Ein Mann gibt Stoff

FLAUSCH Mit seinen von den Muppets inspirierten Puppen wird Martin Reinl auch von Erwachsenen gefeiert. Wiwaldi und die 300 anderen führten ihn bis in die Werkstatt seines Gottes

■ Puppen-Sitcom: „Ausgekuschelt“ läuft am Sonntag um 22.40 Uhr auf ZDFneo. Die Show ist Teil des Ideenwettbewerbs „TVLab“. Unter tvlab.zdfneo.de kann man sich registrieren und aus zehn Formaten das wählen, das in Serie gehen soll.

■ „Zimmer frei“: Ebenfalls am Sonntag wiederholt der WDR um 0.15 Uhr die Sendung mit Barbara Schöneberger und Wiwaldi. Die nächste neue Show mit Martin Reinl wird am 11. September um 22.15 Uhr gezeigt. Gast: „Alarm für Cobra 11“-Ermittler Erdogan Atalay.

■ Bühnen-Impro-Show: Am 24. Oktober lädt Martin Reinl mit seinem Kollegen Carsten-Morar Haffke zum ersten Mal zum Improvisationstheater. „Pfoten hoch“ heißt die Show im Kölner Senftöpfchen.

AUS KÖLN STEFAN NIGGEMEIER

Der Stoff wird ihm so schnell nicht ausgehen. Eine Wand hoch stapelt sich, sortiert nach Farben, Flausch in aufgerollten Bahnen, mal zottelig, mal kuschelig, mal als Frottee. Gegenüber im Regal sind Ersatzteile in beschrifteten Kartons sortiert, „Arme + Beine“, „Kopflose Körper“, „Federn“, „Fellreste/Haare“. An der Wand dazwischen sitzen sie alle, die Wesen, die Martin Reinl in seinem Atelier daraus zusammennäht und -klebt und zum Leben erweckt: ein großer Tiger mit riesigen Augenbrauen, eine Kuh, zwei Rentiere, Spaghetti, zwei Babys, ein violettes Monster, ein ganzes Vogelhaus. 300 sind es insgesamt, unübersehbar inspiriert von Jim Hensons Muppets, mit denselben leicht schielenden Tischtennisballaugen und dem großen Klappmaul.

Manche sind nur für einen einzigen Auftritt gebaut worden, wie die sprechende Handtasche für die Begegnung mit Bruce Darnell, der gesagt hat: „De Handetasche muss lebendisch sein“, oder Till Sitter, der Käse, oder die Grippe im Anzug. Manche tauchen immer wieder auf. Und ein paar sind zu Stars geworden.

Vorlauter Hundeflokati

Vor allem Wiwaldi, der vorlaute Hundeflokati. Bekannt wurde er als regelmäßiger Überraschungsgast in der WDR-Show „Zimmer frei“, wo er hinter dem Sofa lebt und die Gäste bezaubert oder verstört. Die Rubrik ist eine Art Test, wie der Prominente mit diesem Zottelfell interagiert. Manche, wie Barbara Schöneberger, tun es so innig, dass sie fast zu vergessen scheinen (oder jedenfalls vergessen machen), dass es sich um eine Puppe handelt. Zur Not kann Wiwaldi aber die fünf Minuten auch locker mit einem Feuerwerk schlechter Wortspiele überbrücken, und der Gast ist nur Staffage.

Seit einiger Zeit bringt Wiwaldi immer noch jemanden mit, eine zweite Puppe, die auch von Martin Reinl gespielt wird – und wie er dabei hinter dem Sofa liegt, jeden Arm in einer Figur, ein Headset auf dem Kopf, einen Zettel mit Kalauern und einen Monitor mit den Fernsehbildern vor sich, das kann man sich selbst dann schlecht vorstellen, wenn man es gesehen hat.

Zum Ensemble gehören ein betrunkener Hai, der zur Begrüßung nur „Hai“ sagen muss, um die erste Pointe zu landen und den Schauspieler Mišel Matičević minutenlang besinnungslos kichern ließ; ein Kampfhundwelpe namens Purzel, der hoffnungslos in Moderatorin Christine Westermann verschossen ist, und neuerdings Horst Pferdinand, ein altes Zirkuspferd.

