Am Ball bleiben

Geboren wurde Mauricio Bustamante 1966 in Buenos Aires, seit 1995 lebt er als freier Fotograf in Hamburg. Nebenbei sorgt er auch noch als Fotoredakteur für die ansprechende Optik des Hamburger Straßenmagazins Hinz & Kunzt. Den Homeless World Cup begleitet Bustamante, seit dieses Turnier für obdachlose Fußballer (oder fußballende Obdachlose) 2003 erstmals überhaupt in Österreich ausgetragen wurde. Dabei entstand auch sein Buchprojekt „Players“ mit Porträts der teilnehmenden Kicker, wie sie hier auf den Seiten zu sehen sind. Auch bei der diesjährigen Runde im dänischen Kopenhagen ist Mauricio Bustamante natürlich wieder mit seiner Kamera dabei.

Hunderte von Obdachlosen aus der ganzen Welt sind nach Kopenhagen geflogen, um gegeneinander Fußball zu spielen. Eine Irrsinnsidee? Keineswegs: Nach dem Homeless Worldcup 2006 soll jeder zweite Spieler Wohnung oder Job gefunden haben

AUS KOPENHAGEN JAN KAHLCKE

Das Hupen hört nicht auf. Wie eine Raupe, die sich in ihr eigenes Hinterteil verbissen hat, schiebt sich der Autokorso vorbei an Rathaus und Tivoli immer rund um das Ministadion auf dem Rathausplatz. Die Dänen scheinen leicht entflammbar. Oder was ist das noch mal für eine Fahne, die die Jubelnden schwenken, rotweißschwarz mit grünen Sternen? Ist das nicht der Irak? Spielt der überhaupt mit? Oder hat das am Ende gar nichts mit Fußball zu tun? „Doch, doch“, sagt ein Taxifahrer, der selbst arabisch aussieht, „der Irak ist gerade Asienmeister geworden.“ Er meint die klassische Nationalmannschaft. Nicht die andere.

Im Zentrum von Kopenhagen geht gerade der erste Tag des Homeless Worldcup zu Ende, der Fußballweltmeisterschaft der Obdachlosen, wie es auf Deutsch umständlich heißt. Zum fünften Mal findet das Turnier statt, und wie jedes Jahr ist es eine Veranstaltung der Superlative: rund 500 Spieler aus 48 Ländern, neben vielen europäischen sind Teams aus Afghanistan, Hongkong, Uruguay, Uganda und dem Iran eingeflogen worden.

Die Dänen spielen kräftig mit, nicht nur auf dem Hartgummiplatz, wo sie gerade ihr Auftaktmatch gegen Irland mühsam gewinnen. Tausende stehen auf den provisorischen Tribünen an den beiden Spielfeldern, und als es zu regnen beginnt, zücken die meisten routiniert ihren Regenschirm und bleiben. Aber ein Autokorso – so viel Aufwand ist dann doch eher unwahrscheinlich. Es sei denn, Dänemark würde am Ende noch Obdachlosenweltmeister.

„Hätt‘ ich nicht gedacht, dass ich so noch mal zu einem Einsatz für ’ne Nationalmannschaft komme“, sagt Torsten Meiners. Als Junge hat er davon geträumt. Er spielte in der DDR-Liga, damals die höchste Junioren-Spielklasse. Heute ist er obdachlos. Man sieht es ihm nicht an, denn er hält viel auf Disziplin, ist glatt rasiert und trägt die allmählich weniger werdenden Haare vier Millimeter kurz geschoren. Und er hat mit seinen 43 Jahren immer noch den Körper eines Modellathleten, drahtig, mit beeindruckenden Oberschenkeln.

Mit seiner Ernsthaftigkeit wirkt Meiners ein wenig fremd mitten unter den deutschen Fans, die das WM-Fieber in dieses Jahr hinübergerettet haben. Sie tragen Trikots im DFB-Schwarzweiß und dazu das ganze schwarzrotgoldene Sortiment, vom Zylinder bis zur Irokesenperücke. Man muss schon unter die Schminke schauen, um zu sehen, dass das Leben auch ihnen ziemlich zugesetzt hat. Bei der deutschen Meisterschaft der Obdachlosen im Juni in Stuttgart hatten sie ein eigenes Team am Start, „Elf-fuffzich“. Als daraus niemand für die „Nationalmannschaft“ ausgewählt wurde, sagten sie sich: Egal, wir fahren trotzdem nach Kopenhagen. Mit Trommeln, Pfeifen und Waschbrett haben sie bei der Tradition gewordenen Obdachlosenparade der Nationen vom Mannschaftsquartier zum Spielort der voraustanzenden Sambatruppe die Schau gestohlen. Auf der Tribüne grölen sie „Oh-ne Deutschland wärhiergarnichtslos!“ Nur widerwillig geben sie Ruhe, als die Reden beginnen.

