: Die Angst in der Badewanne
NACHBARSCHAFT Komik, Verzweiflung, Irrsinn oder: Kein Brief und seine Folgen. Jan Peter Bremers doppelbödiger Roman „Der amerikanische Investor“
VON CHRISTOPH SCHRÖDER
Die Situation erscheint alltäglich, und von irgendwem hat jeder schon einmal gehört, dass es so passiert: Das Haus, in dem man zur Miete wohnt, wird verkauft; die alteingesessenen Bewohner werden durch schikanöse Baumaßnahmen aus dem Haus getrieben; die luxussanierten Wohnungen von finanzstarken Neumietern besetzt. Gentrifizierung, so heißt das wohl. Sieht man überall, in Berlin ohnehin. Jan Peter Bremers neuem Roman liegt genau diese Konstellation zugrunde, doch wie von ihm zu erwarten, hat Bremer daraus nicht den Roman zum gesellschaftlichen Phänomen, sondern etwas ganz Eigenes, Skurriles, Versponnenes daraus gemacht.
„Der amerikanische Investor“ ist, kaum zu glauben, mit knapp 160 Seiten der längste Roman, den Bremer je geschrieben hat, und wurde bereits vor seinem Erscheinen mit dem von Günter Grass gestifteten Alfred-Döblin-Preis für noch unveröffentlichte Manuskripte bedacht. Man mag das Buch auch als Ausdruck dessen lesen, was der Turbokapitalismus im Individuellen anzurichten in der Lage ist, doch das griffe zu kurz. Der Protagonist ist Schriftsteller; ein Schriftsteller mit schöpferischer Krise und Schreibblockade. Aber das ist nicht das einzige Problem: Zuvor hat ein amerikanischer Investor, so heißt es jedenfalls, das Haus gekauft; kurz darauf rücken in der Wohnung unter jener, in der der Schriftsteller mit Frau, Kindern und Hund lebt, die Handwerker an, reißen Teppiche und Wände heraus und verschwinden dann wieder. Zurück bleiben eine Baustelle. Nun senkt sich der Boden der Schriftstellerwohnung; der Mann wird zum Neurotiker und der amerikanische Investor, der angeblich keinen festen Wohnsitz hat, sondern ununterbrochen in seinem Privatjet um die Welt kreist, um seine Geschäfte zu tätigen, gerät zur reinen Projektionsfläche.
Der Beschwerdebrief, der sich an ihn richten soll, wird zum Lebensprojekt; die gesamte Konzentration richtet sich darauf, doch die Schreibunfähigkeit bleibt. Zur Überwindung der Blockade taugt auch der Brief an den amerikanischen Investor nicht, stattdessen: ein ewiges Kreisen der Gedanken, um sich selbst, um den Investor, um die familiäre Situation. Das ist, offen gesagt, nicht sonderlich originell, doch die groteske Art und Weise, mit der Bremer seinen schwankenden Helden in einen für ihn nicht mehr kontrollierbaren Kreislauf aus Erregung, Selbstberuhigung und Übersprungshandlungen hineinmanövriert, hat etwas Bezwingendes. Man schaut da zu und wird beinahe selbst verrückt. Große Wirkung auf engstem erzählerischem Raum zu entfalten – das beherrscht Jan Peter Bremer nahezu perfekt.
Zunächst nur in Andeutungen, dann immer konkreter wird deutlich, dass im Leben des Schriftstellers nicht allzu viel stimmt. Zu viel Alkohol, zu wenig Bücher, und das Verhältnis zu seiner Frau ist geradezu von Angst unterminiert. Überhaupt scheint Angst eine große Rolle zu spielen: „Die Küche der Wohnung, in der er lebt, ist so baufällig, dass er sie kaum zu betreten wagt, und wenn er für wenige Minuten in die Badewanne steigt, lässt er neuerdings immer seine Unterhose an, weil er fürchtet, sonst nackt, samt Wanne, in das untere Stockwerk zu stürzen.“ Der Grat zwischen Komik, Verzweiflung und Irrsinn ist schmal. Pläne werden entworfen, Wochenpläne, Lebenspläne (die Wohnung der fast hundert Jahre alten Frau in der Nachbarschaft müsste doch demnächst frei werden!), und wieder verworfen, Luftschlösser gebaut und zum Einsturz gebracht. An einem kraftlosen Nachmittag im Bett dehnt sich die Zeit ins Unendliche; jegliche Willenskraft, überhaupt irgendetwas zu unternehmen, erlischt. Gleichzeitig wird der Blick auf sich selbst zunehmend ungnädiger.
Was Jan Peter Bremer auf den Prüfstand stellt, ist letztendlich das Selbstverständnis des Künstlers unter den harten Prüfungsbedingungen des Alltags. Wie sind Kunst und bürgerliche (allein schon dieses Schreckenswort!) Existenz miteinander zu vereinbaren? Entzieht man der Familie Aufmerksamkeit und Liebe, die sie verdient, um letztendlich doch nur Minderwertiges oder, noch schlimmer, am Ende gar nichts zu schaffen? Der Roman, auch darin liegt seine Doppelbödigkeit, selbst löst dieses Problem mit geradezu spielerischer Leichtigkeit auf – schließlich ist er geschrieben worden; schließlich existiert er. Und das ist keine Kleinigkeit.
■ Jan Peter Bremer: „Der amerikanische Investor“. Berlin Verlag, Berlin 2011, 158 Seiten, 16,90 Euro