: „Wir sind der letzte Grashalm“
Klaus Riedel (65) ist der Stachel im Fleisch der baden-württembergischen Genossen. Der Fraktionschef der Waiblinger SPD führt die Gruppe „SPD gegen S 21“ an, die seit Monaten versucht, die Parteispitze von ihrem Betonkurs abzubringen. Bisher erfolglos. Ein Gespräch mit Nils Schmid hat daran nichts geändert, die groteske Beschwörung von Gottes Segen für S 21 von Claus Schmiedel schlimme Befürchtungen nur verstärkt. Riedels Fazit lautet: „Dieser Weg wird uns in eine katastrophale Situation bringen“
Austreten Claus Schmiedel scheint einer etwas nachlässigen Skizze von Melville entsprungen zu sein: einbeinige Argumente und auf der bedingungslosen Jagd nach dem (weil es nur der Entwurf ist) Silvesterkarpfen mitten im August, den er für einen Koi hält. Prost. Oder: „Bring mir mal ’ne Flasche Bier.“ – Dummer August der CDU. Armer Klaus Riedel & die anderen. Müssen mit ansehen, wie die röchelnde Alte Tante von diesen Leuten weiter auf den Strich geschickt wird zum Anschaffen. Das hat schon Hermann Scheer das Herz gebrochen. Austreten! Das rote Licht in entsprechendem Bezirk sollte man nicht mit den ursprünglichen Idealen der Sozialdemokratie verwechseln; das ist möglicherweise ein letztlich tödlicher Irrtum. In jeder Hinsicht. canislauscher
Aufstehen Meine Hoffnung, dass es in der SPD noch mehr denkende Menschen wie Klaus Riedel gibt, noch nicht aufgegeben! Ich hoffe mit ihm, dass endlich die SPD-Basis aufsteht und den zwei Betonköpfen Nils Schmid und Claus Schmiedel zeigt, wer in der SPD das Sagen hat. gerd_47
Interview von Susanne Stiefel und Josef-Otto Freudenreich
? Herr Riedel, Ihr Spitzengenosse Schmiedel sieht Gottes Segen auf S 21 liegen. Jetzt ist die SPD auch noch fromm geworden.
Dazu fällt mir nichts mehr ein.
Aber Sie könnten jetzt zu den „Guten“ zählen, wenn Sie dem Fraktionschef zustimmen würden.
Ich will hier keine historischen Vergleiche à la Geißler ziehen. Aber die Aussage von Schmiedel, seine vier Kinder würden einmal Europa mit dem Zug befahren und sagen: Unser Papa war dabei, und wir sind stolz, dass er dabei war und mitgeholfen hat, das ist für mich grenzwertig. Ich befürchte eher, dass sie ihren Papa fragen werden, was habt ihr damals für einen Wahnsinn gemacht? Sie werden die Folgen dieses Unsinnsprojekts ertragen müssen, nicht die, die es zu verantworten haben. Die sind dann alle weg.
Können Sie uns als alter Sozialdemokrat sagen, was Leute wie Schmiedel treibt?
Ich weiß es nicht. Darüber denken wir ständig nach und haben keine Antwort darauf. Ich weiß nur, dass uns dieser Weg in eine katastrophale Situation führen wird. Wir befinden uns in der größten Finanzkrise, die noch schlimmer werden wird, und die SPD stimmt dafür, Milliarden in einem Tiefbahnhof zu vergraben. Für die Partei bedeutet es, dass es weitere Austritte geben und ihre Glaubwürdigkeit weiter in den Keller fahren wird.
Die Antwort der SPD-Spitze kennen Sie: Das Ja zu S 21 ist von drei Landesparteitagen abgesegnet, also demokratisch legitimiert.
Es geht nicht darum, demokratisch gefasste Beschlüsse in Frage zu stellen. Dort haben die Delegierten allerdings nicht in Kenntnis der tatsächlichen Fakten entschieden. Und die SPD-Basis kann dagegen opponieren, soviel sie will, und wird nicht gehört. Die SPD war immer am stärksten, wenn sie knallhart diskutiert und am Ende eine einheitliche Linie gefunden hat. Die innerparteiliche Willensbildung muss doch von unten nach oben gehen. Das findet schon lange nicht mehr statt. Übrigens nicht nur bei der SPD. Es kann nicht sein, dass ein kleiner Zirkel über Zukunftsfragen entscheidet, die Auswirkungen auf Generationen haben. Wenn diese Kluft zwischen Führung und Basis immer größer wird, dann sorge ich mich um die Existenz der Parteien.
Wenn man Genossen wie Schmiedel zuhört, scheinen Sie diese Sorge ziemlich exklusiv zu haben.
