piwik no script img

Archiv-Artikel

Nachts am Eck

In der Nacht vom 4. August sind drei Punks am Sielwall-Eck von der Polizei vorläufig festgenommen worden. Mit „Schwuchtel“ und „Du stinkst“ und viel Polizeigewalt. Warum, sagt ihnen niemand

von Klaus Wolschner

Emil, der eigentlich anders heißt, aber aus Angst vor der Polizei seinen richtigen Namen nicht nennen möchte, ist ein Punk. Wäre er das nicht, oder besser, sähe er nicht so aus wie einer, dann hätte er in der Nacht des 4. August wohl einfach aus der Straßenbahn steigen können. So aber landete er auf der Wache, wo ihn Polizisten misshandelten – verbal und körperlich, wie er sagt.

Der Reihe nach: Emil verlässt am Sielwall die Linie 10. Eine Gruppe Punks rennt ihm entgegen, verfolgt von Polizisten. Emil rennt mit. „Ich dachte, da ist was los“, erklärt er sein reflexhaftes Verhalten. Ob es ihm etwas geholfen hätte, wenn er stehen geblieben wäre – man weiß es nicht. So wurde er plötzlich zu Boden gedrückt, „brutal“, sagt er und glaubt, dass es vier Polizisten waren. „Mir wurden Handfesseln angelegt, ich wurde über den Bordstein geschleift“, erzählt er, von Letzterem will er eine große Schürfwunde am Knie davongetragen haben. Einer der Männer habe sich auf ihn draufgesetzt, „der hat mir fast die Luft abgedrückt“. Der junge Mann erinnert sich an pausenlose Beleidigungen. „Dass ich stinke und so.“ Er lag auf dem Boden, Gesicht nach unten, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Zehn Minuten, zwanzig Minuten, vielleicht länger. Das Knie des Polizeibeamten auf dem Rücken. „Ich hatte mehrfach Probleme, zu atmen.“ Er fragte, was der Grund sei. „Halt die Schnauze“, habe er darauf zu hören bekommen. Die Ärzte im Krankenhaus haben später wegen der Wunden im Gesicht vorsichtshalber den Kopf geröntgt.

Mit Emil wurde ein zweiter Punk in Gewahrsam genommen, er ist schmächtig. Er berichtet von derselben Prozedur. Auch er sei auf den Boden geworfen worden, bekam ein Knie in den Nacken. Hat er versucht, sich zu wehren? „Wie denn? Das waren drei oder vier Leute über mir.“ Schimpfwörter wie „Schwuchtel“ und „Du stinkst“ musste auch er sich anhören. Über den Anlass der Polizeiaktion weiß er nichts. Für ihn ist es eine Willkür-Aktion. „Voll übertriebene Härte“, sagt er. Als sie nach eine halbe Stunde auf der Wache am Wall freigelassen wurden, hätten sie andere Beamte nach dem Grund für die Festnahme gefragt. Doch die wollten damit nichts zu tun haben.

Im Polizeibericht, den die beiden bekommen haben, wird eine Frau als Zeugin benannt. Die bestätigt, was die beiden Männer erzählen und schildert, was davor geschehen war. „Vor dem Callshop war eine Gruppe junger Leute in eine Diskussion mit zwei Streifenbeamten verwickelt“, sie sei dort hingegangen. „Ein Beamter mit Glatzkopf fiel mir durch sein besonders aggressives Verhalten auf. Immer wieder schubste und schlug er wahllos in die Menschentraube. Es gab Rangeleien.“ Als mehrere Polizeifahrzeuge am Eck eintrafen, habe sie sich zurückgezogen. Plötzlich habe sich der glatzköpfige Beamte vor ihr aufgebaut, ihre Personalien kontrolliert und gesagt: „Du kommst jetzt mit.“ Auf ihre Frage, was ihr vorgeworfen würde, habe er geantwortet: „Das wirst Du noch sehen. Du warst doch dabei.“ Wobei, erfuhr sie nicht. Passanten, die dieselbe Frage stellten, seien barsch mit den Worten weggeschickt worden: „Geh’ zehn Meter weiter, sonst nehmen wir dich auch mit.“ Sie wurde in einen Polizeiwagen gesetzt, die Hände auf dem Rücken fixiert. Sie habe Sprüche zu hören gekriegt wie: „Halt’s Maul, du Zecke“ und: „Du fällst heute noch die Treppe runter.“ Vielleicht eine halbe Stunde habe sie im Polizeiwagen so gesessen. Gegen 2 Uhr nachts wurde sie dann an der Humboldtstraße laufen gelassen. Zum Abschied habe, erinnert sie sich, der glatzköpfige Beamte zu ihr gesagt: „Wir sehen uns noch mal, wenn ich nicht im Dienst bin, und dann schlag ich dir deinen nutzlosen Kopf von deinem nutzlosen Körper.“ Polizeieinsätze am Eck habe sie schon oft erlebt, aber nicht in dieser Brutalität. „Es war noch nie so, dass die richtig Bock hatten, auf uns loszugehen.“

Inzwischen hat sie Post von der Polizei bekommen – eine Vorladung zur Zeugenaussage. Sie soll etwas aussagen über Widerstand gegen die Staatsgewalt unbekannt gebliebener Täter. Damit sind nicht die beiden jungen Männer gemeint, die ebenfalls im Gewahrsam saßen, sagt die Polizeipressestelle, sie werden in den Polizeiakten nur als „Zeugen“ geführt.

Die Polizei kann auch der Presse nicht erklären, was der Anlass des Polizeieinsatzes gewesen ist. Ein Mann habe der Streife mitgeteilt, es gebe eine Prügelei unter Punks, sagt der Sprecher. Die beiden Beamten seien zum Sielwall gefahren, hätten dort nichts davon gesehen, nur eben eine Reihe von Punks. Bei dem Versuch, die Personalien festzustellen, sei es zu „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ gekommen. Da hätten sie Verstärkung angefordert und drei Personen festgenommen. Den Festgenommenen werde aber kein Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen. Wer der Polizei den Hinweis auf die angebliche Prügelei gegeben habe, sei unbekannt – man habe weder einen Namen noch eine Telefonnummer von ihm notiert.