: Battle Rap als Ventil
MUSIK Im BiNuu findet zweimal im Monat eine der wichtigsten Rap-Veranstaltungen Deutschlands statt. „Rap am Mittwoch“ existiert seit Jahren. Die alte Garde tummelt sich in den Charts, der Nachwuchs will da auch hin
VON JURI STERNBURG
Wie jeden zweiten Mittwoch im Monat leeren die Besucher vor der Tür noch schnell das eine oder andere Flaschenbier oder lassen die Joints kreisen, die Mützen schief, die Hosen tief, hier entspricht noch vieles den gängigen Klischees. Jung sind sie geworden, die Zuschauer im BiNuu, vor einigen Jahren, als man sich noch in den leicht miefigen Räumen des Kellerclubs „Calabash“ traf, lag der Altersdurchschnitt gefühlte 20 Jahre höher. Hobby-Rapper messen sich bereits vor dem Einlass, die Türsteher gucken böse, alles so wie man es erwartet, wenn man zum ersten Mal hier ist.
Nur zwei Dinge sind hier anders: Für eine Rap-Veranstaltung tummeln sich auffallend viele Mädchen und junge Frauen im Publikum, und es ist verpönt, sich mal eine vor den Latz zu zimmern. Durch das gebetsmühlenartig wiederholte Motto „Gebt euch Respekt“ haben die Veranstalter es geschafft, eine Wohlfühlatmosphäre zu schaffen, obwohl auf der Bühne mit spontan ausgedachten Beleidigungen und Anfeindungen jeglicher Couleur nicht gespart wird.
Gier: „Alter so’nen Typ wie mich, den kann man gar nicht schocken / Wir sind in Kreuzberg, aber wer trägt denn noch die Hose in den Socken?“ MainMoe: „Junge Junge Junge, Kreuzberg ja, ich bin da / Hose in den Socken? Dikkah, ich bin ein Ninja.“
Rap Am Mittwoch (RAM) wurde 1999 gegründet, um jungen Rappern eine regelmäßige Plattform zu bieten und einen gemeinsamen Anlaufpunkt zu kreieren. Der Name rührt von der Kindersendung „Spaß am Dienstag“ her und war außerdem der unangenehmen Tatsache geschuldet, dass der erste Veranstaltungsort, die UFA-Fabrik in Tempelhof, den Raum nur mittwochs zur Verfügung stellte. Bei RAM fanden und finden neben der klassischen Cypher (einer Art „offenes Mikro“-Veranstaltung, bei der jeder sein Können zeigen darf) auch Battles statt, bei denen sich zwei Rapper, meistens im Freestyle, duellieren.
Alles spontan erdacht
„Freestyle“, das bedeutet, dass hier keine Texte vorgeschrieben werden dürfen, alles was sich die Kontrahenten an den Kopf werfen, muss spontan erdacht werden. Battle Rap, ursprünglich aus der Taufe gehoben, um Gang-Rivalitäten lyrisch zu klären, ist heute natürlich größtenteils Entertainment. Soziologen behaupten zwar gerne, dass solche Zweikämpfe dazu beitragen, dass sich „die Jugendlichen“ nicht prügeln, sondern sich mit Worten messen. Aber der Unterhaltungsfaktor bei dieser Art von Sprechgesang ist einfach nicht zu überbieten.
BattleBoiBasti: „Ich hab ein Album in den Charts und war mit Trailerpark auf Tour / Du hast ’nen Platz in der Schlange deiner Arbeitsagentur.“
Wer wahllos Schimpfwörter raushaut und sich an Klischees abarbeitet, gerät schnell in Verdacht, die Zeilen zu Hause vorgeschrieben zu haben. Geht man jedoch konkret auf seinen, vorher in einem Losverfahren ermitteltes Gegenüber ein, ist klar, dass es sich um einen Freestyle handelt. Also werden Kleidung, Aussprache und Aussehen des Gegners bevorzugt durch den Kakao gezogen, kennt man sich schon länger, werden auch gerne mal reale Schicksalsschläge aus dem Leben des anderen verwendet, und schon spricht man von „Real Talk“. Besonders gute Punchlines, also spontan erdachte, diffamierende Zeilen, haben einen doppelten Vorteil: Erstens bringen sie Punkte beim Publikum, das zum Schluss per Handzeichen über den Sieger abstimmt, und zweitens sorgt das enthusiastische Gegröle der Menge nach einem geglückten Seitenhieb dafür, dass man ein paar Sekunden mehr zum Nachdenken hat und im Idealfall auf die vorherigen Beleidigungen seines Gegners gut kontern kann. Dabei wird meist keinerlei Halt vor Familienmitgliedern, befreundeten Rappern oder der Freundin gemacht. Hauptsache, man umarmt sich nach dem Battle und zeigt damit, dass das Ganze nichts Persönliches war.