Vielleicht hat er noch keine Wahlveranstaltung erlebt, zu der gerade mal fünf Bürger gekommen sind. Da erleben Sie Frustration pur. Ich habe die SPD noch mit einer Million Mitglieder erlebt, jetzt sind es plus/minus 500.000. Stattdessen steht Schmiedel als SPD-Vertreter auf einer Bühne mit dem CDU-Generalsekretär Strobl und dem CDU-Abgeordneten Kaufmann, der erklärt, die Volksabstimmung sei Nonsens. Wenn ich mich richtig erinnere, hat Nils Schmid gesagt, die Volksabstimmung sei wichtig für den inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft. Die Partei müsse eine Brücke bauen zwischen den Lagern, anstatt diese immer weiter zu spalten. Warum macht die SPD dazu keine eigene Veranstaltung? Dort sollen sie sich hinstellen und ihr Projekt verteidigen, verdammt und zugenäht.
Ihre Truppe „SPD gegen S 21“ scheint da noch viel Überzeugungsarbeit leisten zu müssen. Oder anders gesagt: Sie wird in der Parteizentrale als wild gewordene Randgruppe wahrgenommen.
Das wäre eine fatale Fehleinschätzung. Wir haben 360 SPD-Mitglieder, die sich öffentlich gegen S 21 bekennen, in der Mehrheit Mandats- und Funktionsträger auf kommunaler Ebene. Also Kreisräte, Gemeinde- und Ortschaftsräte und Vorstandsmitglieder. Für sie ist unser Bündnis der letzte Grashalm, und ich sage bewusst Grashalm, an dem sie sich festhalten, bevor sie austreten. Wenn die keinen Wahlkampf mehr für die SPD machen, sind viele Stände verwaist, viele Plakate nicht geklebt. Darüber hinaus gibt es eine viel größere Gruppe, die ebenfalls gegen S 21 ist, aber sich nicht öffentlich bekennt. Warum das so ist, weiß ich nicht. Vielleicht ist es einfach nur Trägheit.
Oder Angst vor Prügel …
Es nützt nichts, hinter vorgehaltener Hand zu sagen: Ich bin auch dagegen. Sie müssen es offen sagen, sonst geht die SPD vor die Hunde. Schlicht und einfach.
Das klingt ziemlich apokalyptisch.
Warum haben wir denn immer noch keine Analyse der letzten Wahl, die wir mit dem schlechtesten Ergebnis abgeschlossen haben, das wir je gehabt haben? Das Verliebtsein ins Regieren löst das Problem nicht.
Sie kommen gerade von einem Regierenden, von Ihrem Vorsitzenden Nils Schmid, den Sie lange erfolglos um einen Termin gebeten haben. Haben Sie sich verstanden?
Immerhin hat er sich statt der vereinbarten halben Stunde 50 Minuten Zeit genommen. Das Gespräch war offen und gut, und ich habe den Eindruck, es hat ihn nachdenklich gestimmt. Wir haben ihm einfach klargemacht, was auf ihn zukommt. Als Finanzminister. Was sein wird, wenn die Kosten für S 21 in den nächsten drei, vier Jahren steigen und er mit dem Geburtsfehler des Finanzierungsvertrags leben muss, der keine Regelung enthält, wer die Mehrkosten bezahlt. Was ist denn, wenn die Bahn erklärt, das wird uns zu teuer, Ruinen in der Gegend rumstehen und die Politik handeln muss? Dann will ich den Sozialdemokraten in der Regierung sehen, der aussteigt. Dann geht das bestgeplante Bauprojekt Europas mit der SPD heim. Nicht mit den Grünen. Die werden sagen: Wir haben es ja schon immer gewusst.
Und – haben Sie Schmid beeindruckt?
Wie gesagt, es hat ihn nachdenklich gestimmt. Andererseits hat er eben auf die Regelung mit der Bahn abgehoben, die da heißt: 4,5 Milliarden Euro und keinen Cent mehr. Das scheint mir, bei oben genannter Vertragslage, waghalsig zu sein. Soweit ich informiert bin, hat die Landesregierung bis heute nichts Schriftliches von der Bahn in der Hand, das die Frage der Mehrkosten klärt.
Wie will sich Schmid zur Volksabstimmung verhalten?
Natürlich haben wir ihn gefragt, wie sich die SPD die Kampagne vorstellt. Auf der einen Seite das große Geld von Bahn und Industrie, auf der anderen die armen Schlucker vom Aktionsbündnis. Schmid hat betont, die Regierung werde sich neutral verhalten. Es werde eine bescheidene Broschüre mit Pro und Kontra geben und fertig. Außerdem liege das Landesgeld für das gigantische Infomobil, das durchs Land tourt, auf Eis. Und das gelte auch für das Kommunikationsbüro von S 21.
Seine Position pro S 21 bleibt aber in Stein gemeißelt.
Daran hat sich nichts geändert. Aber da kann ich nur mit meinem verstorbenen Freund Hermann Scheer antworten: Bezahlt wird später.
Juristen zu Stuttgart 21 haben in einer Expertise kritisch zu der im Interview angesprochenen Finanzierungsvereinbarung zu Stuttgart 21 Stellung bezogen. Auf www.kontext-wochenzeitung.de gibt es das Papier zum Download.
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