: Kein Entkommen aus den Buddenbrooks-Bildern
AUSSTELLUNG In Lübeck, der Heimatstadt Thomas Manns, wird in einer Schau das Verhältnis des Schriftstellers zur Kunst ausgelotet
VON HANS-JOST WEYANDT
Thomas Mann und die bildende Kunst: Hat da jemand gegähnt? Als ob sie noch Schlimmeres befürchteten, appellieren die Macher der gleichnamigen Lübecker Ausstellung an ihre Besucher, doch bitte die Augen aufzuhalten. Schwierig bei einem Thema, von dem nicht einmal Mann-Enthusiasten ernsthaft behaupten könnten, dass seine eingehende Betrachtung längst überfällig sei.
Fällig ist „Thomas Mann und die bildende Kunst“ einzig in der Logik der Reihung, deren Länge seit je den Klassikerrang eines Dichters taxiert: Nach Spitzenpärchen wie „Thomas Mann und Goethe“ war halt die Kunst nun dran – als lose Bekanntschaft eines Dichters, auf die er in seiner Geburtsstadt erstmals traf.
Dass ein Besuch der reich und klug gestalteten Schau dennoch lohnt, verdankt sich nicht zuletzt dem Ausstellungsort und dem Bild, in dem Lübeck sich gerade repräsentiert. Zwar finden sich Zeugnisse der Begegnungen Manns mit der Kunst leichter und vielfältiger in der kleinen Stadt als im großen Werk ihres berühmten Sohns. Doch im weihnachtlich geschmückten Lübeck wird das Interesse an den Künsten fast komplett auf die putzig plumpen Figurinen in den Schaufenstern der Konditoreien gelenkt, die über Weihnachtsmänner, Früchte und Schweinchen hinaus so ziemlich alles darstellen, was aus Marzipan formbar ist: Warum nicht gleich einen komplette „Buddenbrooks“-Welt?
Verwandlung der Stadt
Die Verwandlung Lübecks in einen nostalgischen Romanmuseumspark ist zu ahnen, wenn sie nach Einbruch der Dunkelheit blinkt und glänzt wie ein Adventsbild; während des Aufstiegs vom Ufer der Trave zur mittelalterlichen Stadtmauer, die vor dem Ausstellungsort an ihrer glanzlosen Rückseite steht, stellt sich die Frage, ob Thomas Manns Geschichte vom Verfall einer Familie übertragbar ist auf die Biografie seiner Heimatstadt. Lübeck müsste sich so in der späten Hanno-Buddenbrook-Phase befinden, wobei die kulturelle Verfeinerung, die bei Mann mit dem Niedergang korrespondiert, sich zeigte in den beiden Retro-Marken, die Lübeck seit Jahrzehnten erfolgreich für sich reklamiert.
„Buddenbrooks und Marzipan“, das ist eine Beziehung, die man gern einmal reflektiert sähe. Denn auf der leicht klebrigen und ziemlich süßen Gefühlsmasse, die das Lübecker Pärchen seit dem vergangenen Jahrhundert aus Familiengeschichte und Weihnachtsgemütlichkeit produziert, zeichnet sich in der Stadtkulisse ein sentimentales Krippenbild ab: ein protestantisches Patrizier-Bethlehem, in dessen Wiege nicht weniger als die Idee eines Erinnerungsorts für die kulturelle Identität der Republik schlummern könnte.
Er wäre durch das Lübecker Nobelpreisträgertrio Mann, Brandt, Grass vielleicht nicht genauso auratisch besetzt wie das thüringische Weimar durch Goethe und Schiller, vereinigte jedoch konsensfähig bürgerliche und sozialdemokratische Traditionen, behütet unter dem Dach der Lübecker Museen und geschützt von der fördernden Hand des Bundes. Die bevorzugte Stellung Lübecks bei der Mittelvergabe ihres Hauses betonte Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) zur Eröffnung der Ausstellung nachdrücklich.
Das Museum befindet sich in direkter Nachbarschaft zum Brandt-Haus, auch das Grass-Haus steht um die Ecke, und der großzügige Bau repräsentiert den einstigen Patrizierstolz hanseatischer Kaufleute weitaus nobler als das sogenannte Buddenbrookhaus im Schatten der Marienkirche. An das er jedoch irritierend erinnert, seit Heinrich Breloer hier Szenen für seine „Buddenbrooks“-Adaption gedreht hat.
