: „Die Hausaufgaben machen“
Der Chef der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in Kiel, Jürgen Goecke, warnt vor Fachkräftemangel im Norden. Er fordert eine bessere Einbindung von Migranten und älteren Arbeitnehmern sowie mehr Teilzeitstellen
JÜRGEN GOECKE, 60, leitet die Kieler Direktion der Bundesagentur für Arbeit und ist zuständig für Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern.
taz: Herr Goecke, im Bundesdurchschnitt suchen Unternehmen gerade mal 21 Tage nach einem geeigneten Mitarbeiter. Warum warnen Sie dennoch vor einem Fachkräftemangel?
Jürgen Goecke: Heute haben wir nur sektorale Engpässe. Aber in Schleswig-Holstein haben sich die Arbeitslosenzahlen in den letzten beiden Jahren um 40.000 reduziert, und die Betriebe haben natürlich nicht die Schwächsten genommen. Die Vakanzdauern hier im Norden haben gegenüber 2006 um 20 Prozent zugelegt, momentan sind es 61 Tage.
Der Fachkräftemangel droht also erst.
Es spricht viel dafür, dass sich die Entwicklung der letzten Jahre fortsetzt, vielleicht nicht mit gleicher Intensität. Und dann werden wir wahrscheinlich einen Fachkräftemangel bekommen.
Welche Branchen werden davon betroffen sein?
Es wird schwieriger bei den Ingenieuren und Medizinern. Das gilt aber auch für nicht-akademische Berufe, zum Beispiel im Metallbereich bei Betriebs- und Maschinenschlossern, bei Elektroinstallateuren. Aber auch bei Krankenschwestern und Pflegern.
Von Gewerkschaftsseite heißt es, dass die Betriebe, die jahrelang nicht ausgebildet haben, nun Krokodilstränen über fehlende Fachkräfte vergießen.
Natürlich spielt die Ausbildung da eine Rolle, und wir haben dort in den letzten zehn Jahren eher eine Delle gehabt. Allerdings merken die Betriebe derzeit, dass sie Engpässe bekommen und bilden mehr aus. Ich gehe davon aus, dass wir in diesem Jahr die höchste Quote neu eingetragener Ausbildungsverhältnisse seit 1991 haben werden.
Spielen bei dem drohenden Mangel auch demographische Gründe eine Rolle?
Es ist bislang noch keine demographische Entwicklung. Die droht uns erst in den nächsten Jahren und zuerst in den neuen Bundesländern. Was derzeit dahinter steht, sind veränderte Anforderungen des Arbeitsmarktes: Wenn wir 30 Jahre zurückgucken, hat sich in dieser Zeit der Anteil der Ungelernten im Arbeitsmarkt halbiert und der der Hochschulabsolventen verdreifacht. In der Zwischenzeit haben wir in den Ausbildungsaktivitäten aber nicht sehr zugelegt.
Wer hat diese Entwicklung denn verschlafen?
Ich würde es nicht so formulieren. Aber das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat diese Entwicklung in der Tat schon vor 30 Jahren prognostiziert. Man muss auch zwischen gesamtgesellschaftlicher Notwendigkeit und individueller Betriebssituation unterscheiden. Der einzelne Betrieb denkt gerade in konjunkturell nicht so rosigen Zeiten natürlich erst an sich. Ein zweiter Punkt ist die Frage: Ist es uns gelungen, Jugendliche ausbildungsfähig zu machen? Wir haben bundesweit zehn Prozent Jugendliche, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Die Bundesagentur macht da viele Angebote, aber es gibt bestimmte Dinge, die bei 18-Jährigen schwierig auszugleichen sind.
Welche Dinge sind das?
Zum Beispiel die Sprachfähigkeiten, mit denen Jugendliche in die Schule kommen. Aber ich will mich da nicht in die Krippendiskussion einmischen.
Einige Politiker glauben, die Lösung liege in der vorgezogenen Öffnung des Arbeitsmarktes für Osteuropäer.
Ich glaube, dass wir erst einmal alle nationalen Anstrengungen unternehmen müssen. Dazu gehört es, die Migranten, die hier leben, besser ins Berufsbildungssystem hineinzuführen. Das zweite ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In Schleswig-Holstein suchen 19.000 Frauen Teilzeitstellen, aber dem stehen nur 2.000 Stellen gegenüber. Da brauchen wir sicher noch mehr Flexibilität bei den Betrieben. Und ein dritter Punkt, bei dem sich schon etwas bewegt, sind die älteren Beschäftigten.
Also kein Bedarf an Zuwanderern?
Selbst wenn wir unsere Hausaufgaben machen, glaube ich, dass wir mittelfristig Zuwanderung brauchen werden. INTERVIEW: FRIEDERIKE GRÄFF