Mehrere Tage näht und bastelt Reinl an einer solchen Figur, und am Ende, wenn eigentlich nur noch das Gesicht fehlt, dauert es oft noch einen Tag, bis alles stimmt. „Manchmal gibt es nur eine einzige Möglichkeit, und es ist eine Frage von Millimetern, wie die Pupillen gucken“, sagt Reinl. „Die Figur ist erst fertig, wenn sie mir ‚Guten Tag‘ sagt.“

Horst Pferdinand war maßgeschneidert für eine Sendung mit Rebecca Siemoneit-Barum, die als Zirkuskind aufwuchs, bevor sie die Iffi aus der „Lindenstraße“ spielte (beziehungsweise Tiffy aus der „Lindenstraße“, wie der chronisch verwirrte Horst Pferdinand glaubte). Sie war die Erste, die dem Charme dieser Figur erlag, die großen Zähne und den Federschmuck bewunderte, wiehernd angelacht wurde und die Hände nicht von dem hellblauen Fell lassen konnte. Seitdem wird jeder Auftritt des alten Zirkuspferds vom „Zimmer frei“-Publikum frenetisch bejubelt.

Horst Pferdinand hat etwas von Brigitte Mira oder Inge Meysel in ihren späten Jahren: nicht immer ganz auf der Höhe des Gesprächs, aber von unwiderstehlichem zauberhaftem Charme. Sogar der Puppenspieler selbst scheint gelegentlich vom Eigenleben dieser Figur überwältigt zu sein. Es gibt improvisierte Szenen mit Wiwaldi und dem Zirkuspferd, sagt Martin Reinl, an die er sich kaum erinnern kann, als hätten die beiden sich selbst gespielt. „Heute war ich gar nicht dabei“, sagt er dann.

Reinl, Jahrgang 1975, war eines dieser Kinder, für die „Stubenarrest“ keine Strafe bedeutete, sondern das Glück, den ganzen Tag fernsehen zu können. „Ich konnte alles mitsprechen. Ich wollte immer selbst in die Kiste rein.“ Und er hat schon als Kind seinen Teddy auseinandergenommen, weil er wissen wollte, wie der gebaut war. Dann kaufte er eine gebrauchte Videokamera, probierte davor die Tricks aus, die er sich im Fernsehen abgeschaut hatte.

Auf der Bühne versuchte sich Reinl zunächst ohne Puppen, machte Stand-up und Stimmenparodien, fand sich aber „sehr mittelmäßig. Das hatte nichts Besonderes.“ Erst nach einem Auftritt, bei dem er Rudolph Moshammer mit einer Daisyfigur spielte, erkannte er, dass das Puppenspiel auf der Bühne etwas Besonderes war, das sonst keiner machte. Und dass er sich gar nicht hinter irgendwelchen Konstruktionen verstecken muss. Es reicht, die Puppe zu animieren, und die Menschen schauen nicht mehr auf ihn. Einige halten ihn sogar für einen Bauchredner, dabei steht er einfach daneben und redet.

Zu „Zimmer frei“ kam er über ein Bilderrätsel, in dem er „anspruchsvolle Rollen“ darstellen sollte – er bastelte ein nörgelndes Quartett aus Klo-, Nacken-, Küchenrolle und einem Rollmops, was eigentlich viel zu viel der Mühe war und andererseits so gut ankam, dass sie mehrere Jahre immer wieder auftraten. Für das Kinderprogramm von Super RTL entwickelte, schrieb und spielte er die Figur des aufgekratzten Haselhörnchens, das mit einem schlecht gelaunten Tuch, dem Jammerlappen, zusammenlebt. In seinem Bühnenprogramm tritt er unter anderem mit einem depressiven Tofu auf, der Sinatras „Nimm doch alles von mir“ singt, während er sich, Körperteil um Körperteil, in einen Kochtopf sortiert.

