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Archiv-Artikel

Großes Kino in der Lagerhalle

Das Mobile Kino Niedersachsen verwandelt Scheunen, Dielen und Kuhställe in Kinosäle. Ein Besuch beim Dötlinger Scheunenkino zeigt: Hier geht es um viel mehr als um Kulturarbeit auf dem Land. Sogar aus Bremen und Cuxhaven reisen Kino-Fans an

Der Grund, sich aufs Scheunenkino zu freuen, ist nicht Langeweile oder kulturelles Ausgehungertsein

AUS ASCHENSTEDT ANNEDORE BEELTE

„Der ist schon aufgeregt wegen dem Kino“, diagnostiziert Nils bei dem Hund, der wedelnd durch die Scheue tobt. Nils kennt die Symptome. Er ist der Erste, der zu dem vollgepackten Bulli stürmt und beim Ausladen helfen will. Nils Schachtschneider ist fünf und sieht aus, als käme er aus Bullerbü. Aber er wohnt in Aschenstedt, Gemeinde Dötlingen, südlich von Oldenburg.

Am Ortseingang kündigt ein Transparent die Dötlinger Filmtage an. Hinter dem Gartencenter der Schachtschneiders weisen selbst gemalte Schilder den Weg. Im Bulli des Mobilen Kinos Niedersachsen scheppert es bei jeder Kurve gefährlich. Er transportiert die komplette Ausrüstung für unterschiedlich große Kinosäle und Open-Air-Vorstellungen: Leinwände, Boxen, Projektoren. Der heutige Schauplatz der Dötlinger Filmtage ist nicht sofort zu erkennen. Ein holzverkleideter Schuppen, den Olaf Schachtschneider sonst als Lagerraum nutzt. Das Mobile Kino kommt überall hin, wo ein Saal, eine Scheune oder ein Kuhstall bereitstehen, jemand vor Ort die Werbung organisiert und beim Auf- und Abbauen hilft. Die vier MitarbeiterInnen organisieren von Oldenburg aus nicht nur cineastische Erlebnisse, sondern auch ein medienpädagogisches Begleitprogramm für Kinder, Schüler und Erwachsene.

Im Juni feierte das Mobile Kino sein 15-jähriges Jubiläum. Zum Geburtstag schickten sich die Kinomacher schon einmal vorsorglich selbst die Kündigung: Von der Nordmedia, der niedersächsisch-bremischen Filmförderung, werden die Fördergelder nicht mehr jährlich, sondern nur noch projektbezogen vergeben. Für die Kinomacher heißt das, alle paar Monate einen neuen Förderantrag auszuarbeiten, der die Kapazitäten bindet, während es keine Planungssicherheit für die kontinuierliche Arbeit gibt. „Unser Projekt ist Kino auf dem Land – das steht doch für sich“, sagt Anika Kogelheide, Theater- und Sozialpädagogin und seit sieben Jahren beim Mobilen Kino.

Bei der letzten Vergabeausschuss-Sitzung von Nordmedia wurde dem Mobilen Kino wieder eine Spritze bewilligt, die die Arbeit für 2007 sicherstellt. Insgesamt müssen die Kinomacher jedoch in diesem Jahr mit etwas mehr als halb so viel Geld auskommen wie noch 2005. „Wir sind denen nicht prestigeträchtig genug“, vermutet Anika Kogelheide. „Bei uns gibt es keine Kaviarhäppchen.“ Die Nordmedia setzt eher auf Großprojekte, jeweils ein Aushängeschild pro Stadt, haben die Kinomacher beobachtet. Thomas Schäffer, Geschäftsführer der Nordmedia, versichert, dass die Gesellschaft gar nicht anders als projektbezogen fördern kann. Die Förder-Kandidaten „müssen sich bewegen. Was sich heute bewährt, muss nicht in zehn Jahren noch das Richtige sein.“

