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Archiv-Artikel

Nördlicher als allernördlichst

Das Ende des Kalten Krieges brachte für eine weit abgelegene schottische Insel völlig unverhofft neue Arbeitsplätze: Eine Whisky-Destillerie in einer stillgelegten Radarstation. Der Torf entsteht hier ganz langsam, das ist gut für’s Aroma

Shetland-Infos

Die 21.940 Einwohner auf den mehr als 100 Inseln leben von Öl, Fischerei, Landwirtschaft, Strickwaren und Tourismus, 15 Inseln sind unbewohnt. Informationen für Touristen: www.visitshetland.com British Airways (www.ba.com) fliegt täglich von Edinburgh, Glasgow, Inverness, Aberdeen und den Orkney-Inseln aus. Die färöische Fluglinie Atlantic Airways (www.atlantic.fo) fliegt im Sommer zweimal pro Woche von London (Stansted) aus. NorthLink Ferries (www.northlinkferries.co.uk) betreibt einen täglichen Nachtfährdienst zwischen Aberdeen und Shetland. Die färöische Fährgesellschaft Smyril Line bietet während des Sommers einen wöchentlichen Fährdienst zwischen Shetland und Dänemark (Hanstholm), Norwegen (Bergen), Färöer Inseln (Tórshavn) und Island (Seydisfjördur). Infos unter www.smyril-line.com/?ID=790

VON MARK LATHAM

Auf der subarktischen Insel Unst weht ständig ein kräftiger Wind. „Northernmost“ ist ein Wort, auf das man hier Wert legt. Hier befinden sich das nördlichste Haus, der nördlichste Strand, die nördlichste Kirche. Unst ist die nördlichste der schottischen Shetlandlinseln, hier war seit 1957 eine wichtige Nato-Radarstation in Betrieb. Deren Aufgabe bestand darin, rund um die Uhr mittels 24-Stunden-Weitbereichsüberwachung alle Annäherungen von Norden per Frühwarnsystem zu melden.

Jahrelang war die Radarstation der Hauptarbeitgeber der Insel, zeitweise wurden dort mehr als 500 Leute beschäftigt. Aber seit Ende des Kalten Krieges verringerte sich die Anzahl der Arbeitsplätze in der Station immer weiter, und im März 2007 wurde sie komplett geschlossen.

Das bedeutete zunächst den Verlust von 110 Arbeitsplätzen – ein Viertel der Bevölkerung war plötzlich ohne Job. Viele Menschen verließen deshalb die nördlichste Insel Großbritanniens.

Doch nun soll aus der Radarstation die nördlichste Whiskybrennerei der Welt entstehen – und das schafft bis zu 65 neue Arbeitsplätze. Bislang wurden Touristen vor allem von der vielfältigen Tierwelt Shetlands angezogen, besonders von der Vogelwelt, denn die Inseln sind ein Zwischenstopp für Zugvögel. Nun hofft man, dass die neue Brennerei noch weitaus mehr Touristen anzieht, „Whisky Tourists“, die bereits zu Tausenden jedes Jahr nach Schottland kommen, um Brennereien in den Highlands und auf den Inseln zu besuchen. Derzeit sind ein Hotel für gehobene Ansprüche und eine Herberge neben der alten Radarstation in Planung.

Die auf den Shetlandinseln ansässigen Blackwood Distillers hatten bereits eine neue Brennerei auf der Hauptinsel geplant und wollten fünf Millionen Pfund investieren. Doch die Schließung der Radarstation führte zu einer Last-Minute-Entscheidung: Die Brennerei soll nun in den leerstehenden Gebäuden des Militärstützpunktes eingerichtet werden. Sobald die neue Brennerei fertiggestellt und in Betrieb genommen ist, so erwartet man, wird sie ein ernstzunehmender Konkurrent der 200 Jahre alten, auf den Orkney-Inseln ansässigen Highland Park Distillery sein, die sich bereits mit dem Slogan vermarktet, „die allernördlichste Scotch-Whisky-Brennerei der Welt“ zu sein.

Die Idee, eine Brennerei noch 250 Kilometer weiter nördlich auf den Shetlandinseln zu etablieren, hatte die Unternehmerin Caroline Whitfield, eine ehemalige Beraterin des multinationalen Getränkekonzerns Diageo, als sie 2002 die Shetlandinseln besuchte, um sich nach einem Ferienhaus umzusehen. Die Tatsache, dass es auf den Shetlandinseln den am langsamsten entstehenden Torf in Schottland gibt, sollte zu einem besonders unverwechselbaren und aromatischen Whisky führen. Auch die zahlreichen Wasserquellen machen sie zu einem Ort, der sich für die Whiskyproduktion geradezu anbietet. „Die Shetlandinseln sind die letzte Region in Schottland ohne Whiskybrennerei“, sagte sie. „Es gibt 120 Inseln und keine Brennerei. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr kam ich zu dem Schluss, das ist absolut ideal.“ Alles schien zu stimmen, die Shetlandinseln sind ein fantastischer Ort.

Als sie sich an den örtlichen Unternehmerverband wandte, erfuhr sie zu ihrem Erstaunen, dass auf die Idee noch niemand gekommen war. Mit 10.000 Pfund eigenen Ersparnissen und einer zusätzlichen Hypothek von 90.000 Pfund auf das Haus ihrer Familie stellte sie zwei Wochen später das Unternehmen auf die Beine. Später kamen zwei Millionen Pfund von privaten Investoren und weitere drei Millionen von der Bank of Scotland hinzu. Weitere Geldmittel kommen inzwischen über eine neuartige Online-Whisky-Handelsplattform herein, die es Händlern und Kunden ermöglicht, Bezugsrechte für den Whisky, der auf Unst gebrannt werden wird, zu kaufen und zu verkaufen. Weil das Endprodukt mindestens fünf Jahre reifen muss, bevor es verkauft werden kann, hat dieses bislang ungewöhnliche Finanzierungsinstrument durchaus Aussicht auf Erfolg: Obwohl auf dem schottischen Festland viele Brennereien leerstehen, soll der neue Whisky auf die lukrative Spitzenklasse am Single-Malt-Markt zielen. Angesichts einer Wachstumsrate des globalen Single-Malt-Marktes von 18 Prozent pro Jahr, wird Blackwood insbesondere die lukrativen Märkte in Skandinavien, Japan und in den USA ins Visier nehmen.

Das neue Schlückchen soll, so erwartet man, dem Talisker ähneln, einem leicht torfigen Malt aus Skye, und wird eventuell als Sherry-, Bourbon- und Portwein-Finish erhältlich sein. Das Unternehmen plant, pro Jahr bis zu 50.000 Kisten Whisky zu produzieren. Etwa 25 Prozent der Produktion wird acht, zwölf oder zwanzig Jahre reifen. Um das Unternehmen bis dahin zu finanzieren, stützt sich die Firma auch auf Einnahmen aus der Produktion von Wodka, Gin und Vanilla Cream Likör, bekannt als Jago’s und kreiert vom Erfinder des bekannten Bailey’s Schokolikör. Mit klaren Spirituosen – sie werden derzeit auf dem schottischen Festland gebrannt – wird bereits ein Umsatz von 3 Millionen Pfund im Jahr erzielt.

„Bislang haben wir großen Erfolg“, meint Caroline Whitfield, „unsere Drinks werden vom Ice Hotel in Schweden bis hin zum Sydney Opera House und von Grönland bis nach Asien verkauft.“ Vermutlich wird der neue Single Malt aus der alten Radarstation genauso erfolgreich sein.

Aus dem Englischen von Petra Zornemann