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Archiv-Artikel

Schnell noch etwas kaufen

RUBEL-KRISE Das Geld verliert an Wert, Wirtschaft stürzt ab. Dahinter steckt ein böser Mix: Fallender Ölpreis, strukturelle Probleme und Sanktionen verstärken sich. Regierung kämpft um Stabilität der Währung

MOSKAU taz | Natalja Solnzewa wurde 1945 geboren, in dem Jahr, als der Zweite Weltkrieg endete. Sie hat als kleines Kind Stalins Herrschaft erlebt, 1991 das Ende der Sowjetunion, 1998 die russische Staatspleite. Endlich hatte sie gehofft, das Schlimmste hinter sich zu haben.

Aber heute sagt die 69-jährige Rentnerin: „Wir haben Angst, wieder hungern zu müssen.“ Desillusioniert ergänzt sie: „Meine Bekannten und ich fürchten, dass uns das Geld wieder weggenommen wird, wie schon so häufig in diesem Land.“ Viele ältere Menschen hegen ähnliche Ängste. Was passiert, wenn die teuren Medikamente aus dem Westen nicht mehr erschwinglich sind?, fragen sie. Der Wertverlust des Rubels hat die Kosten für Arzneimittel fast verdoppelt.

Russland rutscht unaufhörlich weiter in eine tiefe Wirtschaftskrise. Noch in der Nacht zum Dienstag hob die russische Notenbank in einer kurzfristigen Rettungsaktion den Leitzins von 10,5 auf 17 Prozent, um den Verfall der Währung aufzuhalten. Am schwarzen Dienstag dann kletterte der US-Dollar auf 67 Rubel, die Maßnahme der Zentralbank verpuffte. Etwas Ruhe trat erst ein, als die Notenbanker Mittwoch Stützungskäufe von sieben Milliarden Dollar in Aussicht stellten. Das Vertrauen in die heimische Währung hat in Russland schwer gelitten. Viele Russen versuchen noch, für ihre Rubel auf die Schnelle Anschaffungen zu machen.

Vor den großen Megamalls der Hauptstadt und bei Ikea, MVideo und anderen Elektronikhandelsketten stehen die Menschen Schlange. Vom Zweitwagen über Gefrierkühltruhen bis zum dritten Flachbildschirm wird gekauft, was der Markt noch hergibt. Ab Januar werden die Preise drastisch steigen, und den Verbrauchern schwant, dass dies für längere Zeit ihre letzten größeren Anschaffungen sein könnten. Der Leitzins von 17 Prozent wird die Investitionsbereitschaft noch weiter drosseln und das ohnehin schwache produzierende Gewerbe auf eine harte Probe stellen. Mit 17 Prozent Leitzins seien weder Gewinne zu erzielen noch sei man konkurrenzfähig, klagen Unternehmer.

Mit der Zinserhöhung räumte die ZB der Stabilität der Währung Vorrang ein. Zahllose kleinere und mittlere Firmen dürften in den nächsten Monaten in die Insolvenz rutschen. Dazu zählen selbst die vielen Schönheitssalons, deren Tinkturen aus westlichen Labors stammen. Russland droht erstmals eine höhere Arbeitslosigkeit.

Engpass bei Devisen

Den endgültigen Absturz des Rubels soll ein 600-Milliarden-Kredit an den Ölgiganten Rosneft ausgelöst haben. Da der finanziell klamme Konzern sich an westlichen Märkten kein Geld mehr leihen kann, wurden russische Staatsbanken genötigt, unsichere Rosneft-Papiere zum Niedrigzins zu kaufen, die die ZB auch noch absicherte. Schon der Tausch in Dollars zur Schuldentilgung habe die Turbulenzen verursacht, mutmaßte Exfinanzminister Alexander Kudrin.

Ludmila Burina arbeitet bei einem ausländischen Unternehmen in Moskau. Ihr Lohn treffe nicht mehr pünktlich ein, sagt sie. Obwohl die ausländische Firma behaupte, das Geld wie immer gleich zu überweisen. Das ist kein Einzelfall mehr. Unternehmer vermuten, dass Geld wegen Devisenengpässen länger geparkt wird. Angestellten wird überdies geraten, Gelder auf den Konten nicht liegen zu lassen.

Der Staat versucht alles, die Bürger zu beruhigen. In der Nesawissimaja Gaseta pries der Premier kurz vor dem Rubelabsturz Dienstagnacht die russische Wirtschaft im Vergleich zur ukrainischen noch in frohen Farben. Am selben Abend war Russlands Währung schwächer als der Griwna des Nachbarn.

Hamsterkäufe finden bereits landesweit statt. Besonders begehrt ist Buchweizen. Der Preis stieg stellenweise um 80 Prozent, obwohl es keine Versorgungsengpässe gibt. Importe im Maschinenbau sind von November 2013 bis November 2014 um 15 Prozent geschrumpft, bei Textilien und Schuhen um 26 Prozent. Das sind Einbrüche wie in einer Depression. Dabei verstärken sich der fallende Ölpreis, strukturelle Probleme und die Sanktionen gegenseitig. Ökonomen halten für 2015 einen Absturz des BIP bis zu 6 Prozent für möglich.

Kritik an Präsident Putin ist in Moskau trotz allem auch jetzt nur selten zu hören. Noch überwiegen die verständnisvollen Stimmen. KLAUS-HELGE DONATH

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