: Der Kapitalismus und ein Feuergott
NEUKÖLLNER OPER Alles brennt, nicht nur Autos: Von bösen Mächten handelt „Rheingold Feuerland“
Vielfach wurde Wagners „Rheingold“ bereits auf die Bühne gebracht. In der Fassung, die der Dramaturg Bernhard Glocksin für die Neuköllner Oper entwickelt hat, sind die Parallelen zum Original nicht leicht auszumachen. Immer noch geht es aber um Vertragsbruch und den alles zerstörenden Ring, auch musikalische Motive des Ur-Wagners wurden aufgenommen. Aber Glocksin transformiert den Stoff in die Gegenwart, in der skrupellose Kapitalisten das Weltgeschehen lenken und sich die Untersten der Gesellschaft in dem Versuch, ganz nach oben zu gelangen, zugrunde richten.
„Rheingold Feuerland“ erzählt von fünf Menschen, fünf Archetypen, auf drei verschiedenen Kontinenten, deren Wege sich kreuzen und in der Maschinerie des legalen und illegalen Kapitalismus feststecken. Zu Beginn des Stücks taucht die Urmutter Erda als schwarze Immigrantin auf der rot illuminierten Bühne auf, eindringlich gespielt von der Schauspielerin Dennenesch Zoudé. Sie versucht, den Romajungen Christo (Janko Danailow) davon abzubringen, weiter durch die Arbeit auf der Müllkippe sein Leben zu riskieren. Ortswechsel. In New York interviewt die junge Journalistin Mercedes (Andrea Sanchez del Solar) den Philanthropen George Warren (Thorsten Loeb), einen Wotan-Typen, der an den Investor George Soros denken lässt. Beide beobachtet vor sich hin singend Dr. Anashnapuram (Bozidar Kocevski), der eigentlich Wirtschaftswissenschaftler ist, aber eher wie ein lüstern-verschlagener Callboy daherkommt. Kocevski zeigt sich in unterschiedlichsten Rollen – auch als Camorra-Boss und als indische Tempelhure – am wandelbarsten. Er ist wohl am ehesten mit Loge, dem listigen Halbgott bei Wagner, vergleichbar, könnte aber auch den indischen Feuergott Agni darstellen.
Überhaupt ist das Motiv des Feuers allgegenwärtig und Anlass dieser außergewöhnlichen Inszenierung gewesen. „Es hat gebrannt und brennt ständig. Ausgangspunkt war, als im vergangenen Jahr drei Menschen in einer Bank in Athen verbrannt sind. Der Feuergott ist immer da“, sagt der Autor Bernhard Glocksin. Bestes Beispiel seien vor Kurzem die Ausschreitungen in London gewesen. Den Begriff des Feuerlands habe Roberto Saviano geprägt, als er darüber schrieb, wie in Italien Müllhalden verbrannt werden, um Platz für mehr Abfall zu schaffen.
Die Oper „Rheingold Feuerland“, die Lilli-Hannah Hoepner in Neukölln inszeniert hat, strotzt nur so vor Gesellschaftskritik, sie greift die italienischen Mafiastrukturen, den Krieg ums Wasser in Bolivien und die Machenschaften der Wirtschaftsmagnaten auf. Dass die Ursprünge des Kapitalismus eben auch in Wagners „Rheingold“ hineinspielen, macht die Oper ja so interessant.
Doch die Dramaturgie des Stückes würde nicht funktionieren, ohne die von Simon Stockhausen, einem Sohn des Komponisten Karlheinz Stockhausen, komponierte Musik. Die Mischung aus elektronischer und live gespielter akustischer Musik, erzeugt von nur vier Musikern, könnte vielfältiger nicht sein: mal mystisch-bedeutungsschwanger, mal psychedelisch-verängstigend oder ohrenbetäubend-aufrüttelnd. Von südamerikanischen Rhythmen über Popnummern bis hin zu indischen, hypnotisierenden Klängen tragen die Musiker den teils stakkatoartigen, teils gesprochenen, teils gerappten, immer aber drastisch zwischen Höhen und Tiefen hin- und herspringenden Gesang der Darsteller.
Der wirkt zwar manchmal etwas unmelidiös, spiegelt dadurch aber die Aussage des Stücks, dass die Welt aus den Fugen geraten ist, bestens wieder. Am Ende ist man als Zuschauer bestürzt und ratlos – der Tod des Jungen, der zu viele giftige Dämpfe eingeatmet hat, ist absehbar und große Hoffnung für die Welt bleibt nicht.
LUISA DEGENHARDT
■ „Rheingold Feuerland“ wieder am 18., 20./21. und 25.–28. August sowie 1.–3., 8.–10., 15.–18. und 22.–25. September, 20 Uhr; am 4. und 11. September um 16.30 Uhr in der Neuköllner Oper, Karl-Marx-Straße 131–133