Gier: „Ich schieß das Tor und mach ’nen Salto wie Klose / Und wechsel von der Andy-Möller- in die Balotelli-Pose / Main Moe kommt wieder nur mit seiner hässlichen Frisur / Er hat jetzt Muckis und eine miese Statur.“
15 Jahre zurück in der Zeit sah das etwas anders aus. Als Jonni Kalmanovich, auch Ben Salomo genannt, sich entschloss, eine Veranstaltung für junge Rapper ins Leben zu rufen, war Berlins Rapszene deutschlandweit zwar noch nicht für ihre kommerziellen Erfolge, dafür aber umso mehr für ihre Kompromisslosigkeit und Härte bekannt. Hier ging es nicht um ausgeklügelte und gewitzte Reimketten, sondern um „Auf die Fresse“-Rap. Es war die Zeit, in der auf Graffiti- oder Rapfestivals im Rest der Republik nur gestöhnt wurde, wenn es wieder hieß: „Die Berliner kommen.“ Rapper wie Sido, die MOR-Clique um Kool Savas oder die Mitglieder der Kaosloge (zu denen unter anderem auch Moderator Ben Salomo oder Damion Davis zählten) waren da noch die harmlosere Variante. Gangs wie BC, unter anderem durch ihre legendäre Straßenschlacht mit der Polizei am Hackeschen Markt bekannt, wurden zur Bassboxx Clique und brachten heute immer noch erfolgreiche Künstler wie Mach One oder Frauenarzt hervor. Aber eine Straßengang bleibt eben eine Straßengang, auch wenn sie rappt. In dem miefigen Keller der UFA-Fabrik war es also keine Seltenheit, dass lyrische Wettkämpfe plötzlich in physische Gewalt umschlugen. Neben dem Royal Bunker von Marcus Staiger, einem weiteren beliebten Anlaufpunkt der Szene, waren die RAM-Abende aber wichtiger Treffpunkt, um sich als Nachwuchskünstler zu entfalten, auch wenn es mal Keile gab.
Tierstar: „Ich hab sechs Jahre abstinent gelebt. Kein Sex, keine Drogen, keine Flasche / Aber dann – kam ich von der Vorschule in die erste Klasse.“
Nachdem RAM Ende der 90er knapp zwei Jahre in der UFA-Fabrik seine Heimat gefunden hatte, war das Format ab 2000 allerdings schon wieder tot, da es keinen neuen Raum fand und die UFA-Fabrik die Massen nicht mehr beherbergen konnte oder wollte. Viele der RAM-Veteranen wurden später prägende und auch kommerziell äußerst erfolgreiche Musiker. 2010 jedoch wurde das Format von Exrapper und Schauspieler Mike Adler sowie dem damaligen Gründer und jetzigen Moderator Ben Salomo neu aufgelegt und wuchs seitdem kontinuierlich.
Es winkt ein Preisgeld
Im Kreuzberger BiNuu haben sich inzwischen alle brav vor der Bühne postiert, die Besucher haben sogar eigenes Geld, um sich Getränke an der Bar zu kaufen, und schmuggeln keine geklauten Jägermeisterflaschen mehr rein, wie in den Anfangsjahren. Die Kontrahenten stehen sich im Turniermodus gegenüber, das bedeutet Vorrunde, Halbfinale und dann schließlich Finale, dem Gewinner winkt ein Preisgeld von ein paar hundert Euro. Vor allem aber ist es dank der professionellen Verbreitung auf YouTube möglich, innerhalb kürzester Zeit einen relativ hohen Bekanntheitsgrad zu entwickeln. Der Stellenwert von RAM in der Battle-Rap-Szene ist hoch, jeder weiß, dass er sich mit wenigen Sätzen nach oben katapultieren – oder eben ins Aus schießen kann.
Fresh Pollake: „Ssynic Ssynic schreit Hurra, die Kokosnuss ist wieder da / Doch jetzt ist der Polakke da, jetzt wird’s heißer als in Afrika.“ Ssynic: „Ich weiß genau, dass er grad Scheiße gebaut hat / Ist doch ironisch, der Pole fragt mich, wer die Kokosnuss geklaut hat?“
Viele der damaligen Untergrund-Idole sind heute bestens verdienende „Kommerzschweine“ oder hüpfen im Hintergrund von Litfaßsäulen-Rappern wie MC Fitti herum. Es bleibt abzuwarten, ob die heutige Generation ähnliche Erfolge feiern wird, man weiß oft nicht, ob man es ihnen wünschen soll. Schließlich „geht es hier um Rap“ wie Moderator Ben gefühlte 200 Mal pro Abend verkündet. Nach wie vor ist maßlose Übertreibung gern gesehen. Zuletzt hat dies der Nachwuchskünstler und kurzzeitige RAM-Teilnehmer Karate Andi mal wieder bewiesen. Sein hervorragendes Debütalbum „Pilsator Platin“, in dem es bevorzugt um Neuköllner Eckkneipen, Bierkonsum, Breakdance auf Crack und drogenbedingte Insomnie geht, hat ihm einen Vertrag mit einem der größten Musiklabels Deutschlands eingebracht. Das zeigt, dass RAM als ideales Sprungbrett dienen kann – wenn man früh genug den Absprung schafft.
■ Rap am Mittwoch, jeden 1. und 3. Mittwoch im Monat im BiNuu Club im U-Bhf. Schlesisches Tor, 10997 Berlin