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Archiv-Artikel

Struktur und Mäandern

MUSIK Beim Elektroakustischen Salon im Berghain stehen Irmler, Liebezeit, Gut und Tenors of Kalma gemeinsam auf der Bühne. Ein Gespräch mit Gudrun Gut über Unabhängigkeit und das Erforschen von Grenzen

Improvisation, Krautrock und experimentelle Elektronik

Gudrun Gut, als Mitglied der Band Malaria! bereits in den frühen 80ern bekannt, spielte bereits bei Mania D. und den Einstürzenden Neubauten. In den vergangenen Jahren veröffentlichte sie vor allem Soloalben oder Kollaborationen mit der Multimedia-Klangkünstlerin Antye Greie („Greie Gut Fraktion“). Sie lebt in der Uckermark. Gemeinsam mit Jochen Irmler, der mit seiner Band Faust zu den entscheidenden Akteuren des Krautrock wurde, hat Gudrun Gut im September das Album „500m“ (Bureau B/Indigo) veröffentlicht. Im Berghain spielt Jochen Irmler neben dem Set mit Gudrun Gut noch einen gemeinsamen Auftritt mit Jaki Liebezeit von der Krautrock-Legende Can. Der finnische Saxofonist Jimi Tenor tritt mit Tenors Of Kalma auf, und der Berliner Experimentalmusiker Guido Möbius soll hinterm DJ-Pult stehen. jut

■ Elektroakustischer Salon – Irmler, Liebezeit, Gut, Tenors of Kalma: Berghain, Am Wriezener Bahnhof, 18. Dezember, 21 Uhr, 23 Euro

VON JENS UTHOFF

taz: Frau Gut, am Donnerstagabend steht mit den Gründungsmitgliedern von Faust, Can und den Einstürzenden Neubauten eigentlich die ganze alte Garde progressiver deutscher Musik auf der Bühne. Was verbindet Sie alle heute noch?

Gudrun Gut: Erst mal ist es toll, dass wir alle noch Musik machen und heute zusammen auf der Bühne stehen. Als ich mit Jochen Irmler das Album aufgenommen habe, fragte ich mich schon, was uns verbindet. Sein Ansatz ist eher die Improvisation, das war eigentlich nie so mein Ding. Ich glaub, ich hab mich da reingestürzt, weil man sich ja mit Dingen, die einen nerven, auseinandersetzen soll? (lacht)

Bei Ihnen beiden kamen also zwei unterschiedliche Arbeitsweisen zusammen.

Absolut. Aber bei den bisherigen Konzerten hab ich auch schon gemerkt, dass es mir guttut. Vor allem spiele ich nicht allein, das ist schon toll für mich. Und das Aufeinandereingehen ist ja in keiner anderen Kunstform so extrem wie in der Improvisation. Ich habe meine Struktur, mit der ich spiele. Die Aufgabe besteht dann darin, sich gegenseitig Raum zu lassen.

Gibt es Gemeinsamkeiten?

Was uns verbindet, ist eine generelle Forscherhaltung, also so etwas wie Grenzen auszutesten und sie infrage zu stellen. Wir sind ja auch zwei totale Indie-Hasen, die Unabhängigkeit ist uns ein großes Anliegen.

Wenn man sich diesen Abend anguckt, scheint das für alle Beteiligten zu gelten. „Indie“ nicht, wie wir ihn heute verstehen, als Musikrichtung, sondern „Indie“ im wirklichen Sinne.

Ja, es ist die künstlerische Unabhängigkeit, von der man ausgeht. Die ist das Wichtigste. Alles andere kommt danach.

Muss man sich die leisten können?

Ich weiß nicht. Ich glaube, Konsequenz muss einem wichtiger sein als die Brieftasche, wenn Sie das aufs Geld beziehen.

Hat die ältere Musikergeneration das noch eher verinnerlicht?

Das kann sein. Diese Propaganda und Vermarktung des Augenblicks hat inzwischen aber auch jeden Bereich erfasst. Deshalb ist bei mir vielleicht auch dieser Rückzug in die Natur ein bisschen da, weil man nicht mehr weiß, was echt ist.

Bei Ihnen beiden merkt man das auch inhaltlich. Ihre Songs heißen „Chlor“, „Mandarine“ oder „Brücke“ und sind eher wie musikalische Essays. Was ist inhaltlich für Sie wichtig bei solchen Songs?

Wir versuchen, den Moment mitzunehmen. Wenn so ein Wort im Raum liegt, wollen wir den Titel mit einbeziehen. Es hat was mit Einfachheit und Klarheit zu tun. „Mandarine“ als Titel fand ich toll, weil es mich an Tangerine Dream erinnert hat. Ich bin ein Fan dieser 70er-Jahre-Musik, da bin ich ja mit groß geworden.

Storytelling in Songs hat Sie nie so wirklich interessiert, oder?

Nee, das ist nicht mein Ding. Bei alten Romanen find ich das natürlich schön, wenn so eine Geschichte durcherzählt wird. Aber wenn ich heute Romane lese, sind die eher von Elfriede Jelinek oder Sibylle Berg, die andere Geschichten erzählen. Die Realität ist komplexer als ein normaler Krimi.

Wie würden Sie diese beiden Welten, die bei Jochen Irmler und Ihnen aufeinandertreffen, charakterisieren?

Hm. Die Struktur und das Mäandern vielleicht? Wir spielen übrigens auch ein neues Stück am Donnerstag, das heißt „Kommunismus“. Da können Sie sich schon drauf freuen.

Das wird vermutlich ein langes Stück?

Nein, das ist ganz kurz. Wir müssen uns ein bisschen zurückhalten. Wir haben nur 45 Minuten.

Wie sah das Zusammenprallen dieser Welten in der praktischen Zusammenarbeit aus?

Wir haben uns im Studio von Faust im baden-württembergischen Scheer einige Male getroffen. Dort haben wir auch aufgenommen. Das war eher so sessionmäßig, was für mich ungewohnt war, weil ich das sonst nie mache. Manchmal machte er das Tier, manchmal war er auch ganz zart. Er ist schon auch eine männliche Diva.

Haben Sie selbst auch etwas Divenartiges?

Hmmmmmm – das kann schon sein …

Was reizt Sie künstlerisch noch nach etwa 35 Jahren Musikmachen? Gibt es konkrete Pläne?

Es soll noch ein weiteres Album mit Jochen Irmler geben, wir haben uns ja jetzt eingegroovt. Und eigentlich bin ich ja mit einem neuen Soloalbum dran, aber ich kann es gerade nicht finanzieren. Mit Matador, meiner alten Band mit Manon P. Duursma und Beate Bartel, wollen wir auch gerne noch mal was machen, weil das damals unglaublich Spaß gemacht hat.

Das Berghain, in dem Sie heute spielen, feiert gerade Zehnjähriges. Haben Sie eine besondere Beziehung zu dem Ort?

Ich war ein paarmal dort, meistens auf Konzerten. Ich finde es gut, dass die das Geld, das der Club einbringt, wieder ausgeben für schwierigere Sachen. Und es hat eine tolle Akustik, da kann man echt nicht meckern. Für den Abend hätte ich mir gewünscht, dass noch ’n paar mehr Frauen dabei sind. Aber ich freue mich schon sehr auf das Konzert. Liebezeit! Irmler! Tenor! Das ist doch super.