Auf den Dörfern der Gemeinde Dötlingen gibt es jetzt seit vier Jahren das „Scheunenkino“, einen Monat lang jede Woche in einem anderen Dorf: nachmittags ein Kinderfilm, abends gehobener Mainstream für Erwachsene. An diesem Abend ist das der schwedische Wohlfühlfilm „Wie im Himmel“. Beide Vorstellungen sind seit Tagen ausverkauft. Angefangen hat die Dötlinger Kinomanie mit Gerd Battermann. Der Grafiker und Fotograf aus Bremen zog vor Jahren zu seiner Lebensgefährtin aufs Land. In der Diele ihres Bauernhauses haben sie den ersten Film gezeigt. „So kommt man mit den Leuten in Kontakt“, war Battermanns Überlegung. Kino als Alternative zum Schützenverein. „Wir waren die einzigen zahlenden Gäste“, erinnert sich Olaf Schachtschneider. Bei ihm ist das anders: Schachtschneider ist ein waschechter Aschenstedter, ist herumgekommen, wie schon sein Schweizer „Bärgchind“-T-Shirt signalisiert, und hat dann doch das Gartencenter seiner Eltern übernommen, weil er es hier am schönsten findet. Wenn so jemand einlädt, kommen die Leute todsicher. „Der Gerd muss heute noch bei jedem Film ums Publikum kämpfen“, sagt Olaf Schachtschneider. „Aber er gewinnt.“

Einen Termin für das Scheunenkino zu etablieren, war nicht einfach, berichtet er, denn der Aschenstedter Kalender ist voll: Treffen der Dorfgemeinschaft, Vereinstermine, und am Wochenende stehen die Feiern an. „Nur Mittwochs gibt es keine Ausrede.“ „In der Großstadt brauchen die Leute Bespaßung, weil sie nichts mit sich anzufangen wissen“, sagen die Kino-Besucherinnen Maren Goedecke und Maria Schmidt. Auf dem Land hingegen sei man viel zu beschäftigt, um dauernd Kulturprogramm zu brauchen. Wenn mal wirklich gar nichts los ist, kann man sich um den Garten kümmern. Nein, der Grund, sich aufs Scheunenkino zu freuen, ist nicht Langeweile oder kulturelles Ausgehungertsein. Zumal es in Wildeshausen noch ein Kino gibt und die Kulturinteressierten nach Oldenburg oder Bremen fahren. Die 66-jährige Ursula Schütte mag, dass es hier urig und locker zugeht. Inge Musiol hat sich mit Decken und geblümten Sitzkissen ausstaffiert. Ihr Mann Helmut ist nicht mehr gut zu Fuß. Die beiden sind froh, dass das Scheunenkino „nahe bei“ ist, und verpassen keine Vorstellung. Auch wenn die meisten aus der Nachbarschaft kommen: An den Vorbestellungen sieht Schachtschneider, dass mancher extra aus Bremen oder gar Cuxhaven anreist.

Um die Ecke grillt die Dorfgemeinschaft. Nicht alle sind hier Kinofans. Aber wenn in Aschenstedt etwas los ist, ist die Dorfgemeinschaft dabei. Früher gab es Bier und Bratwurst direkt vor dem Rolltor des Schuppens. Aber dann wurden es zu viele, die nach der Pause nicht zum Film zurückkehrten, sondern vor dem Tor lautstark weiterfeierten.

Nach dem Film werden Unterschriften für den Erhalt des Mobilen Kinos gesammelt. Olaf Schachtschneider steht am Ausgang, verabschiedet jeden, tröstet die, die über das tragische Ende des Films geknickt sind. Ein paar Leute bleiben noch, um die Stühle zusammenzuräumen. Ein bisschen aus der Zeit gefallen, meint Anika Kogelheide, ist das Mobile Kino sicher in Zeiten von Internet-Downloads und DVDs: wie die Wanderkinos, die es längst nicht mehr gibt. Aber beim Mobilen Kino geht es ja um viel mehr als ums Filmegucken.