Hommage an den Widerstand

KOMPOSITIONEN Erinnerung an eine bedeutende Episode der französischen Geschichte: die „Chroniques de résistance“ des Pianisten Tony Hymas

Die Texte beschreiben die erdrückende Last einer illegalen Existenz, wie sie für die Mitglieder der Résistance alltäglich war

VON ELISE GRATON

Jeden Sommer lädt das zwischen Clermont-Ferrand und Bordeaux im Südwesten Frankreichs gelegene Örtchen Treignac lokal und international bekannte MusikerInnen zu einem dreitägigen Jazzfestival. Für die letztjährige Ausgabe von „Kind of Belou“ versammelte sich unter der Führung des britischen Pianisten Tony Hymas eine illustre Gruppe von MusikerInnen und SchauspielerInnen aus den USA, Großbritannien und Frankreich, um seine Kompositionen „Chroniques de résistance“ einzuspielen.

In der Tat hätte man keinen besseren Ort für die Chroniken des Widerstands wählen können: Treignac liegt im Limousin, der einstigen Hochburg der französischen Résistance während des Zweiten Weltkriegs. Die musikalische Hommage an ihre wechselvolle Existenz ist nun als Doppelalbum erschienen – mit 27 Tracks, die auf Briefen, Erfahrungsberichten und Gedichten aus den vierziger Jahren, aber auch von heute basieren.

Klagelied des Partisanen

„Mit dem Projekt wollten wir keine Gedenkfeier veranstalten und auch keine vollständige Geschichte erzählen“, sagt der Produzent Jean Rochard, der zusammen mit Tony Hymas die „Chroniques“ konzipiert und das Orchester nach Treignac eingeladen hat. „Vielmehr wollten wir komplexe, teilweise durchaus auch widersprüchliche Momente einer bedeutenden Episode der französischen Geschichte in Erinnerung rufen. Viele Aspekte der Résistance wurden weitgehend verdrängt oder vereinfacht, oftmals auch bis zur Unkenntlichkeit.“

Von wechselnden SprecherInnen werden in den „Chroniques“ historische Zeitdokumente vorgetragen: mal aggressiv ruckartig, als wären die Worte Waffen, mal den poetischen Soulsound der sechziger Jahre heraufbeschwörend. Hymas’ Kompositionen für Bläser, Schlagzeug und Klavier zitieren zum Teil andere Stücke, etwa das Lied „La complainte du partisan“ (Klagelied des Partisanen), von der aus der Sowjetunion stammenden Sängerin Anna Marly 1943 in London komponiert, das zur Hymne der Résistance wurde. Ebenso sind Volkslieder aus dem Spanischen Bürgerkrieg zu finden.

Das mit Fotos, Gemälden und Comics illustrierte Booklet liefert zu jedem Track und seinen ProtagonistInnen die nötigen Informationen und Hintergründe. Quer durch die Kulturen würdigt das opulent produzierte Werk den Widerstandskampf, erinnert ebenso an die HeldInnen vom Limousin wie an die Spanier, die sich gegen Francos Diktatur erhoben und später teilweise zur französischen Résistance dazustießen; man gedenkt der afrikanischen Soldaten aus den Kolonien, die an vorderster Front kämpften, aber 1944, nach der Niederlage der Wehrmacht, nicht zur Siegesfeier in Paris eingeladen wurden; ebenso der Deserteure der Wehrmacht, die erst 2002 vom deutschen Bundestag rehabilitiert wurden.

Den Anfang der „Chroniques“ bildet das Gedicht „Demain“ (Morgen) aus der Feder des im KZ Theresienstadt von den Nazis ermordeten Dichters Robert Desnos, es folgen die poetischen Fragmente „Feuillets d’Hypnos“ des Surrealisten René Char, der 1940 in den Untergrund ging, um gegen die Deutschen zu kämpfen. Beide Texte beschreiben die erdrückende Last einer illegalen Existenz, wie sie für die Mitglieder der Résistance alltäglich war. Das Ständig-auf-der-Lauer-Liegen, die Ungewissheit der eigenen Zukunft.

Wer von der Wehrmacht gefasst wurde, musste mit dem Schlimmsten rechnen: Auf die schrecklichen Haftbedingungen im Konzentrationslager Ravensbrück reagierte die Résistance-Kämpferin Germaine Tillion mit der satirischen Operette „Le Verfügbar aux Enfers“. In aller Heimlichkeit besangen sie und ihre Leidensgenossinnen den brutalen KZ-Alltag – zu volkstümlichen und klassischen Melodien. Eine davon war „Danse macabre“ (Totentanz) des französischen Komponisten Camille de Saint-Saëns, die auch Hymas zu seiner Vertonung des Tillion gewidmeten Gedichts „Valse macabre“ inspirierte.

Vom Schicksal des Bauernsohns, Widerstandkämpfers und Schriftstellers Henri Nanot handeln sein Song „Szenen aus dem Leben im Maquis“. In der Nachkriegszeit engagierte sich Nanot für die Unabhängigkeit Algeriens – was ihm zum Verhängnis wurde: Schikaniert, verhaftet, von der Polizei gefoltert, verliert er schließlich den Verstand und verbringt seine letzten Tage in einer psychiatrischen Anstalt.

Aus der Gegenwart schließlich antwortet der irische Marxist und Soziologe John Holloway, seinerseits stark von der Bewegung der Zapatisten in Mexiko beeinflusst, in einem offenen Brief: „The world has changed but this is not the freedom you died for / The struggle against fascism flows into the fight against capital“. Die Résistants der Gegenwart, so Holloway, heißen heute Ahmed und Leila, Eloína und Katerina, Sabu und Hans. Auch ihnen und künftigen Generationen von Widerstandskämpfern sind „Chroniques de résistance“ gewidmet.

Various Artists: „Chroniques de résistance“ (Nato/Broken Silence)