: Der Schoß bleibt fruchtbar noch
THEATER In Dresden, der Stadt der islamophoben „Pegida“-Demonstrationen, schafft es die Bürgerbühne nicht, Fassbinders „Katzelmacher“ mehr als nur lauwarm aufzuwärmen
VON MICHAEL BARTSCH
Rainer Werner Fassbinders erstem Erfolgsfilm „Katzelmacher“ ging vor 45 Jahren eine Bühnenfassung des Münchener Antiteaters voraus. Eine Stückentwicklung, würden wir heute sagen. Der mit einfachsten Mitteln in Schwarz-Weiß gedrehte Film zeigte dann schon die typische Fassbinder-Ästhetik. Statische Einstellungen, dokumentarische, leidenschaftslose Nüchternheit, die Absurditäten und Widersprüche umso schärfer zeichnet, Tristesse und Melancholie, karge Szene. „Katzelmacher“ zeichnet das Bild einer jungen, verlogenen Münchener Vorstadtclique auf der Suche nach Geld, Erfolg und wenigstens einem Häppchen Liebe. Den eigenen Frust projizieren sie auf einen plötzlich auftauchenden griechischen Gastarbeiter.
Nun kann in Dresden der Begriff „Ausländer“ seit Wochen reflexartig nur noch im Zusammenhang mit den islamophoben „Pegida“-Demonstrationen gedacht werden. Das Vorhaben der Bürgerbühne, „Katzelmacher“ auszugraben und zurück auf die Bühne zu holen, geht weiter zurück, darf aber getrost im Zusammenhang mit dem Zustrom an Flüchtlingen gesehen werden. Schließlich kann Fassbinders legendärer Film auch als treffende Illustration des Hermann-Hesse-Wortes verstanden werden: „Wenn wir einen Menschen hassen, so hassen wir in seinem Bild etwas, was in uns selber sitzt.“
Der Ankündigungstext des Dresdner Staatsschauspiels weckte Erwartungen. Eingestimmt wurde man auf einen Ausflug in die Dresdner Halbwelt, so man in dieser piefigsten Großstadt des Universums überhaupt davon sprechen kann, wo man gleichfalls auf Leute treffen sollte, deren menschliche Beziehungen durch „Mikrogeldströme“ vergiftet werden. Und neugierig fragte man sich, wie wohl der Grieche Jorgos im Jahre 2014 auf die Bühne kommen würde. Zumal die bundesweit als vorbildlich geltende Dresdner Bürgerbühne der ambitionierten Laien schon brillante und fantasievolle Adaptionen bekannter Stoffe hingelegt hatte. Man denke nur an die „Nibelungen“, den „Faust“ der Midlife-Crisis-Männer oder an die „Expedition Freischütz“.
Doch wer auch bei „Katzelmacher“ einen aktuellen Mehrwert erwartet hatte, wurde herb enttäuscht. Die zehn Darsteller und Regisseur Robert Lehniger halten sich ganz eng an das filmische Vorbild. Ein Remake auf dem Theater ohne sonderliche Inspiration. Das Geschehen wird lediglich auf zwei Ebenen verteilt, die teilweise ineinander übergehen. Auf eine Rückwand werden Filmsequenzen projiziert, die weitestgehend nach dem Original gedreht wurden. Die immer gleiche Vorstadt-Hausfassade bei Fassbinder ist hier nur durch einen Plattenbau ersetzt worden. Vor der Wand führen die Akteure Passagen live fort und spielen sie ein bisschen aus. So, wie auch Regisseur Robert Lehniger in seinen Arbeiten zwischen Video und Bühne pendelt.
Doch viel mehr als einen Erinnerungseffekt an den Film löst diese Inszenierung nicht aus. So gut wie alles ist eins zu eins übernommen worden: die Szenenfolge, die Gesamtlänge, Langsamkeit und Sprachlosigkeit, das Geländer vor dem Haus, die Straße, die jeweils ein Paar zu den Klängen von Schuberts „Sehnsuchtswalzer“ entlangschlendert, sogar Fassbinders spezielles bayerisches Idiom. Hätte Milena Müller als Marie statt der langen Haare einen Wuschelkopf, sie würde noch stärker an Hanna Schygulla erinnern. Was die Laienschauspieler nicht aufbauen können, ist die hinterhältige Spannung, die latente Gehässigkeit hinter der zur Schau gestellten spießigen Fassade. Ein bisschen Englisch ist hinzugekommen, Lieder und ein Blues. Zwischen den Szenen erstarren die Spieler zuweilen in lebenden Bildern. Und aus den Griechen, bei denen es so viele Kommunisten geben soll, werden heute Salafisten.
Das war es dann aber schon mit dem Heute-Bezug. Dass der Schoß, aus dem „Pegida“ kroch, auch in den 1960ern schon fruchtbar war, ist eine Erinnerung wert. Und dass sich viele von uns auf dem Markt oder in persönlichen Beziehungen prostituieren und der Traum vom Glück durch Geld in Entfremdung mündet, darf ruhig einmal wieder verdeutlicht werden. Aber die Kunst bestünde doch darin, Gültiges neu zu formulieren und nicht nur zu kopieren. Ein bisschen schade um das Engagement dieser jungen Bürgerbühnengruppe.