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Archiv-Artikel

Sanfte Räumung in der Schanze

STADTTEILFEST Mehr als 10.000 Menschen besuchen tagsüber das Fest im Schanzenviertel. Am Abend treten alkoholisierte Krawallos in Aktion und zündeln an der Haspa-Filiale

Das Schanzenfest

Das selbst organisierte alternative Schanzenfest findet seit 1988 jährlich statt. Brennende Müllbarrikaden gab es erstmals 2003.

■ Nicht angemeldet wird das Fest seit 2004, weil es wieder politischer werden sollte, nach dem es sich zum „bürgerlichen Event“ entwickelt hatte – Döner-Grills hatten politische Stände fast verdrängt.

■ Die Krawalle haben sich seither ritualisiert und werden von erlebnisorientierten Fest- und Piazza-Besuchern ausgelöst. Selbst Polizisten in Freizeit sind schon als Flaschenwerfer enttarnt worden.

■ Zum Gefahrengebiet mit verdachtsunabhängigen Kontrollen ist das Schanzenviertel wegen des Festes dieses Jahr zum ersten Mal von der Polizei erklärt worden.

VON ANNIKA STENZEL, ANDREAS SPEIT UND KAI VON APPEN

Im Anschluss an das Schanzenfest ist es am späten Samstag Abend doch noch zu Ausschreitungen gekommen. Starke Polizeieinheiten mit Wasserwerfern räumten das Schanzenviertel. 40 Personen seien vorläufig festgenommen worden, meldet Polizeisprecherin Karina Sadowsky. 2.100 Polizisten waren im Einsatz.

Davor waren mehr als 10.000 Menschen zwischen Flohmarkt-, Ess- und Getränkeständen durch das Viertel geschlendert. Auf der Bühne spielten Bands, in den Umbaupausen ergriffen RednerInnen das Mikro und sprachen über den Slutwalk (Schlampenmarsch), feminine Selbstbestimmung oder über sexualisierte Gewalt gegen Frauen. Infostände forderten „Wohnraum statt Leerstand“ und klärten über den Mietenwahnsinn auf.

Es war das größte Schanzenfest, das es jemals gegeben hatte – die Stände reichten über das ganze Schulterblatt bis zum Pferdemarkt, und auf der anderen Seite über die Altonaer Straße bis nach Eimsbüttel. Von Hausfassaden, von Bäumen und Brücken hingen Transparente mit Aufschriften wie „Kein Ballermann im Schanzenviertel“, „Recht auf Straße“ (für die Prostituierten in St. Georg), „Rote Flora bleibt unverträglich“ und „Hiermit ist es noch nicht vorbei – Autonomes Zentrum Altona“.

Obwohl sich die Polizei beim laufenden Konzert zurückhielt, kam es am Rande zu einem Zwischenfall. Da der Reporter des Freien Sender Kombinats (FSK), Werner Pomrehn, am Neuen Pferdemarkt ein Lagegespräch von Polizeiführern akustisch mitbekommt, wird er kurzum in Gewahrsam genommen. „Er hat einen Platzverweis nicht befolgt“, sagt Polizeisprecher Mirko Streiber. Pomrehn behauptet, es habe nie einen Platzverweis gegeben und er habe deutlich seinen Presseausweis gezeigt. FSK wertet den Vorfall als erneuten „massiven Eingriff in die Pressefreiheit seitens der Polizei“.

Obwohl gegen 22 Uhr das Programm des Schanzenfestes offiziell beendet ist, feiern rund 2.000 Menschen auf der Ballermann-Piazza und dem Schulterblatt-Boulevard weiter. Ein paar stark alkoholisierte Krawallos nutzen gegen 22.30 Uhr den Schutz der Menge, um ein Feuer aus Verpackungsabfällen zu entfachen. Anwohner treten die Flammen aus. „Haut ab, ihr Schwachköpfe“, ruft ein Mann. Doch den Jugendlichen gelingt es, die Flammen wieder zu entfachen. Weitere Löschversuche misslingen, die Zündler werden ausfällig. „Verpiss dich, du Fickfehler“, riefen sie einem Anwohner zu. „Ruf doch die Bullen, du Memme“, einem anderen.

Fast eine Stunde lässt die Polizei das drei Meter hohe Feuer vor dem Rote Flora-Portal lodern. Dann greifen Streetfighter auch die Haspa-Filiale an der Juliusstraße an – die Einladung für die Polizei. „London ist überall“ sprühen sie an eines der Schutzrollos der Sparkasse. Daneben steht „A.C.A.B“: „All Cops Are Bastards“.

Am Eingang versuchen vermummte Jugendliche mehrfach, mit einem Rammbock die Panzerglasscheibe der Bank zu knacken, dann werfen sie frustriert und wütend den Balken weg. Andere legen Feuer unter ein Rollo. Keine zehn Schritte entfernt stecken Kunden ihre Geldkarte in den Automaten und holen Geld ab.

Jugendliche versuchen mit einem Rammbock die Panzerglasscheibe der Haspa zu knacken

Mit anderen Gegenständen und mit bloßer Faust dreschen die Jugendlichen weiter wie von Sinnen auf die Rollos der Sparkassen-Filiale ein. Viel Applaus bekommen sie von den Passanten und Anwohner nicht. Gegen 23.50 Uhr rückt die Polizei mit drei Wasserwerfern und einem Räumpanzer eher sanft vor. Während der neue Wasserwerfer „Wawe10.000“ zuerst nur Nieselregen versprüht, prescht von der Susannenstraße her ein kleiner polizeilicher Greiftrupp Richtung Haspa vor, der mit einer Tränengasgranate empfangen wird.

Da der Flaschenbewurf andauert, geht die Polizei dazu über, das Schulterblatt und die Susannenstraße zu räumen. Die Besucher auf der Piazza werden zwar auch kurz mit Wasser beschossen, jedoch nicht – wie in früheren Jahren – unter Schlagstockeinsatz geräumt.

Erst gegen 0.30 Uhr beginnt die Polizei dann auch die Seitenstraße unter Einsatz von Wasserwerfern zu räumen. „Ganz Hamburg hasst die Polizei“, rufen die Härtnäckigen den Beamten entgegen. Es kommt wegen der Flaschenwürfe zu Handgemenge und Jagdszenen. Gegen 2.30 Uhr tritt Ruhe ein. Auf dem Pferdemarkt wird Frisbee gespielt, auf der Kreuzung Altonaer Straße/Schulterblatt gekickt. Dann fährt die Stadtreinigung zum Aufräumen auf.