiert ist, zurück in seine „Heimat“ soll und der zuständige Arzt ein Gutachten mit der Begründung verweigert, „er lasse sich auf so eine politische Geschichte nicht ein“, dann setzten die Vogts Himmel und Hölle in Bewegung: Eilanträge werden gestellt, Petitionen verfasst, Gesundheitsämter konsultiert, um den Stempel „nicht reisefähig“ zu erhalten. Mittlerweile hat Ronald Vogt ein regelrechtes Ärztenetzwerk aufgebaut, er geht auch gezielt in die „Abschiebeknäste“, um die Menschen zu betreuen. „Es gibt fast immer noch letzte Möglichkeiten, jemanden zu retten. Einmal hat ein Flugkapitän eine Abschiebung verhindert, indem er sich weigerte, einen Flüchtling als Passagier zu transportieren“, sagt er.

Die Vogts sind nach eigenen Angaben „selbstverständlich parteilich“, also auf der Seite der Flüchtlinge: „Natürlich haben uns Familien auch schon mal was vom Pferd erzählt, aber wir helfen trotzdem. Man muss auch Menschen helfen, die man vielleicht nicht auf den ersten Blick leiden kann“, erklärt Ingrid Vogt. Das Paar versteht sich auch als Gegengewicht zum „Apparat“, der lediglich darauf aus sei, die Menschen in Widersprüche zu verwickeln und nach jeder Möglichkeit fahnde, die Flüchtlinge abzuschieben.

Seit fünfzehn Jahren sind die Vogts nun dabei – und machen trotz gesundheitlicher Probleme weiter. Angefangen hatte das alles mit einem Iraner, der in Schwierigkeiten war und Hilfe brauchte. Der wiederum kannte einen vietnamesischen Mitschüler, der ausgewiesen werden sollte. Zunächst musste ein städtischer Ausländerbeirat her, später wurden die Vogts dann Mitglied im Niedersächsischen Flüchtlingsrat – auch wegen eines offiziellen Briefkopfes: Wer sich mit dem „Apparat“ anlegt, braucht Rückhalt. „Wir hatten doch am Anfang gar keine Ahnung, wie das überhaupt geht, welche Möglichkeiten es gibt, mit wem man reden muss“, erinnern sie sich. Mittlerweile sind sie mit allen Wassern gewaschen, haben Kurse zum Thema „Traumatisierung“ besucht, den Pschyrembel und das Ausländerrecht mehr oder weniger auswendig gelernt.

Im Gegenzug können sie sich vor Dankbarkeit und Präsenten kaum retten: „Wenn wir die Geschenke alle aufbewahren würden, hätten wir hier überhaupt keinen Platz mehr“, sagt Ingrid Vogt: Uhren aus Georgien, Wasserfallbilder mit elektronischem Vogelgezwitscher, Vasen. Das alles kommt – es geht nicht anders – auf den Flohmarkt. Das Geld können die Vogts gut gebrauchen. Der Flüchtlingsrat finanziert zwar die Gutachten – den Rest der Unkosten, die ihre Engagement mit sich bringt, tragen die beiden jedoch allein.

MARTIN REICHERT