Souvenirs vom Kolosseum

Das Berliner Kupferstichkabinett zeigt Giovanni Battista Piranesis „Ansichten von Rom“. Seine Radierungen haben das bildungsbürgerliche Bild der Ewigen Stadt geprägt

Das Berliner Kupferstichkabinett hat sich einem einzigen Italiener – man könnte auch sagen: einer Italienerin – verschrieben. Es geht um Rom – gesehen, festgehalten und vorgestellt von Giovanni Battista Piranesi in seinem Radierzyklus „Vedute di Roma“.

Von der 137 Blätter umfassenden Serie, die Piranesi in den Jahren 1745/48 begann und ihn dreißig Jahre lang bis zu seinem Tod 1778 beschäftigen sollte, zeigt das Kupferstichkabinett 50 Motive. Unter den insgesamt 1.020 Radierungen Piranesis sind die „Veduten“ – neben den fantastischen „Carceri“ – wohl die populärsten Blätter. Piranesis Romansichten haben das bildungsbürgerliche Bild der ewigen Stadt geprägt. Die großformatigen, in hoher Auflage noch nach Piranesis Tod von seinen Söhnen weitervertrieben Blätter, richteten sich an Romtouristen.

Den römischen Zeitgenossen kamen Piranesis verschrobene Romansichten eher merkwürdig vor. Dabei verfertigte Piranesi für seine „Vedute“ akribische Vorarbeiten, wie die Kreidezeichnungen zum Kolosseum nun im Kupferstichkabinett zeigen.

Neben den „Veduten“ haben Direktor Heinrich Schulze Altcappenberg und Kurator Ulf Sölter auch den Kontext der Bildserie buchstäblich etwas plastischer gemacht. So findet sich in der schweinchenrosa gestrichenen Ausstellungshalle, deren Farbe die schwarzweißen Blätter freundlich belebt, auch ein zeitgenössisches Korkmodell des Triumphbogens des Septimius Severus.

Wie Piranesis Veduten fanden solche Andenken Absatz bei wohlhabenden Italienreisenden. Zum Vergleich wurde für die Schau aus der benachbarten Gemäldegalerie ein Antikenpasticcio von Giovanni Paolo Panini von 1735 beschafft. Das willkürlich zusammengemalte Sammelsurium von Ruinen und Plastiken – macht deutlich, dass Piranesi von der tatsächlichen Beschreibung der Stadtgestalt Roms ausging. Das ermöglicht den Kuratoren, einen virtuellen Stadtspaziergang zu inszenieren, indem sie die Blätter topologisch ordnen.

Die Tour beginnt an der noch ungepflasterten Piazza del Popolo mit ihrem sich einladend öffnenden, dreiachsigen Straßenfächer – jenem Eingangstor zur Stadt, über das die meisten von Norden kommenden Rompilger die Stadt betreten. Ein von Piranesi gefertigter Stadtplan am Anfang der Ausstellung hat eben jene Südausrichtung, als ob uns nordischen Besuchern die Stadt zu Füßen läge.

So instruiert können wir eine Tour beginnen, bei der Piranesi Rom für den erlebnishungrigen Touristen wie eine Bühnenshow mit wechselnden Szenen inszeniert hat. Dabei wirft sich die Architektur als Hauptakteur mächtig in Pose, und wird durch reichlich Staffage belebt. Die winzigen Figuren auf dem Petersplatz lassen die gewaltige Anlage noch monumentaler erscheinen, während die unverhältnismäßig große Prunkkutsche im Vordergrund die Perspektive noch einmal dramatisiert. Zugleich bringt die Karosse etwas rokokohafte Verspieltheit in die strengen Formen von Kirche und Säulenkolonnade.

Aus solch dialogischen Spannungen leben Piranesis Veduten. Die morbid-erhabene Antike steht neben dem Alltagsstreit der Menschen auf der Straße, die Schäferidylle tritt in Kontrast zu den martialischen Szenen auf den Triumphbogen daneben, und noch in den kerkerartigen Riesenruinen finden sich irgendwelche geschäftigen Personen.

Piranesi lässt in seinem virtuellen Streifzug durch Rom keine Langeweile aufkommen. Ein Highlight reiht sich ans andere, Antikes wechselt mit neuen, barocken Kirchen, aus der Totalen des Piazza Novona zoomt er auf die Nahsicht eines noch halb im Boden versunkenen Tempels auf dem Forum Romanum. Virtuos nicht nur im Strich, sondern auch in der Bilderfindung wird Piranesis Romführung alsbald eine Verführung – als sollten wir die Stadt so lieben, wie er es tat.

RONALD BERG

Im Ausstellungsraum des Kupferstich- kabinetts. Matthäikirchplatz am Kulturforum. Bis 11. 11.