: Touristen schossen Erinnerungsfotos
WEIHNACHTSGESCHICHTE Gott hat die Dinge so was von gar nicht mehr im Griff! Das Kind von Maria aber wird trotzdem geboren, ein Esel, ein komisches Wollschwein und ein Zwergkaninchen schauen zu
VON ULI HANNEMANN
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot vom Bundesinnenministerium ausging, dass alle Asylbewerber auf ihren Aufenthaltsstatus hin geschätzt würden. Das betraf auch Maria und Joseph, die man mit falschen Versprechungen aus ihrer Unterkunft in der Kreuzberger Gerhard-Hauptmann-Schule gelockt und dann einfach auf der Straße hatte stehen lassen. Nun hatten sie den Salat, denn Maria war schwanger.
Aber nicht von Joseph, ihrem Mann. Denn Gott, der die Dinge so was von gar nicht mehr im Griff hatte, hatte noch in der Schule den Heiligen Geist zu Maria gesandt, um sich nach der Lage der Familien dort zu erkundigen. Damit machte er eine tollwütige Wühlmaus zum Gärtner.
Eine tickende Zeitbombe
Schließlich war der Heilige Geist nur allzu bekannt dafür, dass er aggressiv wurde, wenn er trank. Und wenn er nüchtern war, wurde er noch aggressiver. Er war zwar schon mehrmals im Urban-Krankenhaus gewesen, um zu entziehen und sich medikamentös einstellen zu lassen, doch die Halbwertszeit seiner Ruhigstellung glich der einer tickenden Zeitbombe. Die er ja auch war.
Dass so jemand als angeblicher Sozialarbeiter überhaupt nur in die Nähe traumatisierter Flüchtlinge gelassen wurde, war bezeichnend für die Fahrlässigkeit der zuständigen Behörde. Maria hatte einfach Angst gehabt. Ja, sie hatte stillgehalten. Nein, so galt es nach deutschem Recht nicht als Vergewaltigung und der Heilige Geist lachte sich ins Flügelchen.
Überdies hätten Polizei und Gerichte selbst einer nach billigem Sprit stinkenden, zwei Meter großen weißen Taube mehr Glauben geschenkt als einer schwarzen Frau. Zum Glück hielt Joseph zu ihr. Wenigstens das sollte eigentlich selbstverständlich sein, war es aber nicht. Die Welt ist eben nicht nur zu Weihnachten Kacke.
Und nun konnten sie noch nicht einmal mehr in die Gerhard-Hauptmann-Schule zurück. Trotz der schlechten Erinnerungen, die mit dem Ort verknüpft waren, wäre es dort wenigstens warm gewesen. Aber Innensenator Herodes hatte sie beschissen. Der Taschenspielertrick eines typischen Anzugtäters. „Ich bin ein Ehrenmann“, hatte er während der Verhandlungen betont und dass er sie fair schätzen würde („verschätzen, gnihihi“, dachte er bei sich und rieb sich verschmitzt die Hände).
Die Flüchtlinge, die noch nicht so super Deutsch konnten, hatten sich darauf verlassen. Nie hätten sie damit gerechnet, dass ein mitteleuropäischer Politiker in punkto Seriosität denselben Stil pflegte wie der irre zentralafrikanische Diktator, vor dem sie doch getürmt waren: Diese Chuzpe irgendwo zwischen unterbelichtetem Kleinkriminellen und schlecht erzogenem Vorpubertärem, die mit einer dummdreisten Häme vertreten wurde, die zum Lachen gewesen wäre, wäre sie mit so viel Macht verbunden nicht so traurig. So aber machte sie das Verhalten des Politikers einfach nur sprachlos.
Ihr Aufenthaltsstatus wurde nicht geschätzt. Sie wurden nicht geschätzt. Sie konnten sehen, wo sie blieben.
Das war nun der Stall des Kinderbauernhofs im Görlitzer Park. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass Maria gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe aus dem Container, in den die Mitarbeiter von MäcGeiz immer die abgelaufenen Ein-Euro-Artikel warfen.
Sie hatten es tatsächlich ganz allein geschafft. Ohne Hebamme und ohne jede medizinische Betreuung. Nur Esel, komisches Wollschwein, Hahn und Zwergkaninchen hatten zugeschaut und dabei nicht schlecht gestaunt: Boah, voll das Blut.
Sie hatten zwar den Geburtsvorbereitungskurs mitgemacht, aber eine authentische Atmosphäre lässt sich nun mal schwerlich simulieren. Die werdende Mutter hechelte. „Atmen“, flehte Joseph, „I-Ahtmen“, schrie der Esel. Als dann auch noch die Nachgeburt das Licht der Welt erblickte, wandte sich das Zwergkaninchen überfordert ab: Es hatte genug gesehen.
Die Dealer auf dem Feld
Es waren aber Dealer auf dem Feld. Die hatten nachts herzlich wenig zu tun, bis ein Käufer zu ihnen trat und sagte: „Fürchtet euch nicht. Ich will nur Gras für nen Zwanni. Und hier noch ein Ausflugstipp: Guckt mal zum Kinderbauernhof. Da geht ja dermaßen die Post ab – das müsst ihr gesehen haben.“
Daraufhin eilten sie zum Kinderbauernhof, brachen die Stalltür auf und sahen eine stolze Mutter, einen hilflosen Vater, ein Kind in der Krippe und im Hintergrund ein kotzendes Kaninchen. Gerührt wurden sie der Größe des Augenblicks gewahr und huldigten dem Kinde und seinen Eltern. Sogar drei im Szenejargon als „Könige aus dem Morgenland“ bekannte Hintermänner schneiten, von einem schillernden Stern in ihrer Wahnvorstellung geleitet, vorbei und brachten Sachspenden, bis die Hütte voller „Weihrauch“ war und alle lachten.
Es wurden dann ein paar okaye Tage. Die bürgerlichen Eltern der Kinder, die den Streichelzoo besuchten, schenkten in einer postlinksliberalen Regung dem kleinen Jungen Holzspielzeug und Biobananen. Anwohner lieferten Kleidung und Essen, Touristen schossen Erinnerungsfotos. Selbst Gott ließ sich kurz blicken und machte eigene Versprechungen. Arbeitserlaubnis, Aufhebung der Residenzpflicht, nochmaliges Schätzen. Blablabla.
Nach einer Woche und diversen Presseartikeln bekamen leider auch die Häscher des Herodes Wind von der Sache. Mit einer langen Liste von Fantasieverstößen in der Tasche, von A wie Asylerschleichung bis Z wie Zuwiderhandlung gegen das Tierschutzgesetz, verließen sie eilfertig den Palast in der Klosterstraße. Wieder mussten die Geplagten ihre wenigen Habseligkeiten packen und aufs Neue fliehen.
Gott trug natürlich ein gerüttelt Maß Schuld an diesem Dilemma, doch er hatte zugegebenermaßen keinen leichten Job. Das interessierte allerdings noch nicht mal das komische Wollschwein. So nahm es wenig Wunder, dass ein paar linke Machos in Gottes Abwesenheit im Himmel vorbeischauten, die Wolken mit Parolen beschmierten und ihm leere Umzugskartons vor die Himmelspforte stellten.
Aber wo hätte er denn hinsollen: in die Hölle? Nach Marzahn? Da wohnte doch schon der Teufel. Wie wenig dienlich die Aktion der Sache war, zeigte sich spätestens am Dreikönigstag, als die heilige Familie abgeschoben wurde.