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Archiv-Artikel

Eines der größten Wasserkraftprojekte Afrikas

DER STAUDAMM Für Sudans Regierung ein Symbol der Modernisierung, gilt er ihren Kritikern als Zeichen der Unterdrückung

BERLIN taz | Der Merowe-Staudamm am Nil mit einer installierten Kapazität von 1.250 Megawatt ist eines der größten Wasserkraftprojekte Afrikas. Schon seit britisch-ägyptischen Kolonialzeiten gibt es die Idee, den Nil am vierten Katarakt zu stauen, um dort Strom zu erzeugen. Nachdem das Nasser-Regime in Ägypten in den 1960er Jahren flussabwärts den Assuan-Staudamm errichtet hatte, galt Merowe als Sudans nationalistische Antwort darauf.

Realisiert wurde diese aber erst nach der Jahrtausendwende, als Sudan zum Ölexporteur wurde, mit China als größtem Abnehmer. Mit rund 800 Millionen Euro Anschubfinanzierung aus dem Ausland, davon 240 Millionen aus China und der Rest aus den arabischen Golfstaaten, begann 2003 die Stauung des Nils. Der designierte Anstieg des Wasserspiegels auf 303 Meter wurde im November 2008 erreicht, im März 2009 wurden die ersten zwei Turbinen in Betrieb genommen. Seit der gigantischen Eröffnungsfeier am 1. April 2010 läuft das Wasserkraftwerk mit voller Kraft. Insgesamt hat der Bau 1,8 Milliarden Dollar gekostet.

Nach Regierungsdarstellung ist Merowe die „Perle des Nils“ und für Sudan ein Segen: Die Stromkapazität des Landes, in dem vorher 70 Prozent der Bevölkerung keinen Strom hatten, hat sich durch Merowe verdoppelt, und Mitte 2009 senkte Präsident Omar Hassan al-Bashir mit Verweis auf Merowe die Strompreise um 25 Prozent. Das Wasser aus dem Stausee sollte auch zur Bewässerung des Umlands eingesetzt werden. Der äußerste Norden des Landes blieb als einziger Landesteil friedlich, anders als der Südsudan oder Darfur, wo Bürgerkrieg herrschte.

Aus Sicht von Oppositionellen ist Merowe jedoch ein Symbol für den brutalen Umgang des sudanesischen Staates mit der Bevölkerung – ein „zweites Darfur“, wie Ali Askouri von der Menschenrechtsvereinigung Lohaf (Leadership Office of Hamdab Dam Affected People) bereits 2007 erklärte. „Während in Darfur die Regierung Hubschrauber und Luftangriffe einsetzt, um Dörfer zu entvölkern, ist die Waffe der Wahl hier das Nilwasser“, schrieb er in einem Protestschreiben gegen die Zwangsvertreibungen von 70.000 Bauern. Obwohl die Menschen um Merowe eigentlich den Staudamm guthießen, weigerten sich die Behörden, mit ihnen in Dialog zu treten.

Im April 2006 gab es Tote und Verletzte, als Milizen im Regierungsauftrag Dörfer gewaltsam räumten. Proteste und Gewalt hat es daraufhin noch mehrfach gegeben, allerdings flossen die Informationen darüber spärlich: Journalisten war der Zutritt zu dem Gebiet jahrelang verboten, die Dammbehörde war Präsident Bashir direkt unterstellt und agierte daher auch unabhängig von den lokalen Behörden. Im Jahr 2007 forderte der „UN-Sonderbeauftragte für das Recht auf Wohnraum“ einen Baustopp, nachdem das internationale Umweltbündnis „International Rivers Network“ berichtet hatte, die Umgesiedelten würden in die Wüste verfrachtet und mit dem Versprechen auf zukünftige Bewässerungsprojekte abgespeist. Im Oktober 2008 berichtete eine lokale Organisation der taz über die Situation der Umgesiedelten: „Die Lage ist sehr hart. Tausende von Menschen sind ohne Obdach, Nahrung und Gesundheitsversorgung. Die Regierung hat das Gebiet abgeriegelt.“

Neben Menschenrechtsverletzungen mahnen Kritiker auch Umweltschäden an. So werde der Damm jährlich 130 Millionen Tonnen Sediment stauen, was zur schnellen Versandung des Damms führe und die Bauern flussabwärts wichtiger Nährstoffe beraube, die sie für ihre durch Überschwemmung bewirtschafteten Felder bräuchten, warnte 2006 das internationale Forschungszentrum Eawag.

DOMINIC JOHNSON