DVDESK : Buchfrau und Baummann
Die Liebe der Kinder (Regie: Franz Müller. Deutschland 2009). Die DVD ist ab rund 16 Euro im Handel erhältlich
Alles beginnt mit einem Blind Date. Maren (Marie-Lou Sellem) und Roland (Alex Brendemühl), Singles um die vierzig, treffen sich auf einem Autobahnrastplatz. Mit leichter Hand jagt das Drehbuch sie aufeinander: Von links und rechts kommen die Autos und begegnen sich dort. Sie hat per Anzeige einen naturverbundenen Mann gesucht und arbeitet in einer Bibliothek. Er fällt Bäume und hat ihr in seiner Antwort vorgeflunkert, er sei Biologe beim Naturschutzverband. Zaghaft verläuft das erste Gespräch, dennoch landet man im Autobahnmotelbett. Und steht, nichts ist passiert, gleich wieder auf. Zum Abschied ein Kuss, eine Mail hinterher („Abgesehen davon sind wir, glaube ich, zu verschieden“), das hätte es dann auch schon gewesen sein können.
Roland jedoch gibt nicht auf. Findet ihre Adresse heraus. Ist sehr direkt: „Du gefällst mir.“ Er fällt einen Baum. Zeigt ihr sein Haus. Sie haben Sex. Er fällt einen weiteren Baum und trinkt mit seinem höchst verwirrten Baumfällkollegen ein Glas Wein drauf. Der Kulturclash zwischen Buchfrau und Baummann ist eine der Linien, die das hoch intelligente Drehbuch von Franz Müller durch diesen Film zieht. Auf den ersten Blick nimmt sich da manches wie ein Klischee aus. Genau um das Gegenteil jedoch geht es, darum nämlich, wie man sich selbst über den Anziehungs- und Fliehkräften der Liebe fremd wird. Liebe ist: sich auch mit den Augen des/der anderen sehen. Das Schöne daran: Man sieht vorteilhaft aus. Das Beunruhigende: Man erkennt sich nicht unbedingt wieder. So kommt es in der „Liebe der Kinder“ zu einem interessanten wechselseitigen Verfremdungsverkehr, in dem sich die Klischeefiguren dann sehr schnell zu Individuen deformieren.
Der eigentliche Clou der Geschichte ist ein anderer. Schon der Titel verrät ihn, jedoch steuert der ohnehin sehr frei durch seinen Plot mäandernde Film keineswegs unmittelbar darauf zu. Roland und Maren sind beide alleinerziehende Eltern. Maren hat eine Tochter, Roland einen Sohn. Die beiden pubertierenden Kinder tun nun, was gar nicht geplant war: Sie verlieben sich ineinander, ihrem Alter gemäß Hals über Kopf, und verwirren Vater und Mutter dadurch über die Maßen. Der Film bekommt durch diese Konstellation eine Spiegelachse, die für manch komischen Effekt sorgt, manchmal aber auch eher bittere Wahrheiten über das allzu verlogene Eingerichtetsein im eigenen Leben ans Tageslicht bringt.
Franz Müller weiß um die Gefahr seiner Konstruktion: Sie droht mechanisch zu klappern. Zu den schönen Seiten dieses großartigen Films gehört es darum, dass wider Erwarten nichts an ihm klappert. In schnellen, oft geradezu riskanten Schritten und Sprüngen ist das erzählt, mit einem sehr schönen Sinn für Auslassungen, aber auch dreiste Metaphern. So schwimmen einmal vier Schwäne in einem See, zwei große weiße, zwei kleine graue – das richtige Leben, noch mal gespiegelt im Wasser.
In den leider viel zu kurzen Interviews im DVD-Extra erfährt man, wie es zum Eindruck des Frischen, Improvisierten, aus dem Moment heraus Entstandenen kommt. Es wurde beim Dreh nämlich wirklich, zumindest im Detail, improvisiert, kaum etwas lag hundertprozentig fest, die Darsteller hatten viel Freiheit, zu tun und zu sagen, was ihnen im Augenblick das Richtige schien. Mehr als einmal sieht man ihnen an, wie sie sich, aber auch einander selbst überraschen durch das, was sie sagen und tun. Es kommt so eine Offenheit in den Film, die man gerade im deutschen Kino sonst selten erlebt. Dieser Film lässt, so toll er als Erzählung funktioniert, durchweg noch etwas spüren vom Moment des Drehs, den die Kamera als Spielszene immer auch dokumentarisch festhält. Man merkt ihm, trotz manch widriger Entstehungsumstände, aufs Erfreulichste an, wie Dreharbeit auch Drehlust sein kann.
EKKEHARD KNÖRER