„Das da ist die dänische Sozialministerin“, sagt Torsten Meiners und deutet auf die zierliche, blonde Frau in rotweißem „Danmark“-T-Shirt und Dreivierteljeans, die auf dem Spielfeld das Mikrofon ergriffen hat. Er hat sie schon am Vortag gesehen. Empfang beim Bürgermeister, mit Buffet für fünfhundert Obdachlose. Das hat ihn tief beeindruckt, „mehr, als hier nachher auf dem Platz zu stehen“. Die Ministerin sagt ein paar nette Worte über die integrative Kraft des Sports, wünscht allen „den besten Homeless Worldcup aller Zeiten“ und stellt sich auf die Tribüne zu den Fans.

Eva Kjer Hansen sitzt für die rechtsliberale Venstre-Partei in der dänischen Rechtsregierung. Sie ist eine Politikerin zum Ansprechen, ständig kommt jemand dazu, als sie auf einer steinernen Bank am Fuße des mächtigen Kopenhagener Rathauses sitzt. Warum sie den Homeless Worldcup unterstützt? „Weil er funktioniert. Seit dem Turnier in Kapstadt im vergangenen Jahr hat jeder Zweite eine Wohnung oder einen Job gefunden“, sagt sie. Umgerechnet rund sechshunderttausend Euro gibt Hansens Ministerium für das Turnier aus, die Stadtverwaltung und private Sponsoren schießen jeweils noch einmal so viel dazu. Im Großraum Kopenhagen gibt es seit Jahren eine Obdachlosen-Liga. „Es ist imponierend zu sehen, wie der Fußball den Menschen zu Selbstvertrauen verhilft, wie er ihnen den Glauben an einen neuen Start zurückgibt“, sagt die Ministerin. „Wir dürfen nicht immer nur an die Wohnung denken.“ Der Worldcup biete zudem die Möglichkeit, das öffentliche Bild von Obdachlosen zu korrigieren. „Man kann sie hier als Menschen mit Ambitionen erleben“, sagt sie.

Ihr Ministerium lässt zurzeit eine Untersuchung über die dänischen Obdachlosen durchführen. Sie werden nicht nur gezählt, sondern auch über ihre Wünsche befragt, über die Bedingungen, unter denen sie sich ein Leben mit festem Wohnsitz vorstellen könnten. Kopenhagen experimentiert schon mit von Sozialarbeitern betreuten Kleinstsiedlungen aus einfach ausgestatteten Leichtbauhäusern, die Wohnungslose für wenig Geld bekommen. „Ich glaube, dass wir zumindest die unfreiwillige Obdachlosigkeit beenden können“, sagt Hansen. Wer aus freien Stücken auf der Straße lebe, könne daran natürlich nicht gehindert werden. „Das ist hier schließlich ein freies Land.“

Mit der Freiwilligkeit ist es so eine Sache. Torsten Meiners erzählt von seinem Weg in die Obdachlosigkeit nicht wie von einem Abrutschen, sondern eher wie von einer gut abgewogenen Entscheidung. In der DDR hatte er sich seine Freiheiten durch seinen Beruf als Hochseefischer genommen und so einiges von der Welt gesehen. Mit dem Mauerfall zog er nach Hamburg. Doch der Kapitalismus hatte eine Verlockung zu viel parat: Meiners wurde spielsüchtig. Wann immer er ein paar Hunderter beisammenhatte, ging er damit an den Roulettetisch. Einmal gewann er genug, um nach Neuseeland auszuwandern, aber er bekam kein Visum. Er versuchte, sich illegal durchzuschlagen, flog auf und musste zurückkehren. „Irgendwann war der Punkt erreicht, an dem ich feststellte: Das Spielen und die Wohnung kann ich mir nicht leisten“, sagt er. Meiners zog auf die Straße.

