piwik no script img

Archiv-Artikel

„Es fehlt ein Gesamtkonzept“

FLÜCHTLINGSHEIME Nicht an der Verwaltung solle man sich orientieren, sondern an den Bedürfnissen der Flüchtlinge, sagt Gabriele Schlimper vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Sie fordert einen Perspektivwechsel

Gabriele Schlimper

53, Sozialwissenschaftlerin, leitet die Geschäftsstelle Bezirke des paritätischen Landesverbandes Berlin und ist dessen stellvertretende Geschäftsführerin.

INTERVIEW ALKE WIERTH

taz: Frau Schlimper, an der Unterbringung von Flüchtlingen in Berlin gibt es zunehmend Kritik: Umstrittene privatgewerbliche Betreiber werden weiter beschäftigt, ebenso umstrittene Containerdörfer gebaut – woran liegt’s?

Gabriele Schlimper: Zum einen hat das Land sich zu sehr auf dem Rückgang der Flüchtlingszahlen in den vergangenen Jahren ausgeruht. Versorgungsstrukturen, die in den 90er Jahren vorhanden waren, wurden abgebaut mit dem Gedanken, dass es nicht wieder zu so hohen Flüchtlingszahlen wie damals kommen wird. Jetzt steigen die Zahlen wieder und alle scheinen völlig überfordert. Zudem ist, auch wegen der sinkenden Zahlen, seither die Unterbringung der Flüchtlinge von der kommunalen Ebene, also aus der Hand der Bezirke, in die Verantwortung des LaGeSo …

des Landesamts für Gesundheit und Soziales …

… übertragen worden. Dieses Amt ist aber gar nicht ausreichend personell ausgestattet, um Flüchtlingszahlen, wie wir sie derzeit haben, zu bewältigen. Daher kommen die Überforderung und das Chaos. Man muss nur einmal zum LaGeSo gehen, um zu merken, dass da eine spürbare permanente Überlastung besteht. Das Haus ist voll, es gibt lange Wartezeiten, und es wird für das Personal immer schwieriger, das Administrative zu bewältigen. Da geht es auch bei der Frage der Unterbringung nur noch um schnelle Lösungen, andere Aspekte bleiben auf der Strecke.

Realisiert wird, was am einfachsten umsetzbar ist?

Genau. Flüchtlinge sollen möglichst an einem Ort übereinandergestapelt werden, weil man das besser steuern kann. Es fehlt aber ein Gesamtkonzept. Dazu müsste man zunächst einfach alle Verantwortlichen in Sachen Flüchtlingsversorgung an einen Tisch holen, damit die mal miteinander reden: Von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bis zu der für Bildung, die für Soziales ebenso wie die Senatsverwaltungen für Integration und Finanzen.

Was kann eine solche Verwaltungs-AG ändern?

Vor allem die Perspektive: Statt zu fragen, wie kriegen wir als Verwaltung das organisatorisch am besten hin, muss aus der Perspektive der Flüchtlinge heraus gefragt werden, welche Unterstützung diese denn eigentlich brauchen.

Von den Grünen kam der Vorschlag, in den Bezirken Flüchtlingszentren in landeseigenen Immobilien und der Trägerschaft gemeinnütziger Organisationen einzurichten, die man bei sinkenden Flüchtlingszahlen für andere Gruppen wie Obdachlose oder Studierende nutzen kann. Wie finden Sie das?

Außerordentlich sinnvoll, ganz unabhängig von der Partei. Der Vorschlag ist ja aus der Zivilgesellschaft selbst gekommen, die Grünen haben ihn aufgegriffen. Die Gemeinnützigen haben eine breite Erfahrung in der sozialen Arbeit und im Umgang mit Menschen in schwierigen Lebenslagen ganz allgemein und können da zügig und professionell Hilfestellungen geben. Ohne dass es mehr Geld kostet als jetzt, hätte man also ein kompaktes Angebot für die Flüchtlinge. Es wäre aber auch schon viel gewonnen, wenn die Gemeinnützigen mit ihren Angeboten regelhaft in die großen Unterkünfte, etwa in die neuen Containerdörfer, hineindürften und dort die soziale Arbeit organisieren könnten.

