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Archiv-Artikel

Doppeltes Spiel

FOLGEN Pakistans Armeechef fliegt nach Afghanistan, um über Taliban-Strategie zu sprechen. Bislang hat der pakistanische Sicherheitsapparat Terroristen unterstützt. Unklar bleibt, ob sich das jetzt ändert

Pakistan und die Todesstrafe

■ Reaktion: Nach dem Terroranschlag in Peshawar will die Regierung Terroristen künftig wieder hinrichten lassen. Das kündigte Premierminister Nawaz Sharif am Mittwoch an. Für verurteilte Terroristen werde das derzeit geltende Moratorium aufgehoben.

■ Wen betrifft es? In pakistanischen Gefängnissen gibt es etwa 8.000 Todeskandidaten. Etwa zehn Prozent sind wegen terroristischer Delikten verurteilt worden, schätzt die Rechtshilfe-Organisation Legal Aid Pakistan. (jak)

BANGKOK taz | Seit Jahren überziehen die Pakistanischen Taliban (TTP) und mit ihnen verbündete Gruppen das Land mit Anschlägen. Tausende Pakistaner haben so schon ihr Leben verloren. Doch das Blutbad an einer Schule im nordwestpakistanischen Peshawar am Dienstag war selbst für pakistanische Verhältnisse schockierend brutal: Sieben Mitglieder der Terrororganisation kletterten dabei über eine Mauer und drangen in die Schule ein, die von der Armee betrieben wird. 144 Menschen starben, die meisten von ihnen Kinder.

Ein Sprecher der Pakistanischen Taliban erklärte später, das Massaker sei eine Racheaktion für die Militäroffensive in Nordwaziristan gewesen, mit der die Armee seit Juni versucht, die Kontrolle über die Hochburg der Militanten im Grenzgebiet zu Afghanistan zurückzuerobern.

Die Pakistanischen Taliban haben durch die Militäroffensive ihre Operationsbasen verloren, zudem sind sie zerstritten: Schon nach einem Wechsel an der Spitze der Gruppe vor rund einem Jahr brachen interne Machtkämpfe aus, Dutzende Militante starben dabei. Die Organisation, die Ende 2007 durch den Zusammenschluss von rund einem Dutzend militanter Gruppen entstanden war, zerfiel in mindestens vier Fraktionen.

Doch auch der pakistanische Staat ist in Unordnung. Tausende Anhänger eines moderaten Geistlichen und Unterstützer des Oppositionspolitikers Imran Khan haben in diesem Jahr gemeinsam wochenlang Teile des Regierungsviertels von Islamabad besetzt und Neuwahlen gefordert. Einige Regierungsgegner forderten ein Einschreiten der Armee, die bereits mehrfach gewählte Regierungen aus dem Amt geputscht hat. Einer der Politiker, die so ihre Macht verloren hatten, ist der derzeitige Premierminister Nawaz Sharif. Er wurde 1999 entmachtet; seit seiner erneuten Wahl 2013 hat er sich immer offener mit Pakistans Generälen angelegt.

Zumindest bei dem Oppositionspolitiker Khan ist inzwischen ein Umdenken zu erkennen. Früher forderte er Verhandlungen mit den Pakistanischen Taliban, bisweilen stilisierte er sie zu freiheitsliebenden paschtunischen Patrioten. Nach dem Anschlag von Peshawar verurteilte Khan die Militanten: „Für so etwas gibt es keine Rechtfertigung.“ Am Mittwoch nahm Khan an einem Allparteientreffen teil, das Premier Sharif in Peshawar abhielt, um über das weitere Vorgehen zu beraten.

Der Regierungschef erklärte anschließend, es werde zukünftig keine Unterscheidung mehr zwischen „guten“ und „schlechten“ Taliban gemacht werden. Ein Antiterrorismusplan werde kommende Woche veröffentlicht. Pakistan und Afghanistan würden zukünftig gemeinsam gegen militante Gruppen vorgehen, von denen sich viele im Grenzgebiet verschanzt haben. Es sei nun die „oberste Priorität“, Pakistan vom Terrorismus zu befreien.

Die Zusammenarbeit mit militanten Kämpfern reicht bis in die 1980er Jahre zurück, als Pakistan – mit Unterstützung der USA – die Mudschaheddin ausgebildet und bewaffnet hat, die im benachbarten Afghanistan gegen die Sowjets in den Krieg zogen. Erst nach dem Einmarsch der westlichen Truppen in Afghanistan nach dem 11. September 2001 und dem Schulterschluss Pakistans mit den USA wendeten sich viele einheimische Gruppen gegen den pakistanischen Staat.

Pakistans Armee scheint den Vorstoß des Premierministers vorerst zu unterstützen. Armeechef Raheel Sharif flog am Mittwoch überraschend nach Kabul, um sich mit afghanischen Amtsträgern und US-Vertretern über eine gemeinsame Strategie in der Region zu beraten.

Pakistanische Medien berichteten, Armeechef Sharif habe sich bei den Afghanen darüber beschwert, dass pakistanische Militante Afghanistan als Rückzugsgebiet nutzten, um in Pakistan Terrorakte zu verüben. Der derzeitige Anführer der Pakistanischen Taliban, Maulana Fazlullah, soll sich derzeit in Afghanistan versteckt halten.

Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Afghanistan und die USA werfen Islamabad seit Jahren vor, ein doppeltes Spiel zu treiben. Nur wenige Beobachter bezweifeln, dass Islamabad die afghanischen Taliban und mit ihnen verbündete Gruppen insgeheim unterstützt. Viele Experten gehen jedoch davon aus, dass Pakistan den Terrorismus im eigenen Land nur dann in den Griff bekommen kann, wenn es sich von allen militanten Gruppen abwendet. Ob der Sicherheitsapparat dazu bereit sein wird, ist jedoch fraglich. SASCHA ZASTIRAL

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