: „Die Szene kuscht nicht“
Die Entscheidung, beim CSD nicht durch eine Migranten-Hochburg zu paradieren, müsse respektiert werden, findet der SPD-Abgeordnete Kretschmann-Johannsen. Trotzdem bleibe der CSD politisch
LUTZ KRETSCHMANN-JOHANNSEN, 47, ist Bürgerschaftsabgeordneter. Als erster Landesparlamentarier outete er sich 1997.
INTERVIEW GERNOT KNÖDLER
taz: Herr Kretschmann-Johannsen, die Parade zum Christopher-Street-Day (CSD) am Sonnabend wird nicht den Steindamm entlang in Hamburg-St. Georg ziehen. Kuscht die Schwulen-Szene vor homophoben Migranten?
Lutz Kretschmann-Johannsen: Das tut die Szene definitiv nicht.
Die CSD war einmal eine Demonstration gegen die Diskriminierung Homosexueller, die in St. Georg offenbar wieder an der Tagesordnung ist. Jetzt wird die Parade als besserer Schlager-Move durch schwulenfreundliches Territorium geführt. Warum haben die Organisatoren darauf verzichtet, eine politische Veranstaltung zu machen?
Das ist nach wie vor eine Demonstration, bei der wir um die Rechte Homosexueller kämpfen.
Aber an einem Ort, wo es keinem weh tut …
Man ist nirgends vor Diskriminierung sicher. Natürlich wäre es in diesem Jahr ein Zeichen gewesen, wenn wir den Steindamm entlang gezogen wären. Aber man muss auch den Veranstalter Hamburg Pride verstehen. Er will dem Medien-Hype, der um die angeblichen schwulenfeindlichen Vorfälle gemacht wird, keine Nahrung geben. Stattdessen versucht er zu deeskalieren.
Ist es nicht merkwürdig, dass sich deutsche Schwule in Moskau und Warschau für die Rechte der Homosexuellen verprügeln lassen und in Hamburg verzichtet die Schwulen-Szene darauf, Flagge zu zeigen?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die dahin gegangen sind, um sich verprügeln zu lassen. Es ist bei der Polizei nichts davon bekannt, dass es Gewalt gegen Homosexuelle gegeben hätte. Wenn die Lesben und Schwulen es nicht auf die Reihe bekommen, zur Polizei zu gehen oder zu den Beratungsstellen, ist was verkehrt. Darum haben Einrichtungen wie Hein & Fiete auf ihren Internetseiten einen Fragebogen veröffentlicht, auf dem die Leute von ihren Erfahrungen berichten sollen.
Der taz sagten Schwule, dass sie sich im Viertel nicht mehr wohl fühlten.
Das ist schwammig. Da heißt es: „die Muslime“, „der Islam“ …
Es ging um muslimische Jugendliche, die aggressiv gegenüber Schwulen auftraten.
Es gab einen einzigen Fall, der bekannt geworden ist, wo „Muslime“ sich in einer Einrichtung verbal daneben benahmen. Auf unserer Seite gab es Leute, die versuchten, im Restaurant unter einer Moschee ein Kiss-In zu veranstalten. Das geht beides nicht.
Es war einmal eine Diskussion zwischen Muslimen und Politikern im Stadtteil zum Thema Schwulsein geplant.
Eine Erste gab es. Dann sollte es eine Weitere geben, aber es gab Kommunikationsschwierigkeiten. Gespräche zwischen Muslimen, Stadtteil und Politikern gibt es schon seit Jahren. Der Vertreter der Moschee sagte mir, es liege ihm fern, gegen die Schwulen und Lesben vorzugehen. Er arbeitet schon seit Jahren mit dem Bürgerverein und anderen Einrichtungen an einem guten Miteinander. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Man muss aufpassen, dass hier keine Bedrohung aufgebauscht wird.
Immerhin hatten Sie sich selbst auch dafür ausgesprochen, die Parade auf dem Steindamm stattfinden zu lassen…
Ja das stimmt. Ich habe auch versucht, türkische MitbürgerInnen dazu einzuladen.
Wie haben die reagiert?
Da waren welche dabei, die sagten, sie wollten kommen, und andere, die sagten, in ihrer Position könnten sie das nicht, weil sie dann in ihrer Gemeinde Probleme bekommen könnten. Die Zeit dafür sei noch nicht reif.
Glauben Sie, eine Parade über den Steindamm wäre problemlos gewesen?
Das könnte ich mir vorstellen. Es hätte aber einer gewissen Vorarbeit der Hamburg Pride bedurft.
Wie soll es weitergehen?
Der Senat sollte Homosexualität an Schulen in verschiedenen Fächern verankern. Das ist wichtig, um den jungen ausländischen Mitbürgern zu zeigen: Hier soll keiner ausgegrenzt werden, ganz gleich, ob er behindert, Migrant oder homosexuell ist.