: Langsam mahlen die Mühlen der Politik
TÖDLICHE SPRITZEN Bis zu 200 Patienten könnte ein Krankenpfleger in Delmenhorst und Oldenburg umgebracht haben. Bessere Kontrollen werden Monate auf sich warten lassen
Bis Ende März soll es dauern: Frühestens am „Ende des ersten Quartals 2015“ will Niedersachsens Gesundheits- und Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) faktische Konsequenzen aus den bis zu 200 Mordfällen an den Kliniken Delmenhorst und Oldenburg ziehen. Zwar stelle sich die Frage, ob es sich bei tödlichen Injektionen – offenbar über Jahre verübt vom inzwischen ehemaligen Krankenpfleger Niels H. – um „ein Systemversagen“ handele, sagte die Ministerin am Freitag in Hannover, „konkrete Handlungsempfehlungen“ könnten aber frühestens Ende März präsentiert werden.
H. steht im Verdacht, bis zum Jahr 2005 etwa 200 Patienten mit tödlichen Spritzen umgebracht zu haben. In Delmenhorst soll er ihnen das Herzmittel Gilurytmal, in Oldenburg Kalium injiziert haben. 2008 bereits war der heute 37-Jährige zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt worden – wegen eines einzigen Todesfalls.
Aktuell muss sich H. für drei weitere Morde und zwei Mordversuche vor Gericht verantworten. Eine umfassende Untersuchung aller in Betracht kommenden Todesfälle hatte die zuständige Staatsanwaltschaft Oldenburg erst Anfang November veranlasst. Vorgegangen wird inzwischen sogar gegen zwei ehemalige Oberstaatsanwälte – wegen Strafvereitelung im Amt. Die Ermittlungen hierzu führt die Staatsanwaltschaft Osnabrück.
Erst am Dienstag war bekannt geworden, dass auch acht weiteren Klinikmitarbeitern juristische Konsequenzen drohen: Ihnen wird Totschlag durch Unterlassung vorgeworfen. Die Krankenhausapotheke Oldenburg, die den Medikamentenbestand beider Kliniken verwaltet, soll schon 2004 „auf einen signifikanten Mehrverbrauch des Herzmedikaments Gilurytmal hingewiesen“ haben – doch Konsequenzen wurden nicht gezogen.
Niedersachsens Gesundheitsministerin Rundt sagte dazu jetzt, die Todesfälle gingen auch ihr persönlich „emotional sehr nahe“: In Delmenhorst und Oldenburg seien „Menschen ermordet worden, die krank, verletzlich und hilfsbedürftig“ gewesen seien.
Außerdem erwähnte die Sozialdemokratin, es gebe mittlerweile „strukturierte Meldesysteme“ wie das „Critical Incident Reporting System“, das etwa Medikamentenmissbrach erfassen soll. Wann genau dieses aber eingeführt wurde, ob alle Krankenhäuser Niedersachsens angeschlossen sind und ob das System auch Whistleblowern oder Angehörigen offen steht, wusste die Ministerin am Freitag nicht zu sagen.
Überhaupt sei sie selbst nur am Rande zuständig, so Rundt: Die Finanzierung und damit die Verantwortung für die Kliniken lägen zu allererst bei den Kassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Das Land habe keine förmliche Zuständigkeit.
Gleichzeitig kündigte die Ministerin aber an, den Paragrafen 1 des niedersächsischen Krankenhausgesetzes ändern zu wollen. Diese „Grundlage“ der Klinikarbeit beschäftige sich bisher nur mit der „Wirtschaftlichkeit“, aber weder mit der „Qualität“ der medizinischen Arbeit noch mit der „Patientensicherheit“. WYP