: Bleiberecht auf Prüfstand
KETTENDULDUNG Schleswig-Holsteins Integrationsminister will „gut integrierten“ Ausländern Bleiberecht geben. In Bremen gibt es Streit um die Frage, ob Geduldete gehen müssen, wenn ihre Verwandten straffällig werden
VON CHRISTIAN JAKOB
Schleswig-Holsteins Integrationsminister Emil Schmalfuß (parteilos) hat sich für eine Änderung des Aufenthaltsrechts ausgesprochen und zugleich ein dauerhaftes Bleiberecht für integrierte Ausländer gefordert. „Schluss mit der Kettenduldung. Wer sich integriert hat, dessen persönlicher Einsatz muss auch durch eine Bleibeperspektive belohnt werden“, sagte der Minister am Montag in Kiel.
Der Status der Duldung bedeutet eine „Aussetzung der Abschiebung“. Er ist befristet und kann immer wieder verlängert werden, teilweise über Jahre. In diesem Fall ist es eine „Kettenduldung“.
Nach den Worten von Schmalfuß werde eine „faktisch vollzogene Integration“ etwa durch hinreichende deutsche Sprachkenntnisse deutlich. Weitere Voraussetzungen seien ein langjähriger Aufenthalt in Deutschland, die Sicherung des Lebensunterhalts durch „aktive Teilnahme am Arbeitsmarkt“ oder das „Bekenntnis zu Demokratie und bundesdeutscher Gesellschaft als gemeinsame Grundlage des Miteinanders“.
Schmalfuß verwies auf bisherige Regelungen von Bund und Ländern. Damit sei in vergangenen Jahren versucht worden, langjährig Geduldeten einen legalen Aufenthalt zu gewähren. Zuletzt hätten sich die Innenminister Ende 2009 auf eine Regelung verständigt, die eine „Verlängerung unter erleichterten Bedingungen“ ermöglichen sollte. Diese Regelung wird Ende dieses Jahres auslaufen.
Bremer Erlass gestutzt
Im rot-grün regierten Bremen sorgt das Thema Bleiberecht für Unmut. Lange wurde hier darüber debattiert, wie mit den mehreren hundert Kindern und Jugendlichen umzugehen sei, die hier mit einer Duldung seit Jahren leben. Der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) hatte schließlich 2010 eine relativ fortschrittliche Regelung verkündet.
Demnach konnten geduldete SchülerInnen schon nach vier Jahren Schulbesuch einen verfestigten Aufenthalt beantragen – Kinder ab zehn Jahren fielen somit unter diese Regelung. Auch die geduldeten Eltern konnten davon profitieren, wenn ihre minderjährigen Kinder durch den Schulbesuch „integriert waren“. Hunderte Familien beantragten auf dieser Basis einen Aufenthaltstitel – doch längst nicht alle Anträge wurden bislang bearbeitet. Rund 200 Anträge sollen noch anhängig sein.
Viele Familien mit jungen Kindern fürchten deshalb um ihre Chancen auf ein Bleiberecht: Denn im letzten Monat wurde die liberalere Bremer Regelung von Berlin aus gestutzt. Im Juli trat ein Bundesgesetz in Kraft, nachdem die Kinder mindestens sechs Jahre zur Schule gegangen sein müssen und mindestens 15 Jahre alt sein müssen.
Unter den wartenden ist auch die Familie von Agron und Surwana Selimi. Seit 1998 leben die Roma in Deutschland, sind geduldet. Ihre fünf jüngsten Kinder gehen in Bremen zur Schule, der Erlass war für sie die Hoffnung, hier endlich eine dauerhafte Perspektive zu bekommen. Vor einem Jahr haben sie ihren Antrag gestellt, die Antwort steht noch aus, die Ausländerbehörde habe auch nach der Antragstellung noch auf die „freiwillige Ausreise“ gedrängt. „Die ständige Angst, ins Kosovo zurückgeschickt zu werden, hat meine Frau krank gemacht“, sagt Selimi. Früher sei sie „nie krank gewesen“, nun musste sie sich mehreren Herzoperationen in Hannover unterziehen.
Ressort weist zurück
„Die Familien hängen total in der Luft“, sagt Gundula Oertner von der Flüchtlingsinitiative Bremen. „Viele haben Angst, dass nun die neuen, härteren Kriterien zugrunde gelegt werden.“
Das Innenressort zerstreut diese Befürchtungen. „Wenn der Antrag gestellt wurde, bevor das neue Gesetz in Kraft trat, werden auch jetzt noch die alten Bedingungen zu Grunde gelegt“, sagt Sprecher Rainer Gausepohl.
Doch noch ein anderer Punkt zieht die Kritik von Flüchtlingsräten und Politikern auf sich. Die Innenbehörde hat festgelegt, dass Geduldeten eine Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt werden soll, wenn „Familienangehörige in erheblichem Maße strafrechtlich in Erscheinung getreten sind“. Als „erheblich“ gelten in der Regel Strafen von mehr als 50 Tagessätzen.
„Hier werden MigrantInnen für Rechtsverstöße ihrer Angehörigen in Sippenhaft genommen“, sagt die Linken-Fraktionsvorsitzende Kristina Vogt. „Bremen verschärft das Bundesrecht und überholt es rechts“, sagt die Flüchtlingsinitiativen-Sprecherin Oertner. „Diese Regelung ist eine rot-grüne Eigenleistung.“
Auch im Regierungslager ist man nicht glücklich. „Wir wollen eine Amnestie“, sagt die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Zarah Mohammadzadeh. „Wer lange nicht straffällig geworden ist, etwa nur vor Jahren falsche Angaben bei der Ausländerbehörde gemacht hat, der soll nicht von einem Bleiberecht ausgeschlossen sein.“
Mit Material von dpa