: Harter Kampf um einen Platz an der Zivilfront
Wehrdienstverweigerer in Finnland haben es schwer, Stellen zu finden. Der Grund: Die Betriebe müssen alle Kosten tragen. Ein überarbeitetes Gesetz soll das ändern. Auch ein kürzerer Ersatzdienst könnte dabei herauskommen
HELSINKI taz ■ Jeden Morgen besteigt Ville Karuonen im Hafen der finnischen Hauptstadt Helsinki eine Fähre, die ihn in fünfzehn Minuten auf die kleine Insel Suomenlinaa bringt. Dort leistet der 24-Jährige in der Jugendherberge seit elf Monaten seinen Zivildienst. Karanen ist quasi Alleinunterhalter. Er macht Dienst am Empfang, putzt, wäscht, bezieht Betten und bereitet die Mahlzeiten zu. Für sieben bis acht Stunden Arbeit täglich bekommt der junge Mann alle zwei Wochen 200 Euro. „Wenn mir mein Vater nicht helfen würde, wäre ich dauernd pleite“, sagt er.
Zur Armee zu gehen war für Ville Karuonen nie ein Thema. „Ich wollte immer verweigern. Im hohen Norden bei Minusgraden sitzen und aufpassen, dass der Schnee nicht angreift?“, sagt er und tippt sich an die Stirn. Besonders gefällt ihm, dass er abends nach Hause fahren kann und „nicht in der Kaserne verblödet“. Zwar hat er gerade in den Sommermonaten bei ständig wechselnden Schulklassen kaum eine ruhige Minute. Dennoch ist Karanen froh, hier gelandet zu sein. „Zwölf Bewerbungsgespräche habe ich geführt, bis es geklappt hat“,, sagt er.
In der Tat haben es Finnen, die den Wehrdienst verweigern, schwer, eine Stelle zu finden. Und das, obwohl sich nur acht bis neun Prozent eines Jahrgangs, das sind rund 2.500 Personen, für diesen Schritt entscheiden. Davon sind 50 bis 80 Totalverweigerer. In Finnland dauert der Zivildienst 13 Monate. Der Dienst in der Armee, der auch Frauen offensteht, dauert mindestens 6, für diejenigen, die nach höheren Dienstgraden streben, bis zu maximal 12 Monaten.
Die Tatsache, dass die übergroße Mehrheit der Finnen widerspruchslos der Einberufung folgt, erklärt Kaj Raninen damit, dass in Finnland vor allem aus historischen Gründen auf die jungen Menschen immer noch ein immenser sozialer Druck ausgeübt werde, ihren Wehrdienst zu leisten. „Das Motto lautet: Jeder muss dienen“, sagt er. Der 39-Jährige arbeitet beim Finnischen Verband für Kriegsdienstverweigerer, der 1974 gegründet wurde und heute 1.400 Mitglieder hat. Raninen selbst ist Totalverweigerer und hat dafür siebeneinhalb Monate im Gefängnis gesessen. „Ich würde das Gleiche wieder tun, denn ich lehne dieses System grundsätzlich ab. Die finnische Armee sollte abgeschafft werden, sie wird nicht gebraucht“, sagt er.
Der Verband informiert und berät Verweigerer und hilft bei der Suche nach Anwälten. Mit Kampagnen, wie „Food not bombs“ rufen die Vertreter des Verbandes zum „zivilen Widerstand“ auf. Zudem werben sie bei Abgeordneten für ihr antimilitaristisches Anliegen.
Dabei geht es Raninen und seinen Mitstreitern vor allem darum, Veränderungen des Zivildienstgesetzes durchzusetzen, dessen erste Fassung aus dem Jahre 1931 stammt. Oberste Priorität habe, so Raninen, eine Verkürzung des Zivildienstes. Die Dauer von 13 Monaten stelle eindeutig eine Diskriminierung dar, das hätten auch die Vereinten Nationen bereits kritisiert. Ein weiteres Problem ist, dass für Zivildienstleistende nicht genügend Stellen zur Verfügung stehen. Grundsätzlich können Verweigerer überall eingesetzt werden, in Krankenhäusern, Sozialstationen, Büchereien oder Nichtregierungsorganisationen. Derzeit bieten in Finnland 1.400 Betriebe und Organisationen derartige Plätze an – was bei weitem nicht ausreicht, um die Nachfrage zu decken. Die Gründe für diese Zurückhaltung sind für Raninen offensichtlich. Rund 12.000 Euro muss eine Organisation insgesamt für einen Zivildienstleistenden zahlen – für Lohn, Sozialversicherung, Unterkunft, Verpflegung und Fahrtkosten. „Da ist die Motivation gering, eine Stelle anzubieten“, sagt Raninen. Damit sich das ändere, müsse sich der Staat an den Kosten beteiligen. „Doch der hat sich bislang dafür nicht interessiert.“
Ein weiterer Knackpunkt ist, dass Zivildienstleistende zwar in Friedenzeiten vom Dienst an der Waffe befreit sind, das Gesetz sich über ihren Status in Kriegszeiten jedoch ausschweigt.
Doch für Raninen zeigt sich die Diskriminierung von Verweigerern nicht nur an der Dauer des Ersatzdienstes. In den Stellenanzeigen mancher Firmen sei geleisteter Wehrdienst eine der Einstellungsvoraussetzungen. „Das ist vom Gesetz verboten“, sagt Raninen. Bis zum Januar vergangenen Jahres hätte der Verband rund 200 solcher Anzeigen zusammengetragen.
Offensichtlich zeigt das Engagement der organisierten Kriegsdienstverweigerer eine erste Wirkung. Derzeit wird das Zivildienstgesetz im Arbeitsministerium überarbeitet und soll nach der Sommerpause ins Parlament eingebracht werden. „Wir sind für eine Verkürzung des Zivildienstes auf elf Monate“, sagt Oras Tynkkynen, Mitglied der grünen Partei, die der Regierung angehört und mit 29 Jahren zweitjüngster Parlamentsabgeordneter. Was die Finanzierung von Stellen für den Ersatzdienst angehe, da müsse der Staat Verantwortung übernehmen. „Er müsste für alle Kosten aufkommen, zumindest aber sollte das Verhältnis 50 zu 50 sein.“ Werden diese Forderungen bei den Koalitionspartnern durchsetzbar sein? „Noch sperren sie sich“, sagt Tynkkynen, „aber ich bin trotz allem optimistisch.“
BARBARA OERTEL