Heute lebt er in einem Hamburger Park. Er hat sich etwas gebaut, was er „mein Camp“ nennt, ein penibel ordentlich gehaltenes Behelfsheim aus Planen und Bauholz, sturmsicher und so eingewachsen, dass es niemand findet. Er klingt gar nicht unzufrieden, wenn er davon spricht. Natürlich wünscht er sich ab und zu stabilere Verhältnisse, eine eigene Wohnung, vielleicht eine Beziehung. Aber Sozialhilfe beantragen – das ist nichts für ihn. „Staatlich organisierte Armutsverwaltung“ nennt er das. Deren „entwürdigende“ Prozeduren will er sich nicht antun. Seit einem Jahr verkauft Meiners das Hamburger Straßenmagazin Hinz & Kunzt und verdient damit das Überlebensnotwendige. „Das ist so ein Hilfsangebot, das mich aktiviert“, sagt er. Er kauft Zeitungen, verkauft sie und hat das Geld. So ist er groß geworden: Leistung zählt. Das steckt tief in ihm.

Ein altersloser Mann kommt zielsicher auf Meiners zu. Ein Obdachloser wie aus dem Bilderbuch: Die Haut vom Wetter gegerbt, rote Nase, struppiger Bart, Wikingermähne, Reibeisenstimme. Er will die Hus Forbi verkaufen, die Kopenhagener Obdachlosenzeitung, und hat in Meiners nicht gleich den Kollegen erkannt. Der sagt, er habe kein Geld, aber sie könnten tauschen. Der Verkäufer will ihm die Zeitung schenken. Doch Meiners will nichts geschenkt. Nie. Er besteht auf Tauschen, verschwindet kurz, und der Mann mit der rauen Stimme wartet tatsächlich, bis er mit einer druckfrischen Ausgabe von Hinz & Kunzt zurückkommt. „Vielleicht kannst du die hier an deutsche Touristen verkaufen“, schlägt Meiners vor. Eine komische Vorstellung für ihn, dass er auch eine Art Tourist ist.

Meiners genießt die Reise. Vor allem weil er das Gefühl hat, sie sich verdient zu haben. „Hier zu sein, zeigt mir, dass es sich lohnt, auf meinen Körper zu achten“, sagt er, „und wenn ich zurück bin, werde ich das wieder verstärkt tun.“ Er blickt auf seine silbern glänzenden Nike-Turnschuhe herab, Hightech-Buffer ohne erkennbaren Verschluss, als seien sie am Fuß gewachsen. Die gehören auch dazu, sind sozusagen Teil des Deals. „Das ist keine Ausschussware“, betont er. „Die hat Nike extra für uns rausgetan. Richtig gute Dinger.“ Das Nike-Logo ist dezent, aber unübersehbar auf allen Werbebanden platziert. Nike ist der größte private Sponsor, gibt jährlich hunderttausend Euro. „Aber das ist nur ein kleiner Teil unseres Engagements“, sagt Kate Meyers später. Die PR-Frau wurde extra aus Australien eingeflogen, dem nächsten Gastgeberland. Sie gehört zu einem Kontingent von Nike-Mitarbeitern, die jedes Jahr für den Homeless Worldcup freigestellt werden. Seit einigen Jahren gebe der Konzern jedes Jahr drei Prozent seines Gewinns vor Steuern für soziale Zwecke aus, sagt sie. Ein Schwerpunkt des Sportartikelanbieters ist die Förderung von Straßenfußballprojekten. „Da passt der Homeless Worldcup natürlich perfekt in unsere Strategie“, sagt Meyers. „Mein Boss hat beim Weltwirtschaftsforum in Davos gehört, wie Mel Young von seinen Plänen für eine Obdachlosen-Weltmeisterschaft sprach. Da waren wir sofort dabei.“

Seit dieser ersten Vision wird Mel Young nicht müde, von der Macht des Fußballs zu erzählen. Oder manchmal vielleicht doch. Heute jedenfalls klingt es fast heruntergeleiert, ein wenig nach Bono-Floskeln, als er dem Publikum zuruft: „Lasst uns die Obdachlosigkeit wegkicken“ Lasst uns mit der Armut Schluss machen!“ Seit fünf Jahren tut er das jedes Jahr einmal. Seit er in Graz 2003 den ersten Homeless Worldcup eröffnet hat, sein Baby, damals nicht mehr als eine spinnerte Idee, die nur dank des Geldsegens aus dem Kulturhauptstadt-Etat Wirklichkeit geworden war.

„Das war das magische Turnier“, sagt Young, legt den Kopf ein wenig schräg und hebt die schmalen, buschigen Augenbrauen. Er hat sich seines sperrigen Eröffnungsfeier-Nadelstreifenanzugs entledigt und macht es sich in einem schlabbrigen Fußballtrikot bequem.

