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Archiv-Artikel

WIE JEDES JAHR GIBT ES WEIHNACHTSFEIERN ALLERORTEN Ständig ist der Held unterwegs und trifft interessante Leute

VON DETLEF KUHLBRODT

Ein paar Jahre waren die Weihnachtsfeiern woanders und dann waren sie wieder im Betrieb und dieses Jahr war sie wieder an einem anderen Ort; wie jedes Jahr viel zu früh und es war warm und regnete und das Licht am Fahrrad flackerte entschuldigend, weil der Dynamo nichts begriff. Viele Urlauber waren auf den Straßen und kurz nach dem U-Bahnhof Warschauer Straße stellten sich drei junge Männer vor ein Fahrrad und pissten lachend dagegen.

Am Eingang musste man seinen Namen abgeben. Und zum Essen gab es Fleisch, wahrscheinlich Schweinshaxe und Rotkohl und andere Sachen. Zum Beispiel Nachtisch. Ich aß, soviel ich konnte, und ein Freund erzählte vom Fußball. Jemand war wohl beleidigt und kam nicht mehr. Witzig, dass manche Leute über 50 so schnell beleidigt sind, als wären es noch kleine Kinder. Oder dass Leute über 50 noch Fußball spielen. M., der schon bald 60 ist, sagte, aber das wäre doch toll und dass er sich immer so gut fühlen würde nach dem Sport. Ich sagte, das sei doch Betrug und käme von den körpereigenen Drogen, die freigesetzt werden, wenn man sich zu sehr anstrengt, und „ich kann auch ohne Sport fröhlich sein“, und dass es doch viel praktischer wäre, Drogen zu nehmen, als im Herbst des Lebens immer noch wie so ein junger Hüpfer ständig hin und her zu pesen. So ganz ehrlich war das aber auch nicht gemeint, denn bis aufs Kiffen vertrag ich schon lang keine Drogen mehr. Wahrscheinlich ist es doch so, wie H. neulich gesagt hatte: Als junger Mensch soll man rauchen, Sport machen, tanzen und Drogen nehmen und ab fünfzig Kontemplation: Fernseh gucken, Bücher lesen, Essen essen und schlafen.

Jede Weihnachtsfeier kommt zu früh, wie auch Weihnachten immer zu früh kommt. Winterverstimmt lief ich mehrmals durch die „Location“ und schämte mich ein bisschen, weil ich nicht in Feierlaune war. Zwei Kollegen, ein Mann und eine Frau, machten gute Musik und lachten dabei. Ich war lang nicht mehr unter Leuten gewesen, hörte nicht richtig zu und fühlte mich überfordert wegen dem sozialen Stress. Dann klingelte auch noch das Telefon. G. war am Apparat. Sie ist eigentlich meine beste Freundin. Leider hatten wir uns aber schon Monate nicht gesehen. Sie war gerade beim Essen. Wahrscheinlich mit ihrer Capoeira-Vereinigung. Weihnachten steht ja vor der Tür.

Sie fragte, ob wir uns treffen könnten. Das war eine gute Idee. Huschdiwusch ging es durch den strömenden Regen wieder nach Hause. Es war schön, durch den Regen zu fahren. Zu Hause saßen wir herum, tranken Bier und rauchten. Ich erzählte, wie doof es doch eigentlich ist, dass man mit jedem Jahr asozialer wird, und sie sagte, das ginge ihr auch so, und mir fiel ein, dass ich früher eigentlich auch schon asozial gewesen war.

Es war schon eins und M. rief an und fragte, ob ich Lust hätte, zu der Gianni-Vitiello-Gedenkveranstaltung ins Ritter Butzke zu kommen. Pilocka Krach würde gerade und Sven Dohse am frühen Morgen auflegen. Ich war aber schon zu müde und hatte auch vergessen, mich auf die Gästeliste setzen zu lassen, und weiß ohnehin nicht mehr, wie Tanzen geht, obgleich ich vor drei Jahren einmal im Tresor gewesen war. Ich erklärte G., die aus Mexiko kommt, dass die Leute wegen Aufputschdrogen so lange tanzen können, und sie sagte charmant: „Das ist also das Geheimnis“, und der Rest des Wochenendes war auch sehr turbulent. Ich guckte zum Beispiel „Sportschau“ und ging spazieren und las „Tumult“ von Hans Magnus Enzensberger. Das Buch ist prima und im Grunde so ähnlich wie „On the Road“, ständig ist der Held unterwegs und trifft interessante Leute.