: Viel Wut und wenig Hoffnung
IRAK Christliche und jesidische Flüchtlinge aus dem Sindschar-Gebirge harren in behelfsmäßigen Lagern aus. Manche können sich ein Zusammenleben mit ihren arabischen Nachbarn nicht mehr vorstellen
AUS ERBIL BENJAMIN HILLER
Asthi 189: Hinter diesem Akronym verbirgt sich die neue Heimat von 500 assyrischen Christen, die im August vor dem Vormarsch der Radikalislamisten des „Islamischen Staates“ (IS) in Richtung des kurdischen Autonomiegebiets im Nordirak geflohen sind. Viele von ihnen lebten lange in verlassenen Gebäuden oder auf den Straßen in der Stadt Erbil. Nach und nach werden nun notdürftig Flüchtlingslager errichtet. Ashti 189 liegt im christlich geprägten Viertel Ankawa, direkt neben einer Müllkippe und einem Abwassergraben.
Walid, aus der Hamdanyia-Provinz bei Mossul geflohen, versucht seine Wut gar nicht erst zu verbergen: „Es wurde uns Essen versprochen, aber seit wir angekommen sind, wurde fast gar nichts geliefert. Die meiste von uns müssen sich das Essen irgendwie selber kaufen.“ Ärger und Ohnmachtsgefühl sind von Walids Gesicht abzulesen. „Es gibt keinen Strom, um die Container mit Lampen auszustatten, und sobald die Sonne untergeht, sitzen wir in totaler Finsternis.“
Ein Teil der Container wurde in einer alten Fabrikhalle aufgestellt – nicht einmal Sonnenstrahlen können die Dunkelheit im Innern durchdringen. Dabei zählt das Lager zu den besseren in der Region. Dennoch sind die Mängel offensichtlich.
Andere Einwohner bestätigen Walids Frustration: „Viele Mitarbeiter von christlichen Hilfsorganisationen aus den USA und Europa haben uns schon besucht und viel versprochen. Doch getan hat sich gar nichts!“ Eine ältere Frau fügt hinzu, dass sie jede Hoffnung verloren habe.
Einige der Flüchtlinge werfen auch der kurdischen Regionalregierung (KRG) Versagen vor. Doch Bestun Khald, Vorsitzender der Kurdischen Studentenunion in Ankawa, legt die Position deren Position dar: „Wir versuchen unser Bestmöglichstes, um den Menschen zu helfen. Das Hauptproblem ist aber die Regierung in Bagdad. Die Menschen sind aus einer Region geflohen, die nominell zu deren Geltungsbereich gehört. Entsprechend erwarten wir, dass Bagdad die Gelder, welche für diese Regionen vorgesehen waren, nach Kurdistan schickt, damit wir den Menschen helfen können. Doch Bagdad weigert sich – wie sie sowieso fast alle Gelder für Kurdistan zurückhalten.“ Manche Analysten gehen noch weiter und behaupten, dass staatliche Gelder noch immer zu den Angestellten in dem von dem IS kontrollierten Mossul geschickt werden. Eine Überprüfung dieser Anschuldigungen ist kaum möglich.
Einige Fahrtstunden entfernt, in den syrisch-kurdischen Gebieten Rojavas (Westkurdistan), leben noch immer Hunderte von Jesiden. Sie sind Anfang August vor dem IS aus der Bergregion Sindschar geflohen, nachdem die PKK-nahe Syrisch-Kurdische Miliz YPG einen Korridor freikämpfen konnte. Die Situation im Newroz-Camp ist wesentlich schlechter als in Asthi 189, dennoch begrüßen die Flüchtlinge den Gast mit Süßigkeiten und Offenheit. Das Lager liegt in Sichtweite von Derik (al-Malikiyah) und besteht aus Zelten, zwischen denen schlammige Wege verlaufen.
Abd Alhakim Hadji ist für das Camp zuständig: „Am Anfang waren hier mehrere zehntausend Jesiden untergebracht, doch die meisten sind nach Irakisch-Kurdistan gegangen. Entsprechend hat die Hilfe der internationalen Organisationen dramatisch nachgelassen.“ Insbesondere das Trinkwasser stellt ein Problem dar, Krankheiten sind schon ausgebrochen und werden im Winter wohl zunehmen. Saher, ein Junge aus dem Camp, möchte gerne wieder zur Schule gehen. Doch die von der UNHCR versprochene Einrichtung ist geschlossen. Sein Vater Salem Khalef ist dennoch dankbar bezüglich der Hilfe: „Wir sind einfach nur froh, dass wir noch leben und hier in Sicherheit sind.“ Am Ende des Gesprächs erklärt er leise, aber bestimmt sein Hauptanliegen: „Eins wird für die Zukunft aber klar sein. Wir werden nicht mehr mit unseren arabischen Nachbarn zusammenleben können. Sie haben uns, zusammen mit den Islamisten, ausgeraubt, unsere Frauen vergewaltigt und uns getötet. Entweder wir oder sie.“