nebensachen aus jerusalem : Politik am Steuer und der richtige Umgang mit Anhaltern
Rücksicht und Höflichkeit wiegen in Israel nicht sehr schwer. Im Straßenverkehr existiert beides so gut wie überhaupt nicht. Wobei es auch hier, wie immer, Ausnahmen gibt. Es ist allerdings weniger die hübsche, junge Blonde, der gern demonstrativ Vorfahrt gewährt wird, sondern eher der politische Verbündete, erkennbar an farbigen Bändern, die an der Antenne, dem Rückspiegel oder dem Türgriff befestigt werden oder an den Aufklebern auf der Kofferraumtür.
„Hebron – seit je her für immer“, ist so einer. Er klebt meistens an einem alten Kombi oder dem Minibus kinderreicher Familien und lässt auf Zugehörigkeit zum nationalreligiösen Lager schließen, für das eine Aufgabe der Stadt von Abrahams Grab außer Frage steht. Kein jüdischer Siedler ohne den Hebron-Aufkleber oder wenigstens den im rechten Lager populären Spruch: „Siedlungsauflösung = Sieg des Terrors“. Seltener werden letzthin die unter Linken jahrelang sehr verbreiteten Sticker mit der Aufschrift: „Schalom Chaver“, Bill-Clintons Abschiedsworte an den ermordeten Premierminister Jitzhak Rabin. Später beschränkten sich die um Rabins Friedensplan Trauernden auf das Todesdatum: „4. 11. 1995“ in schwarzem Rahmen, aber das sieht man kaum noch. Stattdessen schmücken die „Jetzt reicht’s mit der Besatzung“-Sticker die Autos der Linken.
Besonders verdächtig ist, wenn einer keinen Aufkleber hat. Dann handelt es sich vermutlich um einen israelischen Araber. Wenigstens ein Farbband gehört zum guten Ton. Es muss nicht unbedingt strikt politisch sein, wobei der Kampf der blauen und orangen Bänder, für und wider den Abzug aus dem Gazastreifen, die Mode vor gut zwei Jahren erst in Umlauf brachte. Da ist zum Beispiel das relativ konsensuelle schwarz-rote Band, das Solidarität mit Sderot signalisiert, der von Kassam-Raketen aus dem Gazastreifen gepeinigten Stadt. Noch unverfänglicher ist das blutrote Band, mit dem der Fahrzeughalter gegen Verkehrsunfälle protestiert. Hier ist weiträumiges Umfahren angesagt und bei erster Gelegenheit zu überholen, denn die Unfallgegner halten sich nie ans Tempolimit. Sie liegen deutlich drunter.
Vorsicht ist auch beim Mitnehmen von Trampern angesagt. Neunzig Prozent lassen sich den drei Gruppen Soldaten, Siedler, Ultraorthodoxe zuordnen. Bei dem Rest geht es um Gestrandete aller sozialen und politischen Art, Touristen inklusive. Problematisch ist, dass sich gerade beim schnellen Heranfahren die jeweilige Gruppenzugehörigkeit schwer ausmachen lässt, es sei denn, der Tramper trägt Uniform oder das schwarze Stetl-Outfit der Ultraorthodoxen, die ohnehin nicht zu einer Frau ins Auto steigen würden. Wer nicht aufpasst, mag sich seines letzten Bargeldes entledigt sehen, ob der großen Not des verständlicherweise nicht zahlenden Fahrgastes. Richtig peinlich ist, sich unversehens den energischen Reden für Großisrael und die Vertreibung der Palästinenser auszusetzen. In diesem Fall gilt es, die unerquickliche Gesellschaft schnellstens loszuwerden und sie bevorzugt an einer verkehrsärmeren Stelle wieder vor die Tür zu setzen. SUSANNE KNAUL