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Archiv-Artikel

Ein moderner Grundsatz

betr.: „Tausend Münzen für eine Frau. Gelten iranische Bräuche jetzt auch in der Pfalz? Ein Gericht in Zweibrücken spricht einer Frau eine ‚Morgengabe‘ zu“, taz zwei vom 11. 8. 07

Das, was erst einmal an diesem schönen Urteil aufschreien lässt, ist die immer noch anhaltende Wirkung eines auch nicht gerade modernen Grundsatzes im hiesigen Ehe- und Familienrecht. Der entstand hierzulande als flächendeckender so ungefähr mit der zunehmend heftiger werdenden Industrialisierung. Dieser Grundsatz besagt: In der Familie sind Arbeitsverträge der Familienmitglieder untereinander nicht zulässig, weil die Familie anders definiert und konstruiert ist. Fürs Gefühl wurde dieser Grundsatz mit der Behauptung verkleidet, die Ehe beruhe neben der vom Sittengesetz vorgesehenen Ordnung auf geschlechtlicher Anziehungskraft – vulgo: auf Liebe oder dergleichen – und finde ihre Erfüllung in Nachkommenschaft.

Wegen der Gegenseitigkeit verpflichtete das Sittengesetz oder die Liebe die Frau, diese Nachkommenschaft unentgeltlich aufzuziehen, und der aufkommende Kapitalismus verpflichtete den Mann, durch Erwerbstätigkeit für den Unterhalt der Brut samt Frau zu sorgen. Damit dieser „Deal“ zwischen Patriarchat und Kapitalinteresse aufgehen konnte, musste die Frau auf das verzichten, was beispielsweise im iranischen Ehe- und Familienrecht noch vorgesehen ist. Nämlich dass sie für die zeitweilige Aufgabe ihres Bestimmungsrechts über ihre Prokreativität (und nicht nur die!) und das damit verbundene Risiko eine an sie zu zahlende Entschädigung erhält; diese erst in Schmuck oder Vieh oder Land und später auch in Geld, nachzulesen schon in altorientalischen Eheverträgen aus der Zeit von Hammurapi und anderen Kings. Ohne diesen Verzicht der Frau auf diese Risikoversicherung wäre die Ehe für „jedermann“ nämlich unerschwinglich gewesen und bis heute geblieben!

Uns wird die Sicht auf diesen Sachverhalt durch die lange Wirkungsgeschichte des sich seit Jahrhunderten patriarchalisch formierenden Ehe- und Familienrechts verstellt. Weshalb wir glauben, die Frau sei früher immer gekauft und der Kaufpreis an ihren Vater gezahlt worden. Ein Verhältnis von Leibeigenschaft (finsterstes Patriarchat!, das bekanntlich früher immer viel, viel schlimmer war als heute und seit mindestens Eva und Adam am Wirken sein soll), aus dem die kapitalisierende Liebesheirat sie befreite. Dabei war, wenn Mann so will, der Brautkauf mit Zahlung an deren Familienvater allenfalls eine Zwischenstufe, stellt jedoch nicht den vollständigen historischen Hintergrund der Angelegenheit dar.

Natürlich lag diesem oder jenem daran, diesen Hintergrund vergessen und uns glauben zu machen, die im Zuge der Industrialisierung aufkommende Verhaustierung der Ehefrau sei der Gipfel der Modernität. Wenn wir diese Modernitätsverblendung weglassen, kommt zum Vorschein, dass es mal eine Zeit gab, in der Frauen für die teilweise Aufgabe ihrer Privatautonomie inklusive Risiko für Leib und Leben durch Schwangerschaft und Geburt (auch hierzulande noch bis vor gut 100 Jahren!) eine über die bloße Unterhaltung hinausgehende Entschädigung erhielten. Auszahlbar auf Verlangen, spätestens aber im Fall von Scheidung oder Tod des Gatten. Wenn das kein im Grunde moderner Grundsatz ist! Von dem ausgehend wir heute im Lichte der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte weiterarbeiten sollten … CHRISTINE RÖLKE-SOMMER, Berlin