Niemand kapierte damals, warum 27 Obdachlosenmannschaften aus drei Kontinenten ausgerechnet in der Grazer Innenstadt aufeinandertrafen, aber Einheimische wie Touristen waren begeistert von dem schnellen Spiel, vier gegen vier, auf Kleinfeld. Am Schluss gewann Österreich seine erste Fußballweltmeisterschaft, aber die Spieler waren Asylbewerber aus ganz Westafrika, und der Trainer war ein heruntergekommener österreichischer Weltenbummler, den es aus Nairobi zurück in die Heimat verschlagen hatte. Sogar eine Bleiberechtsregelung für die Weltmeister stellte die Regierung damals in Aussicht. So etwas lässt sich nicht wiederholen.

Aber Young dachte, vielleicht könnte er etwas Ähnliches mit seinem Weltverband der Straßenzeitungen wenigstens alle vier Jahre auf die Beine stellen. Doch es kam alles ganz anders. In jedem der vier folgenden Jahre gab es einen Homeless Worldcup, in Göteborg, Kapstadt und in Youngs Heimatstadt Edinburgh, die 2005 in letzter Sekunde für New York einspringen musste, weil die US-Behörden kaum einem Spieler die Einreise genehmigt hätten. Auch in Edinburgh scheiterten vier afrikanische Teams in letzter Sekunde am Veto des Innenministers. In Dänemark krakeelte nur die nationalistische Dänische Volkspartei, auf deren Unterstützung die Minderheitsregierung angewiesen ist, die ganzen Hungerleider würden nun in Dänemark bleiben. Mittlerweile ist eine Einreisegarantie für alle Teams ein Kriterium im Bewerbungsverfahren um die Ausrichtung der Meisterschaft. Für 2008 hatte Melbourne die Nase knapp vor Liverpool.

Rund fünfzig Mannschaften um den halben Globus fliegen – könnte man mit dem Geld nicht Sinnvolleres anfangen? Young lächelt müde. Seine Tränensäcke lasten auf den Wangenknochen, die graumelierten Struwwelhaare streicht er immer wieder aus den Augen. Eine Mitarbeiterin nötigt ihm ein Doppelsandwich auf, das er nach drei Abwehrversuchen gierig verschlingt. „Wir nehmen ja nichts vom Kuchen“, sagt er zwischen den Bissen, „sondern wir bringen neues Geld auf den Tisch.“ Geld aus dem Herzen des kapitalistischen Wirtschaftssystems: Neben Nike zählt zu den Dauersponsoren eine große New Yorker Anwaltskanzlei, die auf Private Equity Investment spezialisiert ist. Einzelne Teams werden von Firmen wie Coca-Cola oder Vodafone finanziert. Vor drei Jahren hat die Uefa ihren Wohltätigkeitsscheck, der sich aus den Geldstrafen unsportlich aufgefallener Profifußballspieler und -vereine speist, an den Homeless Worldcup vergeben. Mehr als eine halbe Million Euro.

Es ist ja gar nicht wahr, dass die Kicker Österreichs nichts mehr reißen. 2003 sind sie sogar zu Hause Weltmeister geworden. In Graz fand der allererste Homeless World Cup statt, der vom Internationalen Netzwerk der Straßenzeitungen ins Leben gerufen wurde. Seither kickten die Obdachlosen in Göteborg und Edinburgh. 2006 in Kapstadt schauten schon mehr als 100.000 Fans den Spielen zu, und dieses Jahr kickten weltweit 17.000 Obdachlose in den Ausscheidungsspielen zum Homeless World Cup. Teilnahmeberechtigt sind Männer und Frauen, die im vergangenen Jahr obdachlos waren. Am Sonntag ist in Kopenhagen Finale.

Aber Young rechnet in anderer Währung: Für drei Viertel aller Spieler haben sich die Lebensumstände im Jahr nach ihrer Teilnahme verbessert, sie haben entweder Arbeit oder eine Wohnung gefunden, eine Ausbildung begonnen oder eine Entziehungskur gemacht. Zumindest behaupten das die Projekte, die die Teams zusammengestellt haben – Straßenzeitungen, Beratungsstellen oder Drogenhilfeeinrichtungen. „Mir kamen die Zahlen zu hoch vor“, sagt Young. „Wir haben sie deshalb geprüft, so gut wir konnten.“ Künftig will er den Effekt sozialwissenschaftlich untersuchen lassen.

