„Bei Null anfangen“

AUSSTELLUNG Das Marcks-Haus zeigt in Zeichnungen das Verhältnis seines Patrons zum 1. Weltkrieg auf

■ 1963 in Maastricht geboren ist seit 2009 Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses.

taz: Erstmals thematisiert eine Ausstellung des Bildhauermuseums Gerhard Marcks’ Verhältnis zum Ersten Weltkrieg. War er denn kriegsbegeistert, Herr Hartog?

Arie Hartog: Am Anfang sicherlich. Aber wenn man die Briefe liest, die er seiner Frau schreibt, gewinnt man das Gefühl: Diese Begeisterung verfliegt schnell, sobald er die Praxis erlebt hat.

Marcks war als 25-Jähriger nur wenige Monate an Kampfhandlungen beteiligt. Hat ihn das nachhaltig geprägt?

Ja. Aber wenn Sie sich das Oeuvre von Marcks angucken, finden Sie kaum eine Spur des Krieges. Er hat in den Siebzigerjahren mal gesagt: Der Krieg ist so schrecklich, dass ein Künstler sich nicht anmaßen sollte, das in eine ästhetische Form zu übertragen. Die einzigen öffentlichen Kriegsdarstellungen, die es bei ihm gibt, stehen im Zusammenhang mit dem Vietnam-Krieg.

Ist der Krieg für ihn als Künstler nicht darstellbar oder ist er von ihm überfordert?

Ich glaube, dass er der Meinung war, dass er mit seiner Kunst nichts über den Krieg aussagen konnte.

Die Zeichnungen, die jetzt hier zu sehen sind, sind Skizzen, wie sie nebenbei entstehen, aus Langeweile.

Ja. So ein kleines Notizbuch wie jenes, in das Marcks zeichnete, war sicherlich auch das Maximum dessen, was die Infanterie mitnehmen konnte. Er hat dann jedes Mal eine Seite herausgerissen und seiner Frau geschickt.

Würden die auch hier im Museum hängen, wenn sie nicht von Marcks wären?

Nein. Trotzdem ist es absolut museumsreif. Es zeigt, wie ein Künstler auch unter diesen schwierigen Bedingungen immer noch versucht, seine Kunst zu machen. Und es gibt auch im Spätwerk immer noch Entwürfe, in denen er sich auf diese Zeichnungen bezieht.

Neben diesen Zeichnungen aus dem Feld gibt es solche aus dem Sanatorium, die in eine vollkommen andere Richtung weisen. Wie kommt das?

Marcks hat sich eine bestimmte Methode des Zeichnens angeeignet, mit der bis 1915 arbeitet. Danach kommt er in eine existenzielle Krise: Er ist körperlich und geistig am Ende und versucht, sich wieder hochzuarbeiten. Da entwickelt er die Haltung: Kunst muss bei Null anfangen. Also zeichnet er Blumen.

Warum kam es erst jetzt zu dieser Ausstellung?

Das hat zum einen mit der Sammlungsgeschichte zu tun – die Werke aus jener Zeit befinden sich im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Es hat aber auch mit persönlichen Gründen und eigenem Wissen um die Hintergründe zu tun. Jetzt haben wir das penibel aufgearbeitet.  Interview: Jan Zier

Bis 4. Januar, Am Wall 208