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Archiv-Artikel

Vielfalt im Kargen

Not macht erfinderisch: Im Nationalpark Alejandro de Humboldt im Oriente, dem wilden Osten Kubas, hat der humusarme Boden die Entwicklung endemischer Tier- und Pflanzenarten gefördert

VON OLE SCHULZ

Es war zum Verzweifeln, und nach drei Stunden Warten gab ich auf: Ich hatte mir vorgenommen, wie die Kubaner zu reisen, um den Nationalpark Alejandro de Humboldt zu erreichen. Doch daraus wurde nichts. Dabei war ich punkt 7 Uhr morgens am Busbahnhof Baracoas angekommen – in der Hoffnung, einen Platz auf einem der „Camiones“ genannten Pritschenwagen zu ergattern. Als bis 10 Uhr immer noch keine Mitfahrgelegenheit in Sicht ist, wird mir klar, wie schwierig der öffentliche Transport auf Kuba sein kann, wenn man nicht einen Touristenbus in harter Währung bezahlen will. Ich hätte schon vor Morgengrauen hier sein müssen, um einen Camion zum Nationalpark anzutreffen. So gehe ich nach Hause, um mich wieder hinzulegen.

Am nächsten Tag versuche ich es mit einer anderen Taktik: Ich gehe früh zum Parque Central, Baracoas Hauptplatz, und halte nach Touristen Ausschau, die einen Abstecher in den Humboldt-Nationalpark machen wollen. Und tatsächlich habe ich heute Glück. Am Ende mieten wir zu fünft einen Wagen mit Fahrer für rund 40 US-Dollar. Hier, am östlichen Zipfel Kubas, soll nicht nur Kolumbus gelandet, sondern auch der kubanische Dichter und Freiheitskämpfer José Martí aus dem Exil zurückgekehrt sein. Der Gegend kommt auch in kultureller Hinsicht eine besondere Bedeutung zu; so hat zum Beispiel der Son, Kubas Nationalmusik, seinen Ursprung im Oriente, in Kubas wildem Osten. Und die üppige tropische Berglandschaft der Region ist ebenfalls einzigartig. Um dieses Naturerbe zu bewahren, wurde 1996 in der Nähe Baracoas ein 70.000 Hektar großer Park eröffnet; benannt nach dem deutschen Gelehrten Alexander von Humboldt, der im Jahr 1800 erstmals Kuba besucht und seine außergewöhnliche Natur gepriesen hatte.

Siebenunddreißig holprige Kilometer sind es von Baracoa bis zum Nationalpark. Unterwegs machen wir einen kurzen Stopp am Toa. Der Toa ist der wasserreichste Fluss Kubas und Heimat der Hatuey-Indianer, der letzten Ureinwohner Kubas, die überlebt haben. Dann kommen wir am Besucherzentrum des Nationalparks an der Lagune von Taco an. Dort ist man verpflichtet, die Dienste eines kubanischen Guides in Anspruch zu nehmen und sich für eine von drei Touren zu entscheiden. Uns fällt die Auswahl nicht leicht: Sollen wir einen Wanderweg entlang der Taco-Bucht nehmen? Dabei hätte man die Chance, „manatís“, mächtige Seekühe, zu Gesicht zu bekommen. Oder sollen wir uns in Richtung des Kerngebiets des Nationalparks bewegen? Wir entscheiden uns auf Anraten unseres Tourführers am Ende für letztere Variante, den fünf Kilometer langen Rundweg „Balcón de Iberia“.

Zunächst waten wir durch den Fluss Santa Maria; er wird uns in den nächsten drei Stunden ein ständiger Begleiter sein. Rechter Hand können wir in der Ferne den nebelverhangenen Pico de Toldo, mit 1.175 Metern den höchsten Berg des Nationalparks, gerade einmal erahnen. Dafür bietet uns zu unserer Linken der 748 Meter hohe Iberia Orientierung. Er ist die höchste Erhebung des „Alto de Iberia“ genannten Bergmassivs, das majestätisch über der Küste thront.

Unser Führer Roeremi hält immer wieder kurz an, um uns irgendeine besondere Pflanzenart zu präsentieren, die für Laien wie uns in dem grün sprießenden Allerlei kaum zu erkennen ist. Dabei ist der Nationalpark ein Paradies für alle Botaniker; die Fauna des Schutzgebiets repräsentiert immerhin 2 Prozent aller in der Welt vorkommenden Pflanzenarten. Über 900 von ihnen sind endemisch, wachsen also nur hier.

Mit den Tieren verhält es sich ähnlich: So gibt es allein 23 endemische Froscharten im Humboldt-Nationalpark. Die große Zahl an endemischen Arten soll nach neueren Forschungen dem kargen, humusarmen Boden des Nationalparks geschuldet sein: Jede Art ist, um zu überleben, zu einer effizienten Spezialisierung gezwungen – Not macht eben erfinderisch.

Doch während die Vielfalt der Fauna mit Hilfe eines sachkundigen Begleiters relativ gut zu erkunden ist, kann man das über die Flora nicht unbedingt sagen. So dürfte man auch das Vorzeigetier des Nationalparks, den „Almiquí“, schwerlich zu Gesicht bekommen, ein kleines, unscheinbares Wesen mit einer karottenartigen Nase. Der Almiquí ist ein nachtaktives Säugetier aus Urzeiten, das sich von Insekten ernährt und nur noch in den kubanischen Provinzen Guantánamo und Holguín anzutreffen ist.

Um die Artenvielfalt zu schützen, dürfen Besucher das eigentliche Kerngebiet des Nationalparks allerdings gar nicht betreten, erläutert uns Raúl Matos Romero, der Direktor des Nationalparks, in einem anschließenden Gespräch, in dem er die Hilfe aus Deutschland hervorhebt: Die deutsche NGO Oroverde habe sowohl geholfen, die Parkwächter zu schulen als auch die Bewohner des Nationalparks für einen nachhaltigen Umgang mit der Natur zu sensibilisieren. Die Frage, warum der Ausbau der Park-Infrastruktur anscheinend nur langsam vorangeht, will Romero aber nicht kommentieren. Bis heute hält sich hartnäckig das Gerücht, der Grund sei die Intervention kubanischer Militärs. Diese wollten die unzugängliche Natur für den Fall als Guerilla-Rückzugsgebiet bewahren, dass die US-Amerikaner doch einmal im Land einmarschieren sollten. Vielleicht ist die Wahrheit aber um einiges banaler als diese Legende: Der kubanische Staat scheint es bis heute zu bevorzugen, wenn sich die ausländischen Besucher in abgeschotteten Touristenresorts aufhalten.

Aventoura bietet u. a. Gruppenreisen in den Osten Kubas an: www.aventoura.de, cuba@aventoura.de, Tel.: (07 61) 2 11 69 90