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Archiv-Artikel

Einer geht noch

AFFÄRE Der Fall Edathy ist für die SPD zu einem Riesenproblem geworden. Denn ausgerechnet Michael Hartmann, der die Parteispitze reinwaschen soll, gibt ein miserables Bild ab. Hat er Edathy vor Ermittlungen gewarnt?

AUS BERLIN TOBIAS SCHULZE UND STEFAN REINECKE

Wenn eines feststeht am Ende dieser Woche, nach Vorwürfen und Widersprüchen, nach einer 13-Stunden-Sitzung des Untersuchungsausschusses, dann das: Sebastian Edathy hat im Herbst 2013 gesoffen wie ein Loch. Sigmar Gabriels Rede auf dem Leipziger SPD-Parteitag verpasste er, weil er vor der Halle seinen Kater auslüftete. Die Wiederwahl von Angela Merkel im Bundestag hätte er beinahe verpennt. Edathy hatte ein Alkoholproblem, zumindest darauf können sich alle Beteiligten einigen.

Nun ist es eigentlich uninteressant, wie sich der damalige Bundestagsabgeordnete davon ablenkte, dass ein Verfahren wegen Kinderpornografie auf ihn zurollte. Aber wenn Aussage gegen Aussage steht, entscheiden die Details, und so ist Edathys Alkoholkonsum plötzlich keine Privatsache mehr.

Es geht um viel inzwischen. Der Fall Edathy, der mit Ermittlungen wegen Kinderpornografie begann und der die Karriere eines einst geschätzten Parlamentariers abrupt beendete – er ist zu einem Riesenproblem für die SPD geworden.

Seine Rückkehr nach Berlin hatte Edathy perfekt inszeniert. Für Donnerstagnachmittag war er als Zeuge in den Untersuchungsausschuss geladen. Unmittelbar davor gab er im Regierungsviertel eine Pressekonferenz. Der Andrang war größer als bei Terminen mit Angela Merkel. Schon einige Tage zuvor hatte Edathy über den Stern seine neue Version der Ereignisse präsentiert, untermauert mit vielen SMS: Der SPD-Fraktionskollege Michael Hartmann habe ihn über drohende Ermittlungen auf dem Laufenden gehalten. Dessen angeblicher Informant: Jörg Ziercke, damaliger Präsident des Bundeskriminalamts (BKA).

Nicht sein Therapeut

Donnerstag, später Abend, Auftritt Hartmann vor dem Untersuchungsausschuss. Der SPD-Innenpolitiker steht unter Druck und dementiert Edathys Behauptung. „Der Vorwurf der Strafvereitelung ist gänzlich unbegründet“, liest er vor. Edathy gewarnt? Unsinn. Er habe seinem Kollegen nur beigestanden. Der habe aufgrund von Medienberichten Ermittlungen befürchtet und war völlig am Ende, selbstmordgefährdet und häufig betrunken.

„Ach ja?“, fragt Frank Tempel, ehemals Kriminalbeamter und jetzt für die Linkspartei im Ausschuss. Dann hält er dem Zeugen einen SMS-Dialog vor. Ob Edathy „was vernünftiges zu trinken“ im Haus habe, fragte Hartmann demnach vor einem Treffen im Januar. „Wein?“, antwortete Edathy. „Was immer du hast.“

„Warum heizen Sie bitte einen Trinkabend an, wenn Sie sich angeblich um Edathys Alkoholproblem sorgen?“, hakt Tempel nach. Hartmann schweigt. Zwei Sekunden. Drei Sekunden. Dann: „Weil ich nicht sein Therapeut bin.“

Plausibel geht anders, abgesehen von den SPD-Leuten sind sich darüber alle im Saal einig, als die Sitzung frühmorgens um 1.41 Uhr endet. Die Alkohol-Episode ist schließlich nicht alles: Sein abhörsicheres Handy, über das er die SMS geschrieben haben soll, hat Hartmann angeblich verloren; zwischen zwei Terminen in seinem Wahlkreis müsse es ihm Ende März aus der Tasche gefallen sein. Kurznachrichten auf seinem zweiten Handy habe er längst gelöscht, er leere regelmäßig seinen Speicher. Und einen Satz verwendet Hartmann an diesem Abend immer wieder, als Universalantwort: „Das ist mir nicht erinnerlich.“

Und dann auch noch die Sache mit dem Innenausschuss: Vier Mal hatte das Bundestagsgremium im Frühjahr über die Causa Edathy beraten, schon damals stand der Verdacht im Raum, dass es eine Vorwarnung gab. Hartmann war damals Mitglied des Ausschusses. Dass er mit seinem Kollegen über die Angelegenheit gesprochen hatte, angeblich ohne ihn zu warnen, erwähnte er aber nicht. „Wieso nicht?“, fragt Armin Schuster (CDU). Hartmann antwortet erstaunt: Ihn habe ja keiner gefragt.

