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Archiv-Artikel

Bankenkrise lindert Absatzsorgen

Ein brasilianischer Schuhfabrikant leidet unter weltweiter Devisenspekulation. Doch was derzeit den Börsianern Sorgen macht, könnte ihm eine Atempause verschaffen

„Es ist bitter, wenn dein ganzes Lebenswerk auf dem Spiel steht“

DOIS IRMÃOS/BERLIN taz ■ Die weltweite Kreditkrise kennt viele Verlierer: Banken und Häuslebauer gehören dazu, aber auch Unternehmen, die Geld für Investitionen brauchen. Doch die Krise könnte, wenn sie länger anhält, auch Gewinner produzieren: zum Beispiel die Schuhfabrik von Ricardo Wirth in der Bergregion nördlich der brasilianischen Stadt Porto Alegre. Dabei haben die Arbeiter in der Serra Gaúcha vermutlich noch nicht viel von Immobilienkrise und Hedge-Fonds gehört.

Zwei Millionen Paar Schuhe stellt Wirths Fabrik jedes Jahr her – 95 Prozent davon schickt er ins Ausland. Doch auf dem Weltmarkt haben es die brasilianischen Schuhe immer schwerer. „Für ein Paar Schuhe, das wir vor einigen Jahren für 12 Dollar verkauft haben, müssen wir jetzt 18 Dollar verlangen“, sagt Fabrikant Wirth.

Dabei wird in der Schuhfabrik nicht schlechter gearbeitet als früher. Was die Ware so teuer macht, ist vor allem der steigende Real. War ein US-Dollar vor einem Jahr noch rund 2,25 Real wert, so sind es heute nur noch 1,90 Real. Um seinen Arbeitern den Lohn in Landeswährung auszahlen zu können, musste Wirth die Dollar-Verkaufspreise erhöhen. Seitdem lebt er mit der Angst: „Es ist bitter, wenn dein ganzes Lebenswerk auf dem Spiel steht“, sagt er.

Das Geld, das Wirth früher auf dem Weltmarkt verdient hat, verdienen heute andere. Denn der brasilianische Real ist nicht deswegen so teuer, weil Brasiliens Wirtschaft so stark wäre. Sondern unter anderem weil Hedge-Fonds in Brasilien mit dem so genannten Carry-Trade viel Geld verdienen können. Das Rendite-Rezept geht so: Man leihe sich fast kostenlos viel Geld, zum Beispiel in Japan. Dort liegen die Kreditzinsen bei gerade mal 1 Prozent. Dann wird das Geld transferiert, daher der Name Carry. Für das japanische Geld kaufen die Hedge-Fonds-Manager zum Beispiel brasilianische Real – um das Geld dann in Brasilien anzulegen. Das bringt derzeit rund 15 Prozent Rendite, weil die brasilianische Notenbank versucht, die Inflation durch hohe Zinsen in den Griff zu bekommen.

Erwünschter Nebeneffekt für die Spekulanten: Tauscht man große Mengen von Yen in Real, ändert sich auch der Wechselkurs. Der Yen wird billiger und der Real teurer. Insgesamt erzielen Hedge-Fonds so eine noch weit höhere Rendite. 30 Prozent und mehr sind keine Seltenheit. Wie viel Geld mit dem Carry-Trade der Hedge-Fonds um die Welt fließt, weiß keiner so genau. Experten schätzen die Summe auf 500 bis 1.000 Milliarden US-Dollar.

Darunter leidet unter anderem die brasilianische Exportindustrie, deren Produkte durch den steigenden Real auf dem Weltmarkt kaum noch zu verkaufen sind. Für Schuhfabrikant Wirth entscheidet sich in diesen Tagen, wie seine Kunden in Übersee auf die höheren Preise für die Jahreskollektion 2008 reagieren. Bei der Schuhfirma Reichert im benachbarten Campo Bom stellt sich diese Frage nicht mehr. Ihre Eigentümer meldeten vor kurzem Konkurs an.

Ausgerechnet die Kreditkrise, die ausgehend von den USA die Finanzmärkte weltweit verunsichert, könnte Exporteuren wie Wirth jetzt jedoch eine Atempause verschaffen. Devisenexperte Michael Rottmann von der Unicredit hat beobachtet: „Momentan sind die Anleger vorsichtig und steigen aus dem liquiden und relativ riskanten Währungsmarkt aus.“ In schwierigen Zeiten setzen Anleger auf sichere Anlagen, Währungsspekulationen mit Hedge-Fonds werden da unattraktiv. Finanzdienstleister berichten von einem starken Rückgang der Carry-Trades in den vergangenen Monaten. Die zu erwartende Folge laut Rottmann: Fonds kaufen weniger Real, die brasilianische Währung gibt wieder etwas nach.

Verlassen können sich die Unternehmen darauf jedoch nicht. „Das Thema Carry-Trade ist nicht vom Tisch“, sagt Rottmann. „Sobald sich die Krise wieder legt, wird das Interesse schnell wieder aufkommen.“ Entwicklungsökonomen fordern daher, das Währungssystem durch eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte zu stabilisieren.

„Die schwankenden Wechselkurse verzerren die Preise weit mehr als Zölle und Subventionen“, sagt Heiner Flassbeck, der für die UN-Wirtschaftsorganisation Unctad in Genf Entwicklungsländer berät. Da könne sich ein Unternehmer noch so sehr anstrengen, ein günstiges und innovatives Produkt auf den Markt zu bringen – wenn der Wechselkurs über Nacht um 20 Prozent steige, sei sein Produkt auf dem Weltmarkt plötzlich zu teuer. „Das widerspricht doch vollkommen der Marktwirtschaft“, so Flassbeck. „Die Hedge-Fonds gewinnen, aber die Realwirtschaft verliert.“

N.FICHTNER, G. DILGER