Bloß keine Mitte-Gesichter

Die Modelagentur Dee Bee Phunky lebt von guten Kontakten zur Szene. Sie liefert der Werbeindustrie Gesichter, die „Berliner Esprit“ vermitteln sollen

Leute, die etwas Merkwürdiges haben, Segelohren oder eine schiefe Nase, Falten – das wird ganz häufig verlangt

VON JAN KAGE

Als Karin Kruse und ihr Mitbewohner Ringo Kaufhold 1997 in der Lychener Straße einen gekachelten Laden fanden und sich entschlossen, sich in seinen jugendstilartig gefliesten Wänden selbstständig zu machen, war die Welt noch eine andere. Damals, es war die Zeit vor Castingshows wie „DSDS“, „Popstars“ oder „Big Brother“, betrachteten es Jugendliche noch nicht als normal, auf der Straße oder im Club von Agenten angesprochen und für eine Karriere als Fotomodel, Werbegesicht oder Hupfdohle entdeckt zu werden. Ein Jahr lang wurschtelten Kruse, die vorher die Technozeitung Frontpage mit aufgebaut hatte, und der gelernte Immobilienkaufmann Kaufhold in ihrem Ladenlokal herum. 1998 gründeten sie schließlich ihre Modelagentur Dee Bee Phunky.

Der Zufall half dabei: „Wir sind eigentlich zur Agentur gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Wir haben damals schon zusammen die Yaam-DJ-Culture-Geschichte gemacht,“ eine Reihe mit Reggae-DJs, erzählt die 1970 geborene Kruse. „Wir hatten eine vage Idee im Kopf, was wir machen wollten. Und wir wussten, wir haben verschiedene Netzwerke, und wir werden irgendwas anfangen. Dadurch, dass wir auf dem Yaam, Berlins erster Reggae-Adresse, gearbeitet haben, kannten wir sehr viele Schwarze. Irgendwann wurde dann ein Film besetzt, und es wurden Schwarze gesucht. Wir haben also Leute hingeschickt, und bald sprach es sich rum, dass wir eine Kartei haben und dass wir da doch so viele tolle, verschiedene Gesichter hätten. Und dann hatten wir natürlich auch immer junge Regiefreunde, die Musikvideos gemacht haben.“

Eine typische Neuberliner Existenzgründergeschichte wird hier erzählt, in dem damals typischen Kiez dazu. Typisch für den Werdegang der Agenturgründer ist auch das Ausprobieren und Learning by Doing. Kruse hat außerdem noch Kurzfilme gedreht, sie legt als DJ Cat Geisheim Platten auf und betreibt mit Kaufhold und ihrer Freundin Nelja Stump die Galerie Tristesse deluxe. Was zählte, um Erfolg zu haben, waren Engagement und ein Netzwerk. Mit ein bisschen Glück und der richtigen Haltung strahlte die eigene (sub)kulturelle Attraktivität bis in die Bereiche, wo Geld verteilt werden will, um am Szenechic teilhaben zu dürfen. Kruse und ihr Mitbewohner Kaufhold waren zur Stelle, als sich das neue Berlin Mitte der Neunziger zu konsolidieren begann. Kennengelernt hatten sich die späteren Geschäftspartner im Hof des alten Technoclubs E-Werk. Beide stammen aus der Technoszene, die Berlin prägte wie kaum eine andere Subkultur und die viel der Strahlkraft generierte, die noch heute Marketingbudgets und Spielfilmproduktionen in die Stadt lotst.

Dee Bee Phunky arbeitet an der Schnittstelle zwischen hipper Szene einerseits und den Werbeagenturen, die an die Berliner Hipness andocken wollen, um Produkte zu verkaufen. Sie suchen gern den „authentischen Berliner Typen“. So heißt es auf der Agentur-Website denn auch, man vertrete Gesichter mit dem gewissen „Berliner Esprit“. Wie sieht der denn aus? „Das Spezielle, das diese Stadt ausmacht, liegt daran, dass es den kommunistischen und den kapitalistischen Teil gab, die sich nach dem Fall der Mauer und dem Entstehen des neuen Berlin angeglichen haben. Man merkt hier im sozialen Leben, dass Leute versuchen, etwas anders zu leben, und das tatsächlich auch schaffen. Dass sie etwas über soziale Netzwerke generieren können und nicht nur über Geld. Dass man hier tatsächlich mit wenig Geld ziemlich gut leben kann und dabei kreativ sein und noch dazu viele Freiheiten genießen kann – das macht, glaube ich, den Berliner Esprit aus. Die stilistischen Versatzstücke, die darin vorkommen, können ganz unterschiedlicher Natur sein. Das sieht man auch in dem Straßenlook, den die Leute so mitbringen. Das ist eine eklektizistische Welt aus verschiedenen Zeiten, und Berlin ist im Moment der Teppich dafür.“

Gibt es Trends, die für eine gewisse Zeit gängig sind? “Jeder Kunde möchte was anderes machen. Vor ein paar Jahren gab es diese verschnittenen Frisuren in Mitte. Jetzt heißt es in Briefings gerne: ‚Bloß keine Mitte-Frisur! Bloß keine Mitte-Typen!‘ Es verändert sich immer, da in der Werbung wahnsinnig viel passiert, und die Branche sehr schnelllebig ist. Was allerdings ein wirklicher Trend ist – im Unterschied zu den Werbungen, die man aus den späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahren kennt: Diese glatten Modelgesichter – alles muss immer Hochglanz und schön sein – werden tatsächlich durch dokumentarischere Arbeiten abgelöst, wie es sie auch vermehrt in der Fotografie oder im Kino gibt. Die Leute wollen ‚was Echtes‘. Auch wenn das natürlich alles komplett durchkonzipiert sein kann. Dass nicht jeder perfekt aussieht, sondern etwas hat, was merkwürdig ist, in der Mimik, oder Segelohren, herausstechende Augen oder eine schiefe Nase, Falten – das wird ganz häufig verlangt.“

Kruse hat aber auch beobachtet, dass ihre Kunden nicht mehr nur junge Gesichter buchen wollen, weil sich Werbung mittlerweile oft auch an Ältere richte. Heute sei eine Modelkarriere nicht mehr mit 22 vorbei. Models ab 30 seien heute interessant, und auch gerne noch ältere. „Das wird jetzt als nächste Phase erwartet, dass es einen Werbezirkus für ältere Menschen geben wird, die schon pensioniert sind. Zum einen wegen ihrer Kaufkraft, zum anderen, weil man ja heute länger jung ist, und die Gesellschaft älter wird.“

Aus diesen Gründen sei die Dee-Bee-Phunky-Kartei „ein Querschnitt unserer Gesellschaft: also von alt bis jung, von chinesisch bis albinohaft, von dick bis dünn, jede Haarfarbe. Du wirst alles finden, jede Art von Style, sowohl die richtige Schickimicki-Tussi, als auch den total harten Rocker, du wirst Rockabillies finden, Punker …“ Um die 2.000 Gesichter finden sich derzeit in der Kartei. Heute arbeiten sechs feste und knapp fünfzehn freie Mitarbeiter bei Dee Bee Phunky. Früher wurde in dem gekachelten Ladenlokal übrigens Wurst und Fleisch verkauft. Das könnte man ja heute irgendwie auch noch behaupten, „nur töten wir keine Tiere, sondern vermitteln hoffentlich gute Jobs“.