Natürlich könnte Hartmann die Wahrheit sagen. Er wäre nicht der Erste, der auf dem Zeugenstuhl nervös wird. Nach Mitternacht lässt die Konzentration nach. Und Details zu Gesprächen, die zwölf Monate zurückliegen, können im Gedächtnis schon mal verblassen.

Natürlich könnte auch Edathy lügen. Vor einem halben Jahr klang seine Version der Geschehnisse noch ganz anders. Im nordafrikanischen Exil hätte er genug Zeit gehabt, sich eine Räuberpistole auszudenken. Und seine Auftritte in Berlin, ohne echte Reue, machen ihn zumindest nicht zu einem liebenswerten Zeugen. Trotzdem: Seine Erinnerungslücken sind sehr viel kleiner als die von Hartmann.

Und so könnte eine unglaubliche Geschichte über den Rechtsstaat ein weiteres, noch viel unglaublicheres Kapitel erhalten. Schon was vor dieser Woche bekannt war, ist schließlich nicht ohne. Da taucht ein halbwegs prominenter Sozialdemokrat auf einer Liste möglicher Kinderporno-Konsumenten auf. Jörg Ziercke, bis November 2014 BKA-Chef und zudem SPD-Mitglied, informiert einen Staatssekretär im Innenministerium darüber, der wiederum Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und dieser die SPD-Spitze. Es ist die Zeit der Regierungsbildung und Friedrich meint es gut mit den Sozialdemokraten: Er will verhindern, dass Edathy ein Amt in der Regierung erhält – und dann auffliegt.

Gut gemeint und trotzdem verboten, juristisch heißt das Geheimnisverrat. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen den Exminister, stellte das Verfahren aber wegen geringer Schuld ein.

Zeuge ohne Handy

Nun also das nächste Kapitel, mit einem neuen Akteur: Michael Hartmann, der Zeuge ohne Erinnerung und ohne Handy, der selbst erst im Sommer wegen Drogenmissbrauchs gestrauchelt war. Bis vor ein paar Tagen war er nur eine Nebenfigur der Affäre, jetzt steht er im Zentrum. Wenn Edathys Version stimmt, hat er diesen in Zierckes Auftrag über das BKA-Material informiert. Die beiden wollten demnach einen zweiten Fall wie den von Jörg Tauss vermeiden, ebenfalls ein ehemaliger SPD-Abgeordneter, 2009 wegen Kinderpornografie vor Gericht.

Stimmt diese Version, hätten sie Edathy möglicherweise geholfen, Beweismaterial beiseitezuschaffen. Nicht nur Hartmann, sondern auch Ziercke bestreitet das. Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden prüft Ermittlungen wegen Strafvereitelung.

Hier läge dann der neue Kern der Causa Edathy: Ein mutmaßlicher Konsument von Kinderpornografie wäre beinahe davongekommen, weil er im Bundestag sitzt und das gleiche Parteibuch besitzt wie Deutschlands oberster Polizist.

Der Ärger in der SPD wirkt dagegen nur noch wie ein Nebengeräusch. Die letzte Bundestagswoche des Jahres hatten sich die Sozialdemokraten anders vorgestellt: noch ein paar Abstimmungen, dann ab in den Weihnachtsurlaub. Aus dem ruhigen Jahreswechsel ist nichts geworden.

Vor allem für Thomas Oppermann ist die Sache lästig. Der Fraktionschef kam bisher ungeschoren durch die Affäre, obwohl er seine erste öffentliche Erklärung zu dem Fall korrigieren musste. Er hatte behauptet, dass ihm BKA-Chef Ziercke den Verdacht gegen Edathy bestätigt habe, und musste das nach Zierckes Widerspruch revidieren.

Für Oppermann ist die Affäre nicht ausgestanden. Vermutlich schon im Januar muss er vor dem Ausschuss aussagen – kurz nach einem Parteifreund: Auch Jörg Ziercke wollen die Abgeordneten befragen, so schnell wie möglich, in der ersten Sitzungswoche des neuen Jahres.

Im Februar muss dann Sebastian Edathy vor Gericht. Wenn sein Verfahren nicht gegen eine Geldbuße eingestellt wird.