Czaja selbst will mittlerweile wieder mehr gemeinnützige Träger. Das LaGeSo vergibt neue Unterkünfte trotzdem mehrheitlich weiter an privatgewerbliche Firmen. Warum?

Freie gemeinnützige Träger können ohne Förderung selber keine Immobilien bauen, dafür fehlt ihnen die Finanzstruktur. Aber man kann Immobilien im Besitz des Landes oder der Kommunen in gemeinnützige Trägerschaft übergeben. Ich kenne aber auch Organisationen unter unseren Mitgliedern, die Konzepte für leer stehende öffentliche Gebäude entwickelt haben und dann mit dieser Idee beim LaGeSo keinen Ansprechpartner finden. So ist die Situation dort im Moment. Deshalb sage ich auch: Es nützt nichts, wenn ich beim LaGeSo noch drei Mitarbeiter mehr beschäftige. Es braucht Kompetenz, und das ist auch eine konzeptionelle Frage.

Ist es von den Kapazitäten der Gemeinnützigen her überhaupt denkbar, dass sie alle Flüchtlingsunterkünfte in Berlin in ihre Trägerschaft übernehmen?

Grundsätzlich ja, aber es ist eigentlich gar nicht die zentrale Frage. Besser wäre doch, dass Flüchtlinge in jeder Art von freiem Wohnraum, in jedem normalen Wohnhaus untergebracht werden können – sie müssen ja nicht zwingend in sozialen Einrichtungen leben. Sie müssen aber umgeben sein von einem Netz sozialer Strukturen, die ihr Ankommen in dieser Gesellschaft erleichtern. Dann ist es auch völlig gleichgültig, wo sie wohnen.

Wie sähe ein vernünftiges Konzept Ihrer Ansicht nach aus?

Wer ein Flüchtlingsheim betreibt, müsste ganz am Anfang ein Konzept vorlegen, wie er die soziale Arbeit dort organisieren will. Bekommt ein Privatgewerblicher den Zuschlag, muss er verpflichtet werden, sozialen Organisationen den Zugang zum Flüchtlingsheim zu gewähren, was derzeit oft mit Schwierigkeiten verbunden ist. Dann kann man mit Privatgewerblichen arbeiten, wenn man sie zu solchen Kooperationen regelhaft verpflichtet.

Dann sind Sie gar nicht der Ansicht, dass man die Privaten ganz aus der Flüchtlingsunterbringung raushalten müsste?

Ich mache teils sehr gute Erfahrungen mit privatgewerblichen Anbietern, nicht nur bei der Flüchtlingsarbeit. Man muss das aber in den Verträgen verankern, die das Land mit ihnen abschließt. Wenn die Rahmenbedingungen klar vereinbart sind, dann wird sich in dem Bereich auch kein Privatgewerblicher mehr tummeln, der nicht die Bereitschaft dazu hat, sie tatsächlich einzuhalten.

Bei den in Berlin in der Kritik stehenden privaten Heimbetreibern entsteht der Eindruck, es geht nur um Gewinn.

Richtig. Und denen müsste eigentlich ziemlich zügig – und ich verstehe nicht, wo da das Problem liegt – die Betreibung ihrer Objekte entzogen werden.

Sehen Sie den politischen Willen dazu? Der Berliner Flüchtlingsrat und andere zivilgesellschaftliche Organisationen sehen ihn nicht.

Es ist Aufgabe und Pflicht dieser Vereine, so zu denken, und aus ihrer Perspektive hat das sicher Berechtigung. Aus unserer Sicht stellt es sich anders dar: Wir wissen, wie Verwaltung arbeitet. Die Strukturen sind so langsam und behäbig, dass man von außen den Eindruck bekommen muss, der Wille sei nicht da. Aber so absolutistisch sehe ich das nicht.