: Hessen: Bahn soll Netz abgeben
Bundesländer kündigen vor Sondersitzung Widerstand gegen Bahnprivatisierung an
BERLIN taz ■ Hessens Verkehrsminister Alois Rhiel (CDU) prescht in Sachen Bahnprivatisierung vor: Er plädiert dafür, den entsprechenden Gesetzentwurf zu versenken. Am Donnerstag trifft er sich mit seinen Amtskollegen zu einer Sondersitzung. Rhiel fordert, der Deutschen Bahn die Verfügungsgewalt über das Schienennetz zu entziehen, bevor Investoren einsteigen. Nur so gäbe es die Chance, dass mehr Verkehr auf der Schiene stattfindet. „Wenn die Bahn AG das Netz selbst bewirtschaften darf, ist die Gefahr einer massiven Benachteiligung der anderen Anbieter von Verkehrsdienstleistungen klar abzusehen“, heißt es in Rhiels Antrag. Auch eine Aufsichtsbehörde könne dies nicht unterbinden. Allein einem unabhängigen Betreiber des Netzes traut Rhiel zu, einen fairen Wettbewerb zu garantieren.
Neben einer Vernachlässigung der Infrastruktur prognostiziert Rhiel auch höhere Kosten für die Länder, sollte der Gesetzentwurf von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) umgesetzt werden. Schon heute zahlen die Länder 60 Prozent der Trassen- und 90 Prozent der Bahnhofsgebühren und können sich gegen Preiserhöhungen nicht wehren. Nach dem Einstieg privater Investoren sei zu erwarten, dass die Bahn hier noch kräftiger zulangen werde.
Tatsächlich spricht vieles dafür, dass Rhiels Befürchtung berechtigt ist. Interne Planungen der Bahn sehen vor, dass die Netz AG zum gewinnträchtigsten Betriebsteil werden soll. Nachdem sie 2006 noch ein Minus von 212 Millionen Euro ausgewiesen hat, sind für 2011 über 500 Millionen Euro Plus angepeilt. „Wir wollen wirtschaftlicher werden, indem wir die Produktivität steigern und die Auslastung erhöhen“, so ein Bahnsprecher.
Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass die Mittelfristplanung der Bahn auf eine andere Strategie hindeutet: Die Stations- und Trassenpreise sollen jährlich um über zwei Prozent erhöht werden, so dass zusätzliche Millionen in die Kasse der DB Netz fließen. Dagegen erwartet die Bahn bis 2011 im Bereich Regionalverkehr einen Rückgang ihres Überschusses – und das, obwohl die Länder bis dahin kaum neue Strecken ausschreiben und die Bahn somit fast keine Aufträge einbüßen wird. Sinn der betriebsinternen Umschichtung: Die Bahn will dafür sorgen, dass das Netz als dauerhaftes Monopol ihre Geldmaschine wird.
Hessens Verkehrsminister Rhiel steht mit seinen Befürchtungen nicht allein da. Auch andere Länderminister haben starke Bedenken. Das entscheidende Wort haben allerdings die Ministerpräsidenten – und die werden sich bei ihrer Sitzung im September oder Oktober kaum offen gegen die große Koalition in Berlin positionieren. Eher werden sie auf Verzögerung setzen. Tiefensees Hoffnung, dass das Gesetz am 20. Dezember unter Dach und Fach ist, ist jedenfalls verfehlt: Fünf Wochen später wird in Hessen und Niedersachsen gewählt. Kein Landespolitiker dort wird dann ein solch unpopuläres Gesetz verteidigen wollen. ANNETTE JENSEN