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Archiv-Artikel

LBBW-Zeuge in der Villa

Er ist der Banker, der Nein sagte, beim Tricksen nicht mitmachte – und kurz darauf seinen Führungsjob bei der Landesbank Baden-Württemberg los war. Als sich Markus Pflitsch 2010 in der brisanten Sache an Günther Oettinger und Stefan Mappus wandte, reagierten die CDU-Politiker nicht. Ganz anders jetzt die neue Landesregierung: Der ehemalige LBBW-Manager wurde ins Staatsministerium eingeladen

von Rainer Nübel

Dem Absender des Schreibens, das müsste Günther Oettinger und Stefan Mappus im Januar 2010 sofort bewusst gewesen sein, war die Sache ernst, sehr ernst. Und beide realisierten sicherlich rasch: Die im Brief geschilderten Vorgänge, die sich in der Landesbank Baden-Württemberg abgespielt hatten, hatten Brisanz. Politische Brisanz.

Der Absender ist Markus Pflitsch. Am 11. Januar 2010 hatte der ehemalige LBBW-Spitzenmanager seinen Brief an Ministerpräsident Oettinger per Fax geschickt. Und da Oettinger damals als designierter EU-Kommissar auf dem Sprung nach Brüssel war, schickte Pflitsch gleich auch eine Kopie des Schreibens an dessen Nachfolger Stefan Mappus. Gleich im ersten Satz hatte der Banker den Stuttgarter Regierungschef gebeten, er möge sich „für eine rasche, einvernehmliche Bereinigung der sehr belastenden Situation“ einsetzen.

Die für Pflitsch „sehr belastende Situation“ ging auf Ereignisse im Sommer 2009 bei der Landesbank zurück, die in dem Schreiben an Oettinger und Mappus ausführlich beschrieben waren. Wie die Kontext:Wochenzeitung vor Kurzem berichtete („LBBW: Der ungehörte Zeuge“), hatte sich Pflitsch in seiner damaligen Funktion als Chef der LBBW Immobilien GmbH am 30. Juli 2009 geweigert, eine realitätsferne und schönfärberische Erklärung zur Lage der bankeigenen Immobilientochter abzugeben. Der Halbjahresabschluss stand damals an. Pflitsch hätte eine sogenannte Vollständigkeitserklärung mit unterschreiben sollen, in der Geschäftsführer gegenüber Wirtschaftsprüfern unter Strafandrohung versichern, dass nichts verheimlicht wird. Laut vorformulierter Erklärung lagen bei der LBBW-Immotochter „Störungen oder wesentliche Mängel des internen Kontrollsystems“ nicht vor. Außerdem stand da: „Wir verfolgen keine Pläne, die zur Folge haben könnten, dass sich Buchwerte … wesentlich verändern.“

Doch Pflitsch wusste: Diese Angaben standen in eklatantem Widerspruch zu einem internen Revisionsbericht der LBBW vom Februar 2009 zur Lage der Immobilientochter. Der hatte eine ganz andere, verheerende Realität dokumentiert: Immer wieder war darin von „erheblichen Schwächen“ und „fehlenden Steuerungsfunktionen“ die Rede. Und davon, dass die strategische Ausrichtung des „Segment Development“ stark risikobehaftet sei. Pflitsch, der zuvor Leiter der Konzernentwicklung gewesen war, hatte gerade wegen dieser desolaten Lage im Frühjahr vom damaligen LBBW-Vorstand die Aufgabe bekommen, die Immobilientochter zu sanieren und wieder auf Kurs zu bringen. Bei einer internen Präsentation am 14. Juni 2009 – es war bei der LBBW die Zeit des Führungswechsels von Siegfried Jaschinski zu Hans-Jörg Vetter – redete Pflitsch als Chef der Immobiliensparte Klartext: Projekte mit einem Volumen von mehr als 1,6 Milliarden Euro seien nicht durchfinanziert und Risiken nicht vollständig transparent.

Ein in Managerkreisen eher unübliches Nein

Aus all diesen Gründen tat Pflitsch etwas, was in Managerkreisen höchst selten, vielleicht sogar ein Novum ist, zumal in der Welt der Banker, wie sich spätestens seit der Finanzkrise krass gezeigt hat: Er sagte Nein zu Schönfärberei und realitätsfernen Darstellungen. Am 30. Juli 2009 weigerte sich Pflitsch, die Vollständigkeitserklärung zu unterschreiben. Sein Nein begründete er unter anderem damit: Angesichts der prekären Lage der LBBW Immobilien GmbH sowie nach dem Urteil des Revisionsberichts könnten „wesentliche Mängel des internen Kontrollsystems nicht negiert werden“. So steht es in einem Protokoll, das an Bankchef Hans-Jörg Vetter geschickt wurde. Einen Tag später, am 31. Juli 2009, wurde Markus Pflitsch mit sofortiger Wirkung von der Geschäftsführung enthoben – durch einen Vorstandsbeschluss der von Vetter geführten Landesbank. Durch die Abberufung von Pflitsch brauchte die LBBW dessen Unterschrift nicht mehr. Die anderen Geschäftsführer hatten die Erklärung unterzeichnet.

All dies erfuhren Oettinger und Mappus im Januar 2010 aus dem Brandbrief des ehemaligen LBBW-Topmanagers. Pflitsch hatte auch geschrieben, dass bis zu diesem Zeitpunkt, einem halben Jahr nach seiner Abberufung, seitens der LBBW keinerlei Bemühungen unternommen worden seien, eine einvernehmliche Lösung der Situation herbeizuführen.

Seit Sommer 2009 liefen umfangreiche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen amtierende und ausgeschiedene Geschäftsführer der LBBW-Immosparte wegen Untreueverdachts. Dabei ging und geht es um Immobiliengeschäfte zwischen 2006 und 2008, vorrangig in Rumänien, die sich faktisch als keineswegs so werthaltig erwiesen hatten wie intern angegeben.

Markus Pflitsch steht außerhalb jeden Verdachts, er war zu diesem Zeitpunkt noch Chef der Konzernentwicklung bei der Konzernmutter gewesen. Gegen ihn wird denn auch nicht ermittelt. Doch Bankchef Vetter hatte Pflitschs abrupte Abberufung in einer öffentlichen Verlautbarung nur bekannt gegeben, aber nicht begründet. Auch die übliche Dankesfloskel fehlte. Dadurch, so schrieb Pflitsch an den damaligen Ministerpräsidenten und dessen Nachfolger, sei seitens der LBBW-Führung billigend in Kauf genommen worden, dass er in der Öffentlichkeit in den „Dunstkreis“ möglicher krimineller Machenschaften gestellt worden sei. Dies stelle für seine berufliche Weiterentwicklung, wie schon jetzt erkennbar sei, „eine schwere Bürde dar“. Tatsächlich war in Presseberichten über die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in Sachen LBBW-Immosparte wiederholt auch Pflitsch Abberufung erwähnt worden.

Pflitsch bis heute noch nicht als Zeuge gehört

Oettinger und Mappus reagierten damals nicht auf Pflitschs Schreiben, gingen stattdessen auf Tauchstation. Später erklärten beide: „Nachdem zeitnah eine Aufhebungsvereinbarung zwischen LBBW und Herrn Pflitsch geschlossen worden war, wurde das Anliegen von Herrn Pflitsch seitens des Staatsministeriums nicht weiter verfolgt.“ Kein Wort, kein Kommentar der beiden CDU-Spitzenpolitiker zu den heiklen Vorgängen innerhalb der LBBW, wie sie Pflitsch in seinem Brief dargelegt hatte. Merkwürdig auch: Obwohl Markus Pflitsch die Schieflage der LBBW-Immobilientochter bestens kennt, ist er von der Staatsanwaltschaft Stuttgart bis heute nicht als Zeuge angehört worden.

Jetzt nimmt sich offenbar die neue Landesregierung der Sache an. Winfried Kretschmanns Staatsministerium hat den ehemaligen LBBW-Topmanager eingeladen. Nach Informationen der Kontext:Wochenzeitung aus Regierungskreisen wird es Anfang September ein Vorgespräch in der Villa Reitzenstein geben. Pflitsch möchte auf Anfrage nichts sagen und verweist auf seine Schweigepflicht, die nach wie vor bestehe.

Spannende Fragen ranken sich um Kretschmanns Geste. Ist die Einladung Ausdruck des neuen Regierungsstils, den der grüne Ministerpräsident angekündigt hat – der Politik des Zuhörens? Oder will sich Kretschmann, anders als seine Vorgänger, ein genaues, kritisches Bild über das Innenleben der Landesbank verschaffen, für die er nun maßgeblich verantwortlich ist? Die Landesregierung ist Miteigentümerin des Geldinstituts, Staatssekretär Murawski sitzt im neu gegründeten Aufsichtsrat. Kretschmann weiß nur zu gut, dass die Immobilien der LBBW zum Jahresende 2009 doch noch abgewertet wurden – um fast 300 Millionen Euro.

Als Anfang 2011 der SWR und das Magazin Stern erstmals über den Fall berichteten, hatte die LBBW erklärt: „Das Ausscheiden von Herrn Pflitsch steht in keinem Zusammenhang mit dem Nicht-Unterschreiben einer Vollständigkeitserklärung.“ Man habe „Fachexperten mit ausgewiesenem Imobilien-Know-how für die Geschäftsleitung gewinnen wollen“. Nicht auszuschließen, dass auch der Inhalt dieser Erklärung jetzt auf den Prüfstand kommt.

Oder ist die neue Landesregierung speziell an den ausgewiesenen Qualitäten von Pflitsch interessiert? Der 40-Jährige legte eine steile Karriere hin, bis zu seiner plötzlichen Abberufung im Sommer 2009: Der Einser-Abiturient hatte sein Physik-Diplom mit „sehr gut“ bestanden, danach hießen die beruflichen Stationen Boston Consulting Group, Deutsche Bank und Hypo-Vereinsbank, bevor er 2005 Chef der Konzernentwicklung bei der LBBW wurde. Als die Landesbank ihn im Frühjahr 2009 zum Geschäftsführer der Immobilientochter machte, um das krisengeschüttelte Unternehmen zu sanieren, schrieb der Vorstand ihm ein hohes Lob ins Zeugnis: „Herr Pflitsch zählte zu unseren besonders qualifizierten Führungskräften.“