: Nudeln mit Ketchup
Laut einer neuen Studie reicht das Arbeitslosengeld II nicht, um Kinder gesund zu ernähren. Hamburgs Sozial-Staatsrat Dietrich Wersich (CDU) widerspricht: Das sei keine Frage des Geldes, sondern der elterlichen Motivation und Kompetenz
Altersgemäße Lebensmittelmengen: 4–6 Jahre pro Tag: 800 ml Getränke, 170g Brot/Getreide, 180g Kartoffeln, Nudeln, Reis o.ä., 200g Gemüse, 200g Obst, 350 ml Milchprodukte, 40g Fleisch, 25g Fett, pro Woche 2 Eier, 50g Fisch 7–9 Jahre, pro Tag: 900 ml Getränke, 200g Brot/Getreide, 220g Kart., Nudeln, Reis o.ä., 220g Gemüse, 220g Obst, 400 ml Milchprod., 50g Fleisch, 30g Fett, pro W. 2 Eier, 75g Fisch. 10–12 Jahre, pro Tag: 1 l Getränke, 250g Brot/Getreide, 270g Kart., Nudeln, Reis o.ä., 250g Gemüse, 250g Obst, 420 ml Milchprod., 60g Fleisch, 35g Fett, pro W. 2–3 Eier, 90g Fisch
VON KAIJA KUTTER
Zeitgleich zur Erhöhung der Milchpreise veröffentlichte das Dortmunder Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) eine Studie, die Sozialpolitiker aller Coleur zum sofortigen Handeln bewegen sollte. Das im Regelsatz für Kinder von ALG-II-Empfängern enthaltene Essengeld reicht nicht aus, um Kinder gesund zu ernähren. Die Leiterin der Studie, Mathilde Kersting, appelliert deshalb an die Politik, dieses schnell „zu überdenken“.
Das tägliche Essengeld beträgt für Kinder von null bis 13 Jahren 2,57 Euro, und für 14- bis 18-Jährige 3,42 Euro. Die Dortmunder Forscher haben 2004 ein Konzept für eine günstige, gesunde Mischkost namens „Optimix“ entwickelt (siehe Kasten) und anschließend Testkäufe für mehr als 80 Lebensmittel in Supermärkten getätigt.
Ihr Fazit: Nur für die Vier- bis Sechsjährigen reicht das Geld gerade aus, wenn man bei Aldi oder Lidl kauft. „Wer im normalen Supermarkt kauft, kommt aber nicht hin. Dort muss man durchschnittlich 3,86 Euro hinblättern“, sagt Kersting. Je älter die Kinder werden und je mehr sie essen müssen, desto größer klafft die finanzielle Lücke. So verzehrt ein 15-Jähriger täglich Lebensmittel im Wert von 4,68 Euro (Discounter) beziehungsweise 7,44 Euro, wenn man im Supermarkt kauft.
Dies und die Milchpreise waren Anlass für das Diakonische Werk in Hamburg, eine 20-prozentige Erhöhung der Hartz-Sätze zu fordern. Dessen Fachreferent Dirk Hauer kritisiert, dass das ganze System gar nicht darauf ausgerichtet ist, den Bedarf von Kindern abzudecken. Denn die Regelsätze orientieren sich seit der Ära-Kohl nicht mehr an den Preisen für den täglichen Bedarf (Warenkorbmodell), sondern an dem, was ein armer Mensch aus den unteren 20 Prozent der Einkommenspyramide ausgibt, was zuletzt 2003 per Stichprobe erhoben wurde. Für Kinder von null bis 13 werden davon 60 Prozent gezahlt, für 14- bis 18-Jährige 80 Prozent.
Diese Orientierung an den Armen kommt zu der absurden Situation, dass beispielsweise nur 0,04 Euro im Monat für Schuhe veranschlagt werden, weil Erwachsene selten neue kaufen. Aber Kinderfüße wachsen ständig, und der Gebrauch von zu kleinen oder benutzten Schuhen gilt als orthopädisch schädlich. Und es führt dazu, dass beispielsweise Zwölfjährige heute ein Drittel weniger Geld zum Essen haben als vor 20 Jahren.
Nun ist Hartz-IV-Gesetzgebung Bundespolitik, doch es gäbe Spielraum, auf Landesebene die Sätze an die hohen Lebenshaltungskosten anzupassen, wie es der Grünen-Politiker Kay Wolkau fordert. Möglich wäre auch, einen Fonds für Schulbedarf einzuführen, wie es gerade die Stadt Oldenburg tut.
Derweil versucht der Staatsrat der Hamburger Sozialbehörde, Dietrich Wersich, der Debatte einen anderen Dreh zu geben. „Hartz IV reicht für gesunde Ernährung“, zitierte ihn das Hamburger Abendblatt. Es sei nicht eine Frage des Geldes, ob Eltern für ihre Kinder ausgewogen kochen, sondern „der Motivation und Kompetenz“.
Der CDU-Politiker beruft sich dabei auf Fachkräfte in Eltern-Kind-Zentren und anderen Beratungsstellen: „Wenn ich die frage, ob zwei Euro mehr fürs Essen beim Kind ankommen, sagen die mir ‚Nee!‘“, sagte er zur taz.
Handlungsbedarf gebe es deshalb bei der Aufklärung: „Wir müssen den Leuten klarmachen, dass Selbstgekochtes nicht teurer ist als Fast-Food.“ Ein Ansatz, den bereits die Hamburger Tafel mit Mütterkochkursen vorantreibt.
Wersich beruft sich dabei auch auf die Verbraucherzentrale Niedersachsen, die bei acht von zehn Fertiggerichten feststellte, dass die selbstgekochte Variante billiger ist. So sei beispielsweise Pfannkuchen aus der Flasche für 1,80 Euro viermal teurer als die Zubereitung aus „Eiern, Mehl und Milch“. Unterstützung bekommt er von der früheren grünen Bundessprecherin Antje Radcke: „Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass gesunde Ernährung nicht eine Frage des Geldes, sondern der Einstellung ist“, sagt sie zur taz. „Auch Wohlhabende können sich falsch ernähren.“
Der Staatsrat bot zudem sechs Beratungsstellen als Gesprächspartner an, die seine These untermauern. Von denen waren vier urlaubsbedingt nicht zu erreichen und die übrigen widersprachen. „Es ist schwierig, mit dem Geld hinzukommen“, sagt eine Beraterin, die sich nicht namentlich äußern möchte.
„Es ist beides richtig: Wir müssen die Familien dazu bringen, sich gesund zu ernähren, und ihnen mehr Geld geben, damit sie das auch umsetzen können“, sagt Birgit Giese-Duscher vom Altonaer Gesundheitspräventionsprojekt Adebar. Als Familienhebamme erlebe sie schon, dass Mütter sich gern gesunde Lebensmittel kaufen würden, es aber nicht bezahlen könnten. Schwieriger würde es, wenn die Kinder älter werden. Giese-Duscher: „Dann gibt es nur Nudeln mit Ketchup, weil sie sich Gemüse nicht leisten können“.