Er sagt, die Stadt New York habe einmal ausgerechnet, was ein Obdachloser sie im Jahr kostet: sechzigtausend Dollar, inklusive sinnloser Polizeieinsätze. „Und da reden wir über das bisschen Reisekosten für die Spieler?“ Mal davon abgesehen, dass das eigentliche Turnier für Young nur die „Spitze des Eisbergs“ ist: „So gern ich die Spiele immer noch sehe: Die anderen 51 Wochen im Jahr sind viel wichtiger.“ Da trainieren Tausende auf das Ziel hin, vielleicht dabei zu sein, spielen Qualifikationen. Fünfundzwanzigtausend Menschen sollen es in diesem Jahr weltweit gewesen sein. Bis 2010 will Young hunderttausend erreichen. Im nächsten Schritt will er in Afrika die Gründung sozialer Unternehmen rund um die Obdachlosen-Nationalmannschaften fördern, die Spieler qualifizieren und in Arbeit bringen.

Das Turnier im vergangenen Jahr in Kapstadt, sagt Young, habe vielen Spielern aus Europa die Augen geöffnet. „Sie haben sich für die Ärmsten der Armen gehalten“, sagt er, „aber hinterher haben sie begonnen zu sehen, welche Möglichkeiten sie im Vergleich zu den Afrikanern haben, die nach dem Turnier tatsächlich ins Nichts zurückkehren.“

Mel Young hat seine Wurzeln in der Studentenbewegung. Er engagierte sich gegen die Apartheid und war Hausbesetzer. „Wir waren so radikal“, sagt er, „wir wollten die ganze Welt aus den Angeln heben.“ Heute, mit 54, ist er bescheiden geworden, will „nur noch“ die Armut abschaffen. Ein realistisches Ziel? „Dafür müsste sich an den politischen Rahmenbedingungen einiges ändern …“

Von der Politik ist er aber schon lange desillusioniert. Inzwischen glaubt er wie die liberale Ministerin Hansen, dass zumindest ein Schlüssel beim Individuum liegt, bei seiner Motivation und seinem Zutrauen zu sich selbst. Er ist überzeugt davon, dass der Fußball ein erster Schritt zurück in die Gesellschaft sein kann. Dass er das Selbstwertgefühl von Menschen steigert, „auf die sonst gespuckt wird“. Dass die körperliche Disziplin im Sport auf die in der Alltagsorganisation abfärben kann.

Bei Torsten Meiners könnte man meinen, dass es andersherum wäre. Er ordnet das Spiel aus der Defensive heraus, sichert ab, versucht Ruhe hineinzubringen, dirigiert seine Mitspieler. Er genießt ihren Respekt, nicht nur weil er der Älteste ist.

Gegen die Fußballexoten aus Hongkong tun sich die Deutschen im strömenden Regen unerwartet schwer, sie sind zwar kräftemäßig überlegen, aber auf dem regennassen Gummibelag gegenüber den schlanken Chinesen im Nachteil. Meiners muss nach den sieben Minuten der ersten Halbzeit auf die Bank. Nichts Ungewöhnliches bei diesem rasend schnellen Spiel, in dem jeder Ball in Sekundenbruchteilen von der Bande zurückkommt. Meiners sagt nichts, aber man sieht, dass es in ihm brodelt. Die letzten Minuten ist er wieder dabei und er haut sich voll rein. 7:5 heißt es am Schluss für die deutsche Mannschaft. Ein Arbeitssieg. Auf Meiners’ Körper mischen sich Schweiß und Regenwasser. „Wenn man schon nicht gut spielt, muss man eben kämpfen“, sagt er. Meiners will jetzt nur noch schnell zum Mittagessen. Da treten ihm zwei Mädchen im Zahnspangenalter in den Weg. Sie halten ihm Schreibblock und Kugelschreiber entgegen und fragen etwas auf Dänisch. Verstanden hat er es nicht, aber es ist unübersehbar: Sie wollen ein Autogramm. Er greift nach dem Stift und schreibt sorgfältig seinen Namen auf den Block. „Tak“, sagen sie, danke, lachen ihn an und machen eine Art Knicks. Über das Gesicht von Torsten Meiners huscht ein Lächeln, als er durch den Regen davongeht.

JAN KAHLCKE, 39, Redaktionsleiter der taz nord, hat sich vor 20 Jahren aus dem aktiven Spielbetrieb zurückgezogen, was nicht nur für seine lädierten Knie besser so war. Die Spiele der Obdachlosen WM können live unter www.homelessworldcup.org verfolgt werden