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Archiv-Artikel

„Uns geht es so gut hier“

HAUSBESUCH Der Vater mag Bruce Lee, die Tochter Justin Bieber. Zu Hause bei einer jesidischen Familie

VON PADDY BAUER (TEXT) UND BERND HARTUNG (FOTOS)

Eine jesidische Familie in Deutschland: Medine Ortac (39), Özkan Ortac (42) und ihre Töchter Hevi (20), Meneksa (15), Arjin-Leyla (12) und Hanim (8). Draußen: Ein Neubaugebiet in Gießen. Ein Einfamilienhaus in einem ruhigen Straßenring. Weiße Klinkerfassade und Garten. Die Ziegel auf dem Dach sind noch blank. Das Familienauto steht vor der Garage. Zwei Klingeln an der Tür, auf beiden steht „Ortac“: große Familie, großes Haus. Drin: Die Einrichtung ist hell. Alles passt zusammen. Fliesen mit filigranen Mustern zieren den Boden. Im Wohnzimmer: warme, orange Töne. Bilder aus dem jesidischen Pilgerort Lalisch stehen am Kamin („Das haben wir für Sie hier aufgebaut“). Eine Tanbur lehnt an der Wand („Ein orientalisches Zupfinstrument“). Der Tisch ist gedeckt mit Weinblättern, Mohnschnecken und Kürbisbrot. Özkan Ortac: Seine Familie kommt aus Cilesiz an der türkisch-syrischen Grenze („Der türkische Teil Kurdistans“). Sein Vater kam Anfang der siebziger Jahre nach Deutschland, die Familie holte er nach. Ortac machte eine Ausbildung zum Maschinentechniker („Maschinen interessierten mich schon immer. Vor allem druckluftbetriebene“). Er schaut gern Bollywood- und Actionfilme mit seiner Familie („Alles mit Bruce Lee“). Medine Ortac: Ihre Familie stammt aus Geliye Sora, nahe dem Heimatort ihres Mannes. Mitte der Achtziger kam die Familie nach Deutschland, sie besuchte hier die Schule, wurde Friseurin. 1998 lernte sie Özkan Ortac auf einer Hochzeit kennen. Sie verliebten sich, gründeten eine Familie und bauten 2006 das Haus („Wir haben vieles selbst gemacht“). Zu Hause sprechen sie deutsch und kurdisch. Wer macht was? Özkan Ortac ist Maschinentechniker bei einer Schweizer Druckerfirma und trainiert die E-Junioren beim VfB Gießen („Fußball ist meine Leidenschaft“). Medine Ortac ist Hausfrau und seit zwei Monaten im Vorstand der „Ezidischen Gemeinde Hessen“. Gemeinsam koordinieren sie Spendenaktionen („Wir haben bereits zwei Lkw mit Hilfsgütern runtergeschickt“). Hevi, die Älteste, studiert Französisch, Latein und Chemie auf Lehramt („Keine Vernunftentscheidung, ich mach das wirklich gerne“). Meneksa, Arjin und Hanim gehen zur Schule. Arjin, 12, half ihrer Lehrerin gerade bei einem Konzept für den Unterricht („Meine Lehrerin kannte das Jesidentum gar nicht“). Meneksa, 15, spricht Englisch, Spanisch, Deutsch und Kurdisch und folgt Justin Bieber auf Twitter, Facebook und Instagram. Die achtjährige Hanim hat die zarteste Stimme, aber ein selbstbewusstes Auftreten. Die Religion: Das Jesidentum spielt für die Familie eine wichtige Rolle. Tochter Hevi erzählt. Eine der ältesten Religionen der Welt. Es gibt keine heilige Schrift. Wissen wird in den Familien und Gemeinden vermittelt. Tausi Melek, ein Engel in Form eines blauen Pfaus, hat ihrem Glaube zufolge in Gottes Auftrag die Welt erschaffen. Er ist der Vertreter Gottes auf Erden. Die Religion kann nur vererbt werden. Man ist Jeside, man wird es nicht. Auch nicht durch eine Heirat? „Wenn man außerhalb der Religion heiratet, dann hat das den Ausschluss aus der Religionsgemeinschaft zur Folge“, sagt Hevi. Was heißt das für euch? „Es gibt keinen Zwang“, sagt Özkan Ortac. „Wir wollen unsere Identität wahren, aber wir wollen auch Mensch bleiben. Ehrenmorde und Zwangsheirat sind inakzeptabel.“ Wenn sich seine Kinder anders entscheiden würden? „Das ist dann halt so“, sagt er. Doch ihnen begegnen Vorurteile. „Manche denken, wir sind Muslime. Manche beschimpfen uns als Teufelsanbeter.“ Dabei gibt es im Jesidentum gar keinen Teufel. Die Verfolgung der Jesiden: Die Situation der Jesiden bestimmt ihren Alltag. Auch den der Kinder. „Ich bin darüber traurig“, sagt die zwölfjährige Arjin. Ihre Verwandten leben in der Türkei und in Deutschland, aber sie haben auch Freunde in den vom IS umkämpften Gebieten. „Wir fühlen Betroffenheit für alle, die leiden“, sagt Özkan Ortac. „Als Teil der Diaspora ist es unsere Aufgabe, diesen Völkermord zu stoppen.“ Sie versuchen es durch Spendenaktionen und Demonstrationen. „Ich habe ein Plakat für eine Demonstration gemalt“, sagt die Jüngste. Was steht drauf? „Stop Killing Yezidis“. Hevi sagt: „Uns geht es so gut hier. Zu wissen, dort geschieht ein Völkermord an anderen Jesiden, das schmerzt. Es ist grausam.“ Seit die Jesiden im Irak auf der Flucht sind, ist die Aufmerksamkeit für ihre Religion stark gestiegen. „Wir haben in die Welt geschrien und jetzt ist wohl die Zeit, dass es Menschen interessiert“, sagt Hevi. „Es ist ein schönes Gefühl, die Religion zu teilen.“ Wie finden Sie Merkel? „Frau Merkel hat aus humanitärer Sicht bestimmt vieles getan“, sagt Özkan Ortac diplomatisch. Aber die deutsche Politik sollte die Hilfe für die Minderheiten im Irak besser verfolgen. „Die politische Lage ist sehr kompliziert. Da hat natürlich jeder seine eigenen Interessen. Deutschland will die Türkei nicht verärgern. Es ist alles nicht so einfach. Wir sind aber ein Volk ohne Land. Ich finde, die derzeitige Situation ist beschämend für die westlichen Länder.“ Wann sind Sie glücklich? Özkan Ortac ist glücklich, wenn seine Kinder ihren Weg gehen. Er ist stolz auf seine Familie. Ihr Haus. Ihre Freunde. Ihr Engagement. Sie sind glücklich, wenn sie so zusammensitzen, als Familie und auf das blicken, was sie geschafft haben. Wenn sie informieren und helfen können.

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