Ortstermin am Hindukusch

Fraktionschef Struck ist es leid, dass viele SPDler den Afghanistan-Einsatz kritisieren – und lädt zu einer Reise ein

BERLIN taz ■ Wenn Mechthild Rawert an übernächste Woche denkt, dann hat sie „schon ein bisschen ein mulmiges Gefühl“. Am 28. August wird sie ins Flugzeug steigen, zusammen mit drei Kollegen aus der SPD-Fraktion. Die Reise geht nach Afghanistan. „Als es nach einer Sondersitzung plötzlich hieß, wer fährt mit und schaut sich die Situation vor Ort an – da habe ich spontan die Hand gehoben“, erzählt die 49-jährige Abgeordnete aus Berlin. „Aber ich weiß nicht, ob ich das heute, nach den Entführungen, noch tun würde.“

Zu dem Trip an den Hindukusch hat SPD-Fraktionschef Peter Struck Ende Juni aufgerufen. Struck, ein leidenschaftlicher Verfechter des Bundeswehr-Einsatzes („Deutschland wird am Hindukusch verteidigt“), ist das Zögern und Zaudern einiger Genossen leid. Im März hatte ein Drittel der SPD-Fraktion gegen den Tornado-Einsatz in Afghanistan gestimmt.

Seitdem ebben die Stimmen nicht ab, die das militärische Engagement der Bundeswehr in Frage stellen. Vor allem die Teilnahme an der Antiterrormission OEF ist umstritten. Kurzerhand lud Struck daher alle Zweifler ein, selbst einmal nach Afghanistan zu fliegen.

In der zweiten Oktoberwoche stimmt der Bundestag über die Verlängerung der Afghanistanmandate ab. Struck, als ehemaliger Verteidigungsminister ein Kenner der Materie, will ein Debakel wie im März verhindern.

„Ich habe mir gesagt: Wenn es die Chance gibt, sich vor dieser immens wichtigen Abstimmung im Herbst ein Bild zu machen, dann nutze ich sie“, sagt Rawert. Die SPDlerin, sonst überwiegend mit Gesundheitspolitik beschäftigt, hat 2006 für die Verlängerung des OEF-Mandats gestimmt, aber im März dann gegen die Tornado-Entsendung. Für die kommende Abstimmung will sich die Abgeordnete noch nicht festlegen: „Die Reise dient ganz dezidiert der Vorbereitung meiner Entscheidung.“

So entschlossen wie Rawert zeigten sich nur wenige SPDler. Weniger als zehn von insgesamt 222 Abgeordneten wollen die Chance einer Vor-Ort-Besichtigung in zwei Reisegruppen nutzen. Es sei einfach schwierig, so kurzfristig für alle einen Termin zu finden, heißt es aus dem zuständigen SPD-Büro. In einigen Bundesländern sind die Schulferien noch nicht zu Ende. „Der Familienurlaub wird dafür nicht abgesagt“, sagt beispielsweise Ernst Dieter Rossmann, Sprecher der parlamentarischen Linken, der sonst „auf jeden Fall Interesse an der Reise“ gehabt hätte. „Viele von uns sagen ihre Teilnahme an Veranstaltungen schon Monate im Voraus zu. Da hat man auch Verpflichtungen“, verteidigt Rawert ihre Kollegen. Im übrigen sei so eine Reise ja auch „nicht so ganz ohne“.

Ihr Mitreisender Christoph Strässer sieht das anders: „Man muss, wenn man vor so einer schwierigen Entscheidung steht, solche Chancen wahrnehmen. Für mich war das selbstverständlich“, sagt Strässer, der in der Fraktion für Menschenrechte zuständig ist.

Neben Rawert und Strässer steht Gerd Höfer auf der Liste der Reisenden. Anders als seine Kollegen ist der Abgeordnete aus Hessen vom Fach. Er sitzt im Verteidigungsausschuss: „Für mich ist das daher auch keine Überzeugungsreise“, sagt Höfer. Er will sich vielmehr vor Ort über den neuesten Stand der Dinge informieren. Vom Sinn der Bundeswehrarbeit ist er überzeugt, er stimmte bisher im Bundestag jedes Mal mit „ja“. Für ihn stellt sich eher die Frage, wie man künftig mit der Trennung der Mandate umgehen soll. Die Unterscheidung in einen „guten“ Isaf- und einen „bösen“ OEF-Einsatz mache keinen Sinn mehr. De facto seien die beiden Mandate nicht mehr zu trennen – eine Einschätzung, die führende Bundeswehrleute vor Ort teilen.

Ob und wie der Kurztrip zum Hindukusch die Genossen beeinflusst, wird sich am 21. September zeigen: Dann soll die Bundestagsabstimmung in einer Sonderklausur vorbereitet werden. Struck hätte seine Leute gerne stramm auf Linie. Doch letztlich gilt die Abstimmung als Gewissensentscheidung.“

KATHARINA KOUFEN