: Kleider machen suspekt
2005 wurde die verdachtsunabhängige Kontrolle in Hamburg eingeführt. In ausgedehnten Gefahrenzonen darf die Polizei seitdem jeden anhalten. Der Rechtsanwalt Ernst Medecke findet, das sei mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar
VON STEFANIE HELBIG
Thomas Mauer, Ralf Trebitzsch und Sabrina Reifenstein* haben erlebt, wie schnell man ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten kann. Die drei sind Anfang bis Mitte 20. Am Samstag vor einer Woche wollten sie ins Kino, den Simpsons-Film gucken. Sie stehen an der Bushaltestelle vor der S-Bahn-Station Holstenstraße, als plötzlich ein Mann auf sie zukommt: „Zivilpolizei, Drogenkontrolle, die Personalausweise bitte!“ Der junge Mann sieht aus wie sie.
Seit der Novellierung des hamburgischen Polizeigesetzes 2005 ist es der Polizei erlaubt, in so genannten Gefahrenzonen jeden zu kontrollieren. Als solche gelten weite Teile Altonas und Ottensens. Hier habe die Polizei eine erhöhte Drogenkriminalität festgestellt, sagt Polizeipressesprecher Ralf Meyer. Deshalb dürften hier „lageabhängige Kontrollen“ durchgeführt werden. Lageabhängig heißt, dass die Polizei die Lage an einem Ort als gefährlich einschätzt. Darüber, wie oft sich ein Verdacht als unbegründet erwiesen hat, könne er nichts sagen, ergänzt der Sprecher.
„Warum kontrollieren sie denn gerade uns?“, will einer der drei wissen. „Ihr kommt mir verdächtig vor“, sagt der Zivilpolizist. „Bitte was? Wir warten doch nur auf den Bus. Was ist daran verdächtig?“ „Das Alter stimmt, das Aussehen auch“, sagt der Beamte. Sie tragen Turnschuhe, Jeans und Pullover.
Wenn in einem bestimmten Gebiet häufig Delikte von jungen Menschen mit einem bestimmten Aussehen begangen werden, sagt der Hamburger Datenschutzbeauftragte Hartmut Lubomierski, sei es gerechtfertigt, Menschen mit ähnlichen Merkmalen verstärkt zu kontrollieren.
Die zuständige Polizeidienststelle legt das noch weiter aus: „Wir dürfen immer nach bestimmten Äußerlichkeiten kontrollieren“, sagt eine Beamtin. „Einen 50-Jährigen im Anzug“ würde sie sicherlich nicht anhalten, gibt sie unumwunden zu. Welche Kriterien der Entscheidung zugrunde gelegt würden, könne sie aus polizeitaktischen Gründen nicht sagen.
„Ich halte das nicht für vereinbar mit rechtsstaatlichen Grundsätzen“, sagt der Hamburger Rechtsanwalt Ernst Medecke. Das sei Diskriminierung. An vielen Orten sei die lageabhängige Kontrolle zwar sinnvoll. „Wenn jemand zum Beispiel in ein Fußballstadion geht, könnte er eine Gefahr für eine Menschenmenge werden“, sagt Medecke. Dann sei es zweckmäßig, ohne Verdacht zu kontrollieren, weil eine besondere Gefahr bestehe.
„Jedes Anhalten und Kontrollieren auf der Straße ist aber Nötigung“, sagt Medecke. „Auch wenn es ein Polizist tut, ist es das weiterhin.“ Die Nötigung dürfe er damit rechtfertigen, dass er eine Gefahr abwehren wolle. „An der Bushaltestelle zu stehen ist jedoch keine Gefahr“, sagt Medecke.
„Die Beamten kennen die szene-typischen Verhaltensweisen ja schon“, sagte Polizeipressesprecher Meyer. Sie könnten das also oft einschätzen. „Wenn es sich aber so zugetragen haben sollte, wie es die jungen Leute berichten, handelt es sich wohl um ein Missverständnis“, sagt er.
Viele Menschen wissen nichts davon, dass Polizei mir nichts, dir nichts kontrollieren darf. Passanten tuscheln. Sie beobachten die Szene aus den Augenwinkeln oder gehen schnell weiter, als hätten sie nichts gesehen. „Viele Bürger trauen sich nicht, sich zu wehren, da die Beamten mit dem szene-typischem Verhalten jede Kontrolle begründen können“, sagt Rechtsanwalt Medecke. Was szene-typisch ist, ist schlecht eingrenzbar. Allein die Art von Turnschuh, die jemand trägt, kann schon als „szenetypisch“ gelten – macht aber niemanden verdächtig.
„Ich hab mich einfach nur bloßgestellt gefühlt“, sagt einer drei jungen Leute, der auch noch eine Leibesvisitation über sich ergehen lassen musste. Er wohnt eine Straße weiter. Es kann peinlich werden, wenn seine Vermieterin sieht, wie er an der S-Bahn von Polizisten durchsucht wird. Außerdem fühlt er sich in seiner Privatsphäre verletzt: „Was geht es die Leute in der Bahn-Station an, was ich in meinen Hosentaschen habe?“
Dass ganze Stadtteile unter Generalverdacht gestellt wurden, hat bereits bei der Postdurchsuchung vor einigen Wochen große Wellen geschlagen. Auch hier war in die Grundrechte vieler Menschen eingegriffen worden, als sich Polizisten in ein Briefverteilzentrum einnisteten und die Post mehrerer Zustellbezirke untersuchten. Sie versuchten, mögliche Bekennerbriefe an die Medien frühzeitig abzufangen. Auf diese Weise wollte die Polizei militanten Anti-Globalisierungs-AktivistInnen auf die Spur kommen.
*Namen geändert