Es scheint, glaubt man manchmal in Lübeck, kein Entkommen aus den Bildern des Jahrhundertromans zu geben, dessen Wirkung das komplette Folgewerk Manns genauso bestimmte, wie Lübeck sich seine kulturelle Positionierung von einer romanfiktionalen Vergangenheit bestimmen lässt. So entstehen Mythen, und der Gedanke, die Buddenbrooks hätten einmal in dem gleichnamigen Haus gewohnt, klingt nicht mehr abstrus.
Wer jedoch den Eröffnungsraum der Ausstellung betritt, wird schlagartig befreit von aller reinszenierten Hansegemütlichkeit, und weil man dabei den Blick des jungen Thomas Mann einnimmt, der erstmals in die großbürgerliche Lebenswelt der Familie Pringsheim vorgelassen wird, geht diese Befreiung mit einer kulturellen Erschütterung einher. Drei Wandfriese von Hans Thoma behaupten bildsprachliche Autorität in einer optischen Opulenz, die Manns Vorstellung vom südlichen München als einem üppig barocken Gegenpol zur protestantisch-gotischen Strenge des Nordens prägen sollte, und dieser Tonio-Kröger-Gegensatz, dem die Ausstellung folgt, ist auf Thomas Gemälden präfiguriert. Ein geharnischter Ritter unter düsteren Wolken führt linker Hand in die verwinkelte Provinzenge Lübecks, und halb entblößte Jünglinge unter antiker Sonne weisen in die kulturbürgerliche Weltläufigkeit mitsamt ihren erotischen Verheißungen. Natürlich lässt sich dieser Gegensatz so wenig stringent durchhalten, wie er für Manns Biografie funktionierte. Ein Blick in sein Arbeitszimmer offenbart, wie der „Zauberer“ die Widersprüche versinnbildlichte, mit denen er zu leben hatte.
Sittliche Arbeitspflicht
Schaute er auf von seinem Manuskript, das ein Foto seiner Frau Katia behütete, fiel sein Blick auf jene drei nackten Jünglinge, die Ludwig von Hofmann auf seinem Gemälde „Die Quelle“ posieren ließ. Doch wie um die Gefahr zu bannen, im voyeuristischen Ergötzen verloren zu gehen, wachte eine Kopie des berühmten Savonarola-Porträts von Frau Bartolommeo über die Einhaltung der sittlichen Arbeitspflicht. Das Hofmanngemälde mag durchaus als gehobener Schwulenkitsch durchgehen, der allerdings nicht so verbrämt daherkommt wie die Schwärmerei Manns, der „eine hohe, neue, festliche Menschlichkeit“ in den Knabenbildern des Malers zu erblicken behauptete. Aber Mann hat nie behauptet, ein Kunstkenner zu sein, und auch wenn die Ausstellungsmacher vorsichtig seine Selbsteinschätzung, ein „skandalös“ ungebildetes Verhältnis zur Malerei zu haben, zu korrigieren versuchen, darf man schon der Behauptung Manns glauben, dass ein Bild, das „großen Eindruck“ auf ihn machte, „malerisch nicht fünf Pfennig wert“ sein mochte.
Weit gewinnträchtiger war Manns Ausbeutung der Malerei als Material für detaillierte Beschreibungen wie den Großvater Hans Castorps im „Zauberberg“ nach Max Liebermanns Bildnis des Bürgermeisters Petersen. Und ihren Mehrwert erzielt die Ausstellung ohnehin, wenn sie das Verhältnis Manns zur Kunst in einen lebensweltlichen Kontext überführt. Dabei verliert der „Zauberer“ zwar Magie, darf dafür aber endlich ein Bürger sein, der im Lauf seines Lebens mit allerlei Kunst in Berührung kommt. Die Manns hatten eine schleichende Raubkatze auf dem Buffet, ein paar traurige Clowns an der Wand, und sie gönnten sich den Blick auf junge entblößte Körper, wobei die Tänzerinnen im Boudoir den nämlichen drei Knaben weichen mussten, die Clowns die Pringsheimkinder auf Friedrich August von Kaulbachs berühmtem „Kinderkarneval“ waren, darunter auch Katia, und die Raubkatze eines „Anschleichenden Panthers“ beeindruckte, von dem Lübecker Bildhauer Fritz Behn. Fast vergessen am Ende dieser Schau, die seine Hauptfigur etwas befreit von der Universalkompetenz eines Klassikers und der Pflicht, immer der berühmte Sohn Lübecks sein zu müssen. Die Marzipanisierung Manns kann warten.
■ „Augen auf! Thomas Mann und die bildende Kunst“. Behnhaus & Buddenbrook-Haus Lübeck, bis 6. Januar