Moment der Irritation

Es ist eine merkwürdige Sache mit diesen Puppen. Es gibt Leute, die damit nichts anfangen können. Aber auch bei den anderen entsteht mindestens ein Moment der Irritation: Es ist ja für einen Erwachsenen, selbst wenn er das Kind in sich bewahrt hat, nicht das Natürlichste von der Welt, plötzlich mit einer solchen Figur zu kommunizieren. Man muss eine gewisse Hemmung überwinden, aber jeder, der sich ein kindliches Gemüt bewahrt habe, sei dann zu knacken, sagt Reinl – was es ihm dann erlaubt, durch das Maul der Puppen Gäste viel direkter, unverschämter, abseitiger anzugehen.

Schon als Kind hat Reinl seinen Teddy auseinandergenommen, weil er wissen wollte, wie der gebaut war

Es ist trotzdem ein mühsamer Weg für Reinl, seinen Geschäftspartner David Wilms und ihre Firma BigSmile Entertainment, die Figuren ins Erwachsenenfernsehen zu bekommen, und der Hinweis, dass die „Muppet Show“ in den USA eine Abendsendung war, hilft da auch nicht. „Wir haben in Deutschland ein Puppenproblem“, hat ihm vor Jahren ein Senderverantwortlicher gesagt. Allmählich ändert sich das, auch dank Kollegen wie Sascha Grammel und René Marik, die selbst für RTL massenkompatibel genug sind.

„Die Sender sind in letzter Zeit viel offener geworden“, sagt Martin Reinl. Für einen entwickelt er gerade eine Late Night Show für Wiwaldi, mit menschlichen Gästen, Duetten und Sketchen. Und für ZDFneo konnte er jetzt seinen Traum von einer Puppen-Sitcom verwirklichen: In „Ausgekuschelt“ geht es um eine WG, in der vier Puppen- und Tierstars leben, die ihre guten Zeiten lange hinter sich haben. Tippsy zum Beispiel ist eine Diva, deren Karriere als Vogelstar im Kinderfernsehen abrupt endete, nachdem sie einen Hitlerwitz gemacht hatte, und das Kaninchen Bernie von Flausch verlor seinen Job als Waschmittelwerbefigur, als es illegal für Dosenmilch warb (und hat heute den Rücken wund, vom ständigen In-den-Wäschekorb-Fallen).

„Manche denken, Puppen im Erwachsenenfernsehen müssten dauernd wichsen oder kiffen“, sagt Reinl, „aber in Programmen ohne Puppen passiert das doch auch nicht. Ich will stattdessen Geschichten über Charaktere entwickeln.“ Die sind manchmal etwas harmlos, aber mit großer Liebe erzählt – etwa wenn Rückblenden die Vorgeschichten der einst kuscheligen Tiere zeigen.

Schaumstoff in New York

Tippsy ist dabei natürlich auch eine Anspielung an den tantigen Vogel aus der „Sesamstraße“. Dort spielt Reinl seit einiger Zeit einen bösen Wolf, und ab kommendem Jahr leiht er Stimme und Hand einem weltberühmten roten Muppet-Monster. Vor einigen Wochen durfte und musste er deshalb in New York beim Originalpuppenspieler vorsprechen und mit dessen Originalpuppe vorspielen.

Es war ein ganz besonderer Besuch für Martin Reinl, nach all den Jahren, in denen er alles gesammelt, konsumiert, studiert hat, was aus dem Hause Jim Henson kam. Nun stand er plötzlich hier, in einem Fabrikgebäude vor einer unbeschrifteten Tür, hinter der sich der Workshop der Jim Henson Company befindet. Dahinter fand er Räume, ganz ähnlich wie seine eigenen in Köln, voller Fell, Schaumstoff, Bastelmaterial und Leuten, die daraus Puppen bauten und so verrückt waren wie er. „Es war“, sagt er, „wie bei einem schwulen Jungen vom Land, der zum ersten Mal in die Stadt kommt und merkt, dass er